Brexit ist eine Frage der Identität
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Ein Verstoß gegen das Völkerrecht könnte dem internationalen Ruf Großbritanniens als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner schaden. Doch warum ist die britische Regierung bereit, dieses Risiko einzugehen? „Weil der Brexit weniger von der Sorge um den materiellen Wohlstand des Landes als vielmehr von dem Wunsch getrieben wird, seine Identität zu wahren. Laut Brexit-Befürworter schwächen die Anforderungen einer starken wirtschaftlichen und finanziellen Integration mit Kontinentaleuropa die Identität des Landes“, begründet William Verhagen, Senior Economist bei NN Investment Partners, das Verhalten.
Souveränität muss man sich leisten können
Das Vereinigte Königreich hat die EU bereits verlassen. Die entscheidende Frage ist nun, inwieweit die britischen Handels- und Finanzinstitutionen in die EU-Institutionen eingebunden bleiben. Die Antwort hängt von einem grundlegenden Kompromiss ab zwischen dem Grad an Souveränität, den das Vereinigte Königreich wiedererlangt, und den wirtschaftlichen sowie politischen Kosten, die damit verbunden sind. Diese Kosten können größer und nachhaltiger sein als in der lehrbuchmäßigen Wirtschaftstheorie angenommen, die dazu neigt, die entscheidende Bedeutung der Institutionen und des Vertrauens des privaten Sektors zu verharmlosen.
Die britischen Handels- und Finanzinstitutionen sind stark mit der EU verflochten. Ihre Ausgliederung und Abgrenzung würde der Wirtschaftsleistung des Vereinigten Königreichs wahrscheinlich erheblichen Schaden zufügen und für die Unternehmen eine lange Zeit großer Unsicherheit bedeuten. Im Jahr nach der Brexit-Abstimmung waren die privaten Investitionen im Vereinigten Königreich unterdurchschnittlich – zu einer Zeit, in der sie in den übrigen Industrieländern sprunghaft angestiegen sind.
Die Politik der britischen Regierung in den vergangenen zwei Wochen hat die Abwärtsrisiken noch zusätzlich erhöht. Ein Verstoß gegen das Völkerrecht kann dem internationalen Ansehen Großbritanniens Schaden zufügen. Demokraten im US-Kongress haben bereits angedeutet, dass ein solcher Bruch die Zustimmung zu einem Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich sehr schwierig machen würde.
Der Grund, warum die britische Regierung bereit ist, dieses Risiko einzugehen, hängt mit der Identitätsfrage zusammen. Wenn die Verhandlungen mit der EU scheitern und Großbritannien den Binnenmarkt verlässt, würde eine Zollgrenze in der Irischen See zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs errichtet. So sieht es das Ausstiegsabkommen vor. Dies schwächt wohl die Europäische Union. Die Alternative ist eine Zollgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, was mit dem erheblichen Risiko verbunden ist, den nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 erreichten Frieden zu stören.
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es unmöglich, genau vorherzusagen, wie die Pattsituation zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU enden wird. Die EU, die sich sehr streng an eine auf Regeln basierende internationale Zusammenarbeit hält, hat das Vorgehen der britischen Regierung scharf verurteilt. Am Ende wird die britische Regierung entscheiden müssen, wie viel sie bereit ist, für wie viel Souveränität zu zahlen“, analysiert Verhagen die momentane Situation. Die Forderung der EU nach gleichen Handelsbedingungen könnte einen ziemlichen Druck ausüben. Das Vereinigte Königreich wünscht sich eine flexible Einstellung zu dem, was gleiche Wettbewerbsbedingungen ausmacht; insbesondere möchte es die Freiheit haben, bestimmte Schlüsselindustrien wie Technologie zu unterstützen. „Diese Freiheit könnte auf Kosten eines harten Bruchs mit der EU und des Risikos einer anhaltend schlechteren Wirtschaftsleistung gehen. Und dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaft bereits stark von der Corona-Krise betroffen ist. Die einzige Gewissheit scheint hier zu sein, dass der Einsatz für Großbritannien in der Tat sehr hoch ist“, resümiert der Volkswirt.
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