Kommentar
12:19 Uhr, 04.06.2012

Bleiben nur noch drei Monate für die Euro-Rettung?

Der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer wird in der SZ wie folgt zitiert: "Europa steht heute am Abgrund und wird in eben diesen in den kommenden Monaten hineinfallen, wenn jetzt nicht Deutschland und Frankreich gemeinsam das Steuer herumreißen und den Mut zu einer Fiskalunion und politischen Union der Euro-Gruppe aufbringen."

Dass Europa am Scheideweg steht ist eine inzwischen chronische Diagnose, die allenfalls noch Gähnen hervorruft. Der Abgrund mag ein drastischeres Bild sein, ist aber gar nicht so weit hergeholt. Es ist spürbar, dass wir uns in Europa voneinander entfernen. Der Euro hat bisher zum Gegenteil dessen geführt, was er schaffen sollte: Nämlich mehr Integration. Innerhalb der Eurozone ist der Schuldige schnell gefunden: Deutschland ist zu stark und blockiert gleichzeitig alle Lösungsvorschläge. Noch, muss man hinzufügen. Irgendwann wird auch Angela Merkel umfallen, wenn sie mit der Alternative konfrontiert ist, stur zu bleiben und den Zerfall der Eurozone hinzunehmen oder aber nachzugeben und Deutschland auch offiziell zum Transferstaat zu erklären. Es wird also entweder Euro-Bonds geben oder aber der ESM wird eine Banklizenz erhalten, was ihm nahezu unlimitierte Feuerkraft verleihen würde. Denn der permanente Rettungsfonds könnte dann gekaufte Anleihen als Sicherheit bei der EZB für Kredite hinterlegen. Beides würde entweder de jure oder de facto zu einer unbegrenzten Haftung aller für alle führen. Aus deutscher Sicht heißt das in der Wahrnehmung natürlich: Deutschland haftet für alle.

Wenn Deutschland einem dieser Modelle nicht zustimmt, bleiben noch folgende Alternativen: Die EZB kauft auf eigene Faust wie entfesselt Anleihen am Markt auf und überschreitet damit ihr Mandat, mit möglicherweise persönlichen Risiken für die Entscheider. Oder aber einige Krisen-Staaten kehren dem Euro den Rücken. Oder Deutschland verlässt die Währungsunion.

Letzterer Gedanke wird immer mehr zu einer realistischen Option, so unwahrscheinlich diese jetzt noch erscheinen mag. Ich würde die Chance dafür auf 5% taxieren. Es gibt im Wesentlichen nur eine völlig unverzichtbare Voraussetzung, damit die EU daran nicht zerbricht. Kommt ein derart radikaler Schritt, so muss es sich um eine gemeinsame Entscheidung mindestens von Frankreich und Deutschland, am besten aber aller Euro-Staaten handeln. Eine solche Maßnahme würde einige Probleme glaubhaft lösen, andererseits aber das Fernziel einer politischen Union aufs Abstellgleis stellen. Man mag sich diese Möglichkeit derzeit kaum vorstellen, andererseits mussten wir in den letzten Jahren erfahren, dass so einiges möglich ist das wir bisher ausgeschlossen haben.

Der frühere Devisenspekulant George Soros formulierte kürzlich im Zusammenhang mit der Vorstellung seines dritten Buches, dass Deutschland noch rund drei Monate zur Rettung der Eurozone bleiben. Sonst drohe der Europäischen Union ein „verlorenes Jahrzehnt“, so die Hedgefonds-Legende. Ob es drei Monate sind oder mehr scheint fast nebensächlich – der Schlüssel liegt so oder so tatsächlich in deutscher Hand.

Ihr
Daniel Kühn

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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