Bärmarktrallye oder Frühjahrsrallye?
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Die Börse ist selbst für Profis oft paradox, unverständlich und hat viele Überraschungsmomente. Die Börse scheint im Moment nach dem Muster zu funktionieren: je schlechter die Nachrichten, desto höher steigen die Kurse. Damit scheint auch das (nicht immer) bewährte Motto „Buy on bad news!“ wieder zu funktionieren. Da meldet die Deutsche Bank AG einen Rekordverlust für das 1. Quartal 2008 in Höhe von 2,5 Mrd. USD und die UBS sogar von 19 Mrd. € und die Kurse beider Banken sprangen am gleichen Tag in die Höhe - bei der UBS sogar im zweistelligen Prozentbereich. Da spricht FED-Chef Ben Bernanke zum ersten Mal in einer viel beachteten Rede das „R-Wort“ aus und hält ein Schrumpfen der US-Wirtschaft im ersten Halbjahr für möglich und die Börse bleibt sehr stabil und die Anleger gelassen. Da gab es am Freitag sehr schlechte US-Arbeitsmarktzahlen - im ersten Quartal stiegen die Arbeitslosen um 250.000 in den USA -, was ebenfalls eine US-Rezession wahrscheinlich macht und wieder bleiben die Kurse sehr stabil. Ist damit das Gröbste jetzt ausgestanden? Hat die Börse alle denkbaren Risken jetzt eingepreist?
Dies mündet auch in die Frage: haben wir es nun mit einer „Bärmarktrallye“, also der Zwischenerholung in einem Bärmarkt, oder dem Beginn einer Frühjahrsrallye und damit der Fortsetzung des Bullenmarktes zu tun? Klar ist, dass die Börse die US-Finanzkrise wesentlich schneller abhaken wird als die Banken selbst. Klar ist auch, dass die Selbstheilungskräfte in den USA aufgrund der flexiblen Strukturen wesentlich ausgeprägter sind als in anderen Ländern der Welt. Jetzt kommt die Dividendensaison, die dem den Anlegern so viel Geld wie noch nie in die Kassen spülen wird. Die US-Geldmarktfonds hatten zuletzt einen Zufluss von 300 Mrd. USD zu verzeichnen und haben ein Rekordvolumen von 3,1 Billionen USD erreicht. Auch Pensionskassen haben ihren Aktienanteil deutlich reduziert, was übrigens besonders die Emerging Markets durch Kapitalabflüsse hart traf. Wenn dies zum Teil wieder in Aktien investiert wird, kann es sehr schnell zu einer wie auch immer titulierten Rallye kommen. Klar ist aber auch, dass die hohe Verschuldung in rezessiven Phasen wesentlich mehr Unheil anrichten kann, also zuvor angenommen. Es wird jetzt aber in den nächsten Monaten in erster Linie darauf ankommen, wie die Gewinnentwicklung und vor allem die Gewinnprognosen bis Jahresende ausfallen werden. Wenn es weitere – auch versteckte - Gewinnwarnungen wie zuletzt bei der Deutsche Bank, Allianz und Siemens geben wird, dann werden die Kurse der betreffenden Unternehmen im zweistelligen Prozentbereich einbrechen. Dabei wird es wahrscheinlich sein, dass viele US-Unternehmen das angestrebte Gewinnniveau nicht erreichen können. und anderseits viele osteuropäische Unternehmen weiterhin gute Fundamentaldaten aufweisen.
Auch wird es eine Reihe von Schadensersatzklagen im Bankensektor geben. Selbst die Rettungsaktion von Bear Stearns durch die US-Notenbank, die faule Kredite von 30 Mrd. USD garantiert und damit ihren Kompetenzbereich überschritt, ist rechtlich bedenklich und wird noch Folgen haben. Was passiert, wenn der Deal mit JPMorgan rückabgewickelt werden muss? Dann würden 80.000 Menschen auf der Strasse stehen. Auch die Bilanztricks bei der West LB und die Bayern LB, die im Grunde ebenso wie die Sachsen LB pleite sind, halte ich für bedenklich. Das Ausgliedern der faulen Kredite und Wertpapiergeschäfte im Volumen von jeweils 24-25 Mrd. USD in eine Zweckgesellschaft und das Bürgen des Staates verhindert den notwendigen Bereinigungsprozess im Bankensektor. So kommt die Kuh nicht vom Eis, sondern die Probleme werden künstlich nach hinten verschoben. Die Manager, die sich grob fahrlässig verspekuliert haben, spielen damit auf Zeit, soweit sie noch im Amt sind. Haben Sie eigentlich Ihr Einverständnis dafür gegeben, dass Ihre Steuerzahlungen derartig missbraucht werden, denn Sie bürgen mittelbar für die West LB, Bayern LB und andere Landesbanken mit.
Wie gut, dass die Landesbanken nicht börsennotiert sind, sonst wäre der DAX schon unter 6000. In den USA besteht nun die stille Hoffnung, dass die sogenannten „Geierfonds“ einige Gesellschaften für einen Apfel und Ei aufkaufen, um das kränkelnde marktwirtschaftliche System aufrecht zu erhalten. Gesund kann dadurch der kränkelnde Patient nicht werden. Bei General Motors soll so ein wichtiger Zulieferbetrieb gerettet werden. Der Geierfonds hat sich aber zurückgezogen, so dass GM in Schwierigkeiten kommen könnte. Rechnen Sie daher in den nächsten Wochen mit weiteren Hiobsbotschaften aus dem Unternehmenssektor. Rechnen Sie auch mit weitrem Abschreibungsbedarf im Bankensektor, da jetzt zunehmend auch Privatgeschäfte (Kreditkarten, Kosumentenkredite) in Mitleidenschaft gezogen werden. Dabei wird es auch Gewinner (Bank of America, JP Morgan, Goldman Sachs) und Verlierer (Lehman Brothers, Citibank, UBS) geben und es wird sich die Spreu von Weizen trennen, nur dass die Spreu (leider) nicht Pleite gehen darf wegen des befürchteten Dominoeffektes im Bankensektor. Der gesamte Bankensektor hängt weltweit am „seidenen Faden“, der nicht reißen darf.
Dies führt anderseits aber auch dazu, dass Risiken endlich wieder vernünftig bezahlt werden, indem sich die Spreads für Risikokredite ausweiten. So sind die Zinsen für „Junk Bonds“ von 7 auf 9% gestiegen. Auch die US-Banken müssen sich die nächsten Wandelanleihen teuer bezahlen. Einige Fremdfinanzierungen – übrigens auch von osteuropäischen Unternehmen - gehen jetzt nicht mehr so einfach durch, so dass die Unternehmen zu unliebsamen Kapitalerhöhungen gezwungen werden wie zuletzt der britische, in Russland aktive Öl-Junior Imperial Energy, dessen Kurs um 27% an einem Tag einbrach, nachdem das Management eine Kapitalerhöhung über 600 Mio. USD bekannt gab. So wird es auch in Osteuropa mittelbare Opfer der US-Bankenkrise geben. Die Tatsache, dass sich die USA wohl das ganze Jahr über mit dem Phänomen „Stagflation“ herumkämpfen müssen, dürfte in Nicht-USA-Länder eingepreist sein, aber noch nicht in den USA selbst.
Es ist schon erstaunlich, dass die Wall Street als „Hauptübeltäter“ gerade mal 5-6 % im Minus ist, während die meisten Westbörsen über 10% und einige Emerging Market-Börsen über 20% im Minus sind. Einige Börsen in Südosteuropa und Shanghai (China) verloren sogar über 30% an Wert, was faktisch schon einen Crash bedeutet. Ingesamt war der Wertverlust mit 7 Billionen US-Dollar schon jetzt größer als bei dem Platzen der Dot.com-Blase. Dass sich der Bubble in China und Vietnam in diesem Szenario sehr schnell aufgelöst hat, hat mich nicht überrascht, da dort im letzten Jahr sehr viel „Hot Money“ hineingeflossen ist. Die Wachstums- und Konvergenzstorie bleibt bei den meisten Emerging Markets, so auch in Osteuropa, intakt. Auch China und Vietnam werden demnächst wieder interessant und sind jetzt billiger als noch Ende des letzten Jahres zu haben. Neue Märkte wie Kambodscha oder die GUS-Republiken mit hohen Wachstumsraten gilt es noch zu entdecken. Diese Märkte sollten Sie schon jetzt auf die Watch-list nehmen und nicht „blind“ dem „Hot money“ folgen und dabei auf die Nase fallen.
Da der Bankenmarkt im Moment eine unkalkulierbare „Black Box“ ist, kann Ihnen heute keiner sagen, ob wir das Gröbste an der Börse schon überstanden haben. Abgeschrieben wurde weltweit bisher 200 Mrd. USD im Bankensektor, wobei die groben Schätzungen bei einem Abschreibungsbedarf von 400-800 Mrd. USD liegen. Daher muss man sich fragen, wer als nächstes an der Reihe mit einem Abschreibungsbedarf oder gar am Rande einer Pleite ist.
Die Markttechnik wird Ihnen bei der Anlagestrategie helfen: Erst wenn der Dow Jones über 13000 bis der S&P über 1400 Indexpunkte geht, besteht die Aussicht auf einen Bullenmarkt. Beim DAX ist die magische Marke 7000, die nachhaltig überschritten werden muss. Umgekehrt wird es nicht nur einen Bärenmarkt, sondern einen Crash geben, wenn der Dow Jones unter 11700 und der S&P unter 1250 Indexpunkte gehen wird. Bisher konnte dies das sehr erfolgreich agierende „Plunge Protection Team“ in den USA verhindern, das bei charttechnisch brenziglen Situationen (Dow unter 12.000 oder S&P unter 1300) einschreitet. Dazu zählt auch „Helikopter Ben“ mit weiteren Zinnsenkungen und Gelddrucken, was die Inflation weltweit erhöhen wird – in Osteuropa in vielen Ländern schon im zweistelligen Prozent-Bereich, was ein reales Problem darstellt. Dazwischen wird jetzt lustig ohne erkennbaren Trend hin und her getraded.
Die Wall Street befindet sich damit auf dem Scheideweg bzw. grob in der Trading-Range 11800 bis 12.800, in der alles passieren kann – egal ob man dass nun „Bärmarktrallye“ oder „Beginn einer Frühjahrsrallye“ nennt. Ich nenne das volatile Seitwärtsbewegung im Primärtrend. Die Volatilität dürfte daher weiterhin hoch bleiben und es weiterhin viele Überraschungen und vordergründig paradoxe Entscheidungen der dominanten Marktteilnehmer geben, auch an den Metallmärkten wie Gold/Silber, wo viele Haussiers nach dem Erreichen neuer Höchstkurse auf dem falschen Fuß erwischt wurden und Kursverluste von über 10% in wenigen Tagen hinnehmen mussten. Innerhalb der beschriebenen Trading-Range gibt es – auch an den Ostbörsen - immer wieder die 10-20%-Trading-Chance, bei Bankentiteln zuweilen sogar an einem Tag. Crashkurse bzw. Panikverkäufe sind weiterhin gute Kauftage. Im Moment bewegen wir uns in der neutralen, indifferenten Zone, wo jeder behaupten kann, es wird eine Führjahrsrallye oder wir sind nur in einer Bärmarktrallye, wo es durch reine Gewinnmitnahmen auch ganz schnell wieder abwärts gehen kann. Eine Prognose ist jetzt im Grunde unseriös, aber was wäre der Börsianer ohne eine Prognose. Mein Tipp: Rechnen Sie dabei mit dem Schlimmsten und glauben Sie an das Beste!
Fazit: Gehen Sie weiter mit gestaffelten Abstauberlimits in ertragsstarke Qualitätsaktien - auch in Osteuropa - und nutzen Sie auch die Reboundchancen. Ich werde auf der Ostbörsen-Hotline 09001-861400-1 (1,86 €/Min) auch immer wieder selektiv auf Trading-Chancen aufmerksam machen. Halten Sie aber auch noch Pulver trocken für den Fall einer Bärmarktrallye. Vielleicht machen dies auch die Russen und warten, bis der DAX auf 5500 fällt und kaufen dann in Deutschland alles auf, was sie gerade verkauft haben. So stieg schon am Freitag der Kurs von Air Berlin um 7%, weil ein russischer Oligarch einen Anteil von 18% erwerben will. Auch bei TUI sollen Aktienpakte von 5 auf 10% von dem russischen Oligarchen Mordashow aufgestockt werden. Was würden wir nur machen, wenn wir die Russen als Ersatz für amerikanische „Geierfonds“ nicht hätten…!?
Andreas Männicke - Chefredakteur des EAST STOCK TRENDS - www.eaststock.de
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