Kommentar
11:05 Uhr, 02.06.2023

Auf den Markt wartet ein 600-Milliarden-Dollar-Loch

Nachdem das Drama um die Anhebung der Schuldengrenze beendet ist, steuern die Finanzmärkte auf ein "Liquiditätsloch" im Umfang von rund 600 Milliarden Dollar zu.

Seit Januar hat das US-Finanzministerium eine Verletzung der gesetzlichen Schuldengrenze nur durch "außergewöhnliche Maßnahmen" abgewendet. Die Emission neuer Staatsanleihen, mit denen sich das US-Finanzministerium normalerweise frisches Geld beschafft, wurde aufgeschoben, weil sonst die Schuldengrenze verletzt worden wäre.

Nachdem nun die Aussetzung der Schuldengrenze von beiden Kongresskammern beschlossen wurde und US-Präsident Joe Biden das Gesetz nur noch unterzeichnen muss, können sich die USA voraussichtlich ab der kommenden Woche wieder frisches Geld leihen, indem sie Staatsanleihen emittieren. Davon dürften sie auch in großem Umfang Gebrauch machen.

Durch die absehbare Verletzung der Schuldengrenze und die "außergewöhnlichen Maßnahmen" ist der Kontostand auf dem sogenannten Treasury General Account, auf dem das US-Finanzministerium seine Gelder bei der Federal Reserve Bank of New York hält, von gewöhnlich rund 650 Milliarden Dollar auf unter 50 Milliarden Dollar abgesunken, wie der Analyst Steven Blitz des Beratungsunternehmens TS Lombard in einem aktuellen Marktkommentar schreibt. "Das US-Finanzministerium wird sich sicher darum bemühen, wieder zu 650 Milliarden Dollar zurückzukommen", so Blitz. Allein in den vergangenen fünf Monaten habe der Kontostand um 360 Milliarden Dollar abgenommen. Sobald die Aussetzung der Schuldengrenze wirksam geworden ist, dürfte das US-Finanzministerium deshalb in einem weit größeren Umfang als normalerweise neue Staatsanleihen emittieren.

Die Emission der neuen Anleihen wird viel Liquidität von den Märkten absaugen und gleichzeitig die Zinsen steigen lassen, weil der Markt das hohe Volumen an neuen Anleihen nur absorbieren kann, wenn entsprechend höhere Zinsen geboten werden, so die Erwartung vieler Marktbeobachter. Hinzu kommt, dass auch das laufende Quantitative Tightening der Fed, also der Verkauf von Staatsanleihen aus der Bilanz der US-Notenbank, Liquidität aufsaugt, wie Steven Blitz von TS Lombard in seinem Marktkommentar schreibt. Die Folge wird eine deutliche Abnahme der Liquidität auf den Finanzmärkten und ein Anstieg der Marktzinsen sein.

Würde sich das US-Finanzministerium innerhalb von drei Monaten insgesamt 650 Milliarden Dollar leihen, nur um die gesunkenen Reserven wieder aufzufüllen, würde dies einem Anteil von 9,8 % am nominalen BIP eines Vierteljahres entsprechen, rechnet Blitz vor. Die Schuldenaufnahme (und damit der Liquiditätsentzug) würde also knapp 10 % der US-Wirtschaftsleistung entsprechen.

Die Tatsache, dass sich der Kontostand auf dem Treasury General Account innerhalb von fünf Monaten um 360 Milliarden Dollar verringert hat, bedeutete in den letzten Monaten umgekehrt auch eine Zuführung an zusätzlicher Liquidität in die Wirtschaft in diesem Umfang, wie Steven Blitz erläutert. Denn das Geld wurde für die laufenden Staatsausgaben verwendet, ohne dass im selben Umfang Geld an anderer Stelle aus der Wirtschaft an das Finanzministerium (zum Beispiel durch die Ausgabe neuer Staatsanleihen) geflossen wäre. Diese zusätzliche Liquidität könnte mit dazu beigetragen haben, dass sich die US-Wirtschaft zuletzt so robust gezeigt hat, meint Blitz. Durch die absehbare Emission neuer Anleihen dürfte der Markt nun von einem Umfeld aus überschüssiger Liquidität in ein Umfeld mit deutlich verringerte Liquidität wechseln.

Fazit: Nach der Aussetzung der Schuldengrenze dürfte sich das US-Finanzministerium durch die Ausgabe neuer Staatsanleihen frisches Geld im Umfang von mehreren hundert Milliarden Dollar innerhalb relativ kurzer Zeit von den Finanzmärkten leihen. Da dieses Geld nicht zu zusätzlichen Staatsausgaben führt, sondern damit nur gesunkene Reserven wieder aufgefüllt werden, hat die Schuldenaufnahme einen Liquiditätsrückgang an den Finanzmärkten und in der Wirtschaft zur Folge. Der Liquiditätsrückgang dürfte nicht nur zu steigenden Marktzinsen führen, sondern könnte auch andere Märkte wie den Aktienmarkt belasten.

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Über den Experten

Oliver Baron
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Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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