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12:57 Uhr, 24.12.2001

Analysten und das Jahr 2001- ein Rückblick

Noch wenige Tage trennen uns vom neuen Jahr 2002, das alte wird bald hinter uns liegen. Fernsehsender ergreifen die Gelegenheit, ein sehr ereignisreiches Jahr 2001 in "Jahresrückblicken" kurz zusammenzufassen, wobei sich der Fokus auf die Bereiche Politik und Gesellschaft konzentriert.

Blickt man auf die Geschehnisse an den Finanzmärkten zurück, so läßt sich auch hier eine Vielfalt von Ereignissen ausmachen. Und ähnlich wie in der Politik scheinen auch diese schwer oder gar nicht vorhersehbar gewesen zu sein- dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, wenn man die Analystenprognosen zu Jahresbeginn mit den tatsächlichen Geschehnissen vergleicht.

"Kläglich versagt" haben nicht nur Ed Kerschner von der UBS Warburg und Abby Cohen von Merrill Lynch. Doch von diesen konnte man mehr erwarten als folgende Fehleinschätzung: Um 30% sollte der S&P´s 500 laut Kerschner und um 25% laut Cohen in diesem Jahr zulegen, tatsächlich gab es einen Verlust von bis dato 13% im renommierten Mischindex. Und dabei wurde Kerschner im letzten Jahr von Fondsmanagern zum "besten Aktienstrategen" gekürt, Cohen hatte diesen Titel in den beiden Jahren zuvor inne.

Daß die beiden mit dieser Prognose bei den Investoren keine Pluspunkte gesammelt haben dürften, liegt auf der Hand. Doch finden sie sich mit ihrer fälschlicherweise bullischen Einschätzung in guter Gesellschaft: Fast kein Wall-Street-Analyst habe mit einem neuerlichen Jahresminus im S&P in 2001 gerechnet, da es im Jahr 2000 schon kräftig abwärts gegangen war. "Sie haben alle nicht erkannt, wie schnell sich die Ertragslage verschlechtert", analysiert ein Fondsmanager die Prognosen seiner Analystenkollegen. Noch nicht einmal die Richtung des Marktes sei richtig eingeschätzt worden, geschweige denn die Intensität, bemängelt er.

Erregt scheinen die Investoren einerseits darüber zu sein, daß sie sich auf die Analystenprognosen nicht verlassen könnten, diese allenfalls gelegentlich als "Kontraindikatoren" zu gebrauchen seien. Richtig wütend werden sie dagegen erst, wenn bekannt wird, daß Analysten vorsätzlich eine falsche Prognose
abgegeben haben, um Kurse zu stützen. Beispiele sind im vergangenen Jahr zu Genüge aufgekommen, man denke nur an die einstigen Staranalysten Mary Meeker und Henry Blodget, die sich vor Gericht verantworten und Schadenersatz zahlen mußten- weil sie fast insolvente Unternehmen wie eToys zu inakzeptablen Kursen als "klaren Kauf" angepriesen haben. Mittlweile ist ein Großteil ihrer Empfehlungen vom Kurszettel verschwunden- und mit ihnen das Geld der gutgläubigen Anleger.

Stellt sich die Frage, ob die regelmäßige Fehleinschätzuhng der Analysten generell auf deren Unvermögen, eine Kursrichtung verläßlich einschätzen zu können oder auf unredliche Absichten zurückzuführen sei. Schon länger weisen Experten auf das "Rosa Rote Brille Phänomen" bei Analysten hin. Diese seien generell zu bullish, nicht zuletzt weil ihre Häuser mit steigenden Aktien mehr Geld verdienen. Als "Hang zur Schönfärberei" bezeichnet dies Henry Cavanna, Fondsmanager bei Morgan Fleming.

Im Gegensatz zu ihren Kollegen lagen die Analysten Barton Briggs und Stephen Roach dieses Jahr relativ gut: Sie hatten als erstes eine US-Rezession gesehen und früh davor gewarnt, während andere noch in Optimismus schwelgten.

Für das neue Jahr erwarten Experten nun auch wieder einen Anstieg- genau wie im letzten Jahr. Und auch wieder mit der gleichen Begründung: Die Wirtschaft werde wieder anziehen, die Kurse mitziehen. Investoren befürchten nun, daß die Analysten nichts aus ihren Fehlern gelernt haben. ""Die Strategen haben immer noch nicht begriffen, was los ist," kritisiert David Webb, Fondsmanager bei Shaker Investments Inc. in Cleveland. "Seit über einem Jahr verkünden sie jetzt schon eine Konjunkturerholung."

Lediglich Cliggott erwartet als einziger Stratege der großen Häuser einen S&P-Rückgang, Kerschner rechnet mit einem Zuwachs um 10%.

Gespannt dürfen wir darauf warten, ob sich die Trefferquote im neuen Jahr erhöhen kann. "Es ist nicht die schlechteste Strategie, immer auf steigende Kurse zu setzen- im Mittel liegt man damit richtig, da Kurse tendenziell eher steigen als fallen. Ob damit aber viel Aussagekraft gewonnen werden kann, ist eine andere Frage", erklärt ein Marktbeobachter.

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