Kommentar
14:10 Uhr, 11.02.2021

Aktienmarkt: Wer an Charttechnik "glaubt", sollte beunruhigt sein

Der US-Aktienmarkt befindet sich charttechnisch an einem Umkehrpunkt, der in der Vergangenheit für größere Korrekturen gesorgt hat.

Charttechnik ist für viele keine Glaubensfrage, ganz im Gegenteil zu dem, was hier im Titel des Artikels steht. Charttechnik wird dennoch von vielen immer noch als problematisch angesehen. Es wird kein Grund dafür gesehen, dass ein Wert z.B. steigen sollte, nur weil der Kurs an einer Linie angekommen ist.

Tatsächlich ist Charttechnik nützlicher, als es die Kritiker wahrhaben wollen. Charttechnik bringt System in die Kursentwicklung, die auf den ersten Blick ziemlich zufällig erscheinen kann. In der Theorie ist der Markt effizient und alle Informationen sind eingepreist. Man kann daher den Kurs auf Basis bekannter Informationen nicht vorhersagen. Theorie und Praxis gehen häufig auseinander.

Mehrere Jahrhunderte Börsengeschichte sollten eigentlich ausreichen, um den Beweis anzutreten, dass der Markt nicht effizient und rational ist. Das ist nicht der Fall. Der Glaube an die Effizienz hält sich beharrlich. Wieso aber ist der Markt nicht rational?

Die Antwort ist einfach. Kurse werden von Menschen gemacht und Menschen sind nicht immer rational. Man denke nur an die Gamestop-Saga. Die Marktkapitalisierung eines mehr oder minder bankrotten Unternehmens stieg von weniger als einer Milliarde auf zeitweise fast 30 Mrd. Rationalität? Nirgends zu finden.

Was hat das nun mit Charttechnik zu tun? Charttechnik bringt System in Kursmuster. Kursmuster wiederholen sich. Das wird auch immer so bleiben, denn Kursmuster entstehen durch das Verhalten der Marktteilnehmer und dieses Verhalten ist vorhersehbar. Marktteilnehmer sind am Ende auch nur Menschen, die auf Ereignisse reagieren.

Wie bei Gamestop konnten viele der Euphorie einfach nicht widerstehen. Ebenso konnten viele einfach nicht anders als im März 2020 in Panik alles zu verkaufen. Ob Euphorie oder Panik, es sind Verhaltensmuster, die sich immer wieder wiederholen werden. Zwischen diesen Extremen gibt es natürlich noch viele Zwischenstufen.

Aktuell befindet sich der Markt jedoch eher an einem Extrempunkt und man fragt sich, ob sich auch dieses Mal das Verhalten der Marktteilnehmer wiederholt. Ungewöhnlich wäre es nicht. Es ist sogar wahrscheinlich, denn Verhaltensmuster wiederholen sich nun einmal.

Derzeit bauen Anleger hohe Risiken auf. Über die Margin Debt, Spekulation auf Kredit, hatte ich bereits berichtet. Das Wachstum dieses Kredits befindet sich nun an einem Punkt, der in der Vergangenheit für größere Korrekturen gesorgt hat. Ob 2011, 2008 oder im Jahr 2000 – wenn so schnell so viel Kredit aufgenommen wurde, kam es in der Folge zu größeren Drawdowns (Grafik 1).


Es ist nicht nur das Risiko, das sich an einem Umkehrpunkt befindet. Es ist auch die Bewertung. Die Gewinnrendite (umgekehrtes KGV) sinkt derzeit Richtung 2 %. Das war im Jahr 2000 und 2008 ein Umkehrpunkt. In den Jahrzehnten zuvor lag der Wert bei 4 %. Die Halbierung des Wertes trägt dem niedrigeren Zinsniveau Rechnung.

Wie man es auch dreht und wendet, der Markt ist an einem Umkehrpunkt, wenn man daran glaubt, dass sich Verhaltensmuster wiederholen. Wer das nicht tut, kann das alles ignorieren. Wer nicht daran glaubt, dass diesmal alles anders ist, sollte eine gesunde Paranoia haben. Es geht nicht darum, voreilig alles zu verkaufen. Überschwang kann sich überraschend lange halten. Es geht darum, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass der Markt an einem kritischen Punkt ist. Nur dann kann man auch schnell und sinnvoll handeln.

Clemens Schmale


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3 Kommentare

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  • Kahroba
    Kahroba

    Ich glaube dass diesmal anders ist und ich glaube ich habe kein Paranoia. In den vergangenen Jahrzehnten waren Notenbanken vor allem FED die Ursache der Zusammenbrüche (original nach Halver: finanzielle Massenvernichtungs Waffe). Das fehlt diesmal. Es ist sogar umgekehrt. FED kauft den Markt leer

    14:44 Uhr, 11.02.2021
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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