Aktienmärkte in der "Twilight Zone"? - Die Mehrheit erwartet eine langsame W-förmige Erholung
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Aktienanleger haben gerade eine der wildesten Berg- und Talfahrten in der Wirtschaftsgeschichte erlebt. Einem schier bodenlosen Kurssturz folgte eine ebenso bemerkenswerte Erholung und die Verlierer von 2008 wurden zu den Gewinnern von 2009. All das geschah binnen weniger Monate, nicht Jahre. Wir leben in einer Welt der Superlative. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir keinen derart jähen konjunkturellen Absturz erlebt und niemals zuvor haben Regierungen und Zentralbanken so offensiv reagiert. Kein Wunder, dass Investoren der Kopf schwirrt!
Die Anlegerschaft ist derzeit in zwei Lager gespalten: Die Mehrheit erwartet immer noch eine langsame W-förmige Erholung, bei der es zwangsläufig zu gelegentlichen Rückschlägen kommen wird, wenn die Lager der Unternehmen erst einmal wieder gefüllt sind, bevor die Verbraucherausgaben erneut steigen. Dieses Muster ließ sich bei früheren Rezessionen häufig beobachten und wird diesmal voraussichtlich noch ausgeprägter sein, da die erforderlichen Bilanzsanierungen bei Unternehmen und Staat eine rasche Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit bremsen.
Demgegenüber rechnet eine kleinere, aber dennoch beachtliche Gruppe von Anlegern mit einer V-förmigen Erholung. Diese Erwartung stützt sich auf die Hoffnung, dass Staat und Notenbanken weiterhin enorme Geldmengen zur Konjunkturförderung in die Wirtschaft pumpen werden. Die Verfechter der „V-These“ begründen ihre Annahme zudem damit, dass weitaus mehr Anleger der „W-These“ folgen und die gegenwärtige Rally daher verpasst haben. Wird die erwartete Kursdelle daher verstärkt zum Kauf genutzt, würde dies die Kursdelle effektiv verhindern.
Nüchtern betrachtet macht das Szenario einer W-förmigen Erholung allerdings mehr Sinn. Die alternative V-Sichtweise verlässt sich hingegen darauf, dass Regierungen und Zentralbanken ihre finanzielle Unterstützung in großem Umfang und auf Dauer fortsetzen werden. Das war der Fehler, den Greenspan nach dem Platzen der IT-Blase gemacht hatte, und genau damit legte er den Grundstein für die Kreditblase. Man kann nur hoffen, dass diejenigen, die zurzeit die wirtschaftspolitischen Geschicke bestimmen, daraus gelernt haben. Angesichts des steilen Anstiegs der Renditen von US-Staatsanleihen und der erneuten Dollar-Schwäche ist es eher unwahrscheinlich, dass die Märkte die USA für die Überreizung der Konjunktur belohnen werden. Letztendlich bedeuten höhere Anleiherenditen auch höhere Hypothekenzinsen. Das würde indes eine Erholung am Immobilienmarkt hemmen. Auch der jüngste Aufwärtstrend bei den Rohstoffpreisen, der allerdings weniger auf Realitäten als auf Optimismus beruht, könnte die wirtschaftliche Erholung bremsen.
Seit der Rally am Aktienmarkt und dem Anstieg der Staatsanleiherenditen sind Aktien nicht mehr besonders preiswert. Andererseits sind sie aber auch nicht überteuert. Mit anderen Worten: Aus den Bewertungen lassen sich vorerst keine Verkaufs- bzw. Kaufsignale ablesen. Die Angst vor einer Depression und dem systemischen Risiko im Bankensektor hat sich mittlerweile völlig verflüchtigt. Diese positiven Impulse werden allerdings dadurch aufgewogen, dass die Weltwirtschaft 2010 – und damit die Unternehmenserträge – wahrscheinlich nicht schnell genug wachsen werden, um weitere kräftige Kurszuwächse bei Aktien zu rechtfertigen.
Wir befinden uns also anscheinend in einer Art „Twilight Zone“, in der wir uns auf alle Eventualitäten gefasst machen sollten.
Vor dem Hintergrund einer Weltwirtschaft, die von Verbrauchern, Banken und Regierungen tief greifende Bilanzsanierung fordert, könnte diese Phase sogar länger als ein Jahr andauern. Während dieser Zeit dürften sich die Aktienmärkte innerhalb einer breiten Kursspanne bewegen (mit einer Differenz von +/- 20 Prozent gegenüber dem gegenwärtigen Niveau). Die Berg- und Talfahrt setzt sich also fort, wenn auch nicht ganz so extrem. Gerade bei den anhaltend niedrigen Inflationsraten können Investoren unterdessen attraktive Dividendenrenditen mitnehmen.
Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management
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