Kommentar
05:54 Uhr, 15.11.2018

Aktien kaufen: Die Sache mit dem Timing

Gutes Timing zu haben ist die wichtigste Fähigkeit für Anleger. Gleichzeitig ist es am schwierigsten umzusetzen.

Bei Timing geht es mir nicht darum, ob man um 10 Uhr oder 10.12 Uhr kaufen und um 10.33 Uhr oder 10.45 Uhr wieder verkaufen sollte. Das ist ein Thema für Daytrader. Vielmehr geht es um einen langfristigen Zeithorizont und Fragen, ob man kaufen sollte, wenn die Zinsen hoch sind und das KGV niedrig ist. Das klingt leichter gesagt als getan. Jeder lernt, dass man kaufen soll, wenn das KGV niedrig ist. In den letzten Jahrzehnten war nichts unsinniger als genau das zu tun. Börse ist etwas komplizierter. Nicht zuletzt deswegen bleibt Timing für viele so schwierig.

Unzählige Faktoren beeinflussen das tägliche Kursgeschehen. Da mitzuhalten ist fast unmöglich. Das ist vermutlich auch ein Grund, weshalb Privatanleger viel Geld verlieren, wenn sie sich im Daytrading versuchen. Warren Buffett empfiehlt Privatanlegern einen langfristigen Zeithorizont. Damit hat er recht, lässt aber auch die Frage unbeantwortet, wann man kaufen sollte.

Jeder sieht, dass die Kurse heute recht hoch sind. Zugleich ist der Markt auch analytisch recht hoch bewertet. Es ist also nicht unbedingt der beste Zeitpunkt, um auf Sicht von 5 oder sogar 10 Jahren zu kaufen.

Da sind zum einen die Zinsen, die steigen. Zinsen und Kurse sind indirekt miteinander korreliert. Die Korrelation lässt sich in eine einfache Formel packen: steigen die Zinsen, sinkt das KGV (Grafik 1). Veränderungen im KGV bedeuten allerdings nicht automatisch auch eine Veränderung der Kurse. Das KGV kann sinken, die Kurse aber gleichzeitig steigen. Dies geschieht, wenn die Gewinne der Unternehmen schneller steigen als die Kurse. Das war in den letzten Monaten der Fall, zusätzlich zu der Korrektur im Oktober.


Die Zinsen steigen aktuell und ein Ende ist noch nicht absehbar. Wegen der hohen Korrelation bedeutet dies, dass man sich keine Kurswunder erhoffen darf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das KGV weiter sinken wird. Das muss allerdings nicht zwangsläufig einen Bärenmarkt heraufbeschwören.

In den letzten zwei Zyklen fiel das KGV mitten im Bullenmarkt (Grafik 2). Der beste Zeitpunkt für den Verkauf von Aktien war das zyklische Tief beim KGV. Der beste Zeitpunkt für den Kauf hingegen war das zyklische Hoch beim KGV.


Das widerspricht allen Regeln, die man als Anleger so lernt. Bis in die 80er Jahre galt auch tatsächlich, dass man am besten bei niedrigem KGV hätte kaufen sollen. Vor dem letzten und vorletzten Bärenmarkt war das anders.

Nun stellt sich die Frage, ob die Erfahrung der letzten zwei Bärenmärkte immer noch gilt oder ob wir zur langfristigen Systematik zurückkehren. Aus heutiger Perspektive erwarte ich einen raschen Anstieg des KGV, wenn die Unternehmensgewinne in der nächsten Rezession fallen. Das führt dann zu der etwas paradoxen Timing-Strategie: Verkaufen, wenn das KGV hoch ist (also jetzt) und kaufen, wenn das KGV noch höher ist (wenn die Gewinne fallen).

Autor: Clemens Schmale

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