Kommentar
13:15 Uhr, 08.04.2009

Aktien: Haben wir das Gröbste hinter uns?

Nach der blinden Panik in den letzten Monaten des vergangenen Jahres sind die Aktienmärkte nun eindeutig in eine reifere Phase der Baisse eingetreten. Jetzt müssen Investoren allmählich wieder das Vertrauen in die Fähigkeit der politischen Entscheidungsträger gewinnen, um eine destruktive deflationäre Spirale abzuwenden. Im Gegensatz zu Ende 2008 können Investoren jetzt wenigstens darauf vertrauen, dass die Probleme bei Konjunktur und Finanzmärkten aktiv angegangen werden – gegebenenfalls auch mit unkonventionellen Methoden. Auch die Ertragserwartungen befinden sich wieder auf einem realistischeren Niveau: Die Marktteilnehmer haben sich mittlerweile auf einen 50%igen Rückgang bei den weltweiten Gewinnen eingestellt (vom Höchst- bis zum Tiefststand).

Was bedeutet das also für die Aktienmärkte und ihre Unterstützungslinien? Zunächst einmal sollten europäische Anleger ihre eigenen Länderindizes ignorieren und sich einzig auf den amerikanischen S&P 500 konzentrieren. Schließlich sind es die USA, die nach wie vor die Gangart an den globalen Aktienmärkten angeben. Die entscheidende technische Unterstützungslinie des S&P liegt im Bereich 650 bis 680. Eine Unterschreitung dieser Unterstützungslinie bedeutet gleichzeitig ein Sinken unter die obere Trendlinie, die bereits seit 1928 besteht. Dann könnte der S&P sogar noch um weitere 20 bis 30 Prozent fallen. Es ist daher kein Zufall, dass der Index im März bei 666 Punkten – also inmitten des Korridors der Unterstützungslinie – seinen niedrigsten Stand erreichte (für abergläubige Anleger sicher ein interessantes Omen). Nach unserer Einschätzung könnte dieser Tiefpunkt auch den tiefsten Stand des aktuellen Bärenmarktes markieren, obschon die Widerstandslinien erneut getestet werden könnten.

Schaut man sich die Baisseperioden seit dem Zweiten Weltkrieg einmal genauer an, fallen deutliche Gemeinsamkeiten auf. In fast jeder Schwächephase erreichte der S&P Index drei kritische Tiefststände. Das erste Tief wird regelmäßig nach einer Phase der Panikverkäufe erreicht (November 2008). Das zweite – niedrigere – Tief fand dann in einem weniger panischen Umfeld (März 2009) statt. Und das dritte Tief lag in etwa auf dem Niveau der Unterstützungslinien, sozusagen um zu testen, „ob die Linie hält“. Sofern es nicht zu einem Worst-Case-Szenario kommt, könnte sich dieses Muster diesmal durchaus wiederholen. Unter Umständen könnten die Tiefststände vom März dann erneut getestet werden.

Momentan eskomptieren die Märkte einen globalen Ertragseinbruch von rund 50 Prozent, der Europa etwas stärker als die USA treffen wird. Diese Annahme entspricht auch unserem zentralen Szenario einer tiefen Rezession in 2009 und einer langsamen konjunkturellen Erholung in 2010. In den kommenden Monaten werden Investoren sich im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Furcht bewegen – Hoffnung, dass die wirtschaftspolitischen Maßnahmen greifen, und Furcht, dass unsere Volkswirtschaften der „japanischen Krankheit" erliegen könnten. Normalerweise setzt eine nachhaltige Erholung erst ein paar Monate vor Erreichen der Ertragstalsohle ein. Damit ist allerdings nicht vor Ende 2009/Anfang 2010 zu rechnen. Davon abgesehen würden wir eine Aktien-Rally, die nicht von sinkenden Renditen bei Unternehmensanleihen (im Vergleich zu Staatsanleihen) begleitet ist, mit einer gewissen Skepsis betrachten. Ein weiterer Faktor sind die Immobilienpreise in den USA, die erst noch die Talsohle hinter sich lassen müssen.

Fazit: Die Chancen stehen gut, eine destruktive deflationäre Spirale zu vermeiden. Gleichzeitig bieten die Aktienmärkte interessante Einstiegsniveaus. Irgendwann in den nächsten zwölf Monaten wird es wieder aufwärts gehen, wobei die USA und die asiatischen Volkswirtschaften den Anfang machen werden. Hinge es allein von der eher calvinistisch geprägten und trägen EZB ab, hätten wir weniger Hoffnung auf einen baldigen Aufschwung. Nichtsdestotrotz müssen wir uns weiterhin in Geduld üben. Wir werden unser Aktienengagement nur allmählich ausweiten, da die Tiefststände vom März im weiteren Jahresverlauf erneut getestet werden könnten.

Autor: Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.

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