Analyse
20:19 Uhr, 17.10.2008

Abgenutzte "Pessimismus"-Indikatoren an der Wall Street

Externe Quelle: UniCredit

Hinsichtlich unseres seit dem 17. Januar gültigen, lange Zeit extrem unter dem Konsens gelegenen, aber dennoch nach strenger Formelauslegung als konservativ zu bezeichnenden, mittelfristigen Targets für den STOXX 600 bei 220/200 Indexpunkten haben wir Anfang des Monats, sowie mit exaktem Anlaufen der 200, die Überprüfung und Überarbeitung durchgeführt. Die Umkehrformationen der Charts haben ihre Schuldigkeit exakt getan; die bisherige verhaltene Elliott-Zählung kann demnach allerdings kaum aufrecht erhalten werden. Die urprungs bei den Targets im Januar angesetzten sehr verhaltenen Elliott-Counts haben sich als deutlich aggressiver entpuppt und sind u.E. noch nicht finalisiert. Der zweite mittelfristige Abwärtsimpuls sollte demnach absehbar das übliche lehrbuchgemäße Ausmaß des 1,6-fachen des ersten Impulses ausmachen, womit sich ein Target für den zweiten von drei mittelfristigen Abwärtsimpulsen von 155 beim STOXX 600 ergibt. Kurzfristig (ab letztem Freitag) sahen und sehen wir auch weiter die Chance auf das Ende des zweiten von drei kurzfristigen Impulsen und damit die stärkste bislang in diesem Jahr gesehene kurzfristige technische Erholung. Als Retracement haben wir diesbezüglich das 61,8 Retracement des letzten kurzfristigen Abwärtsimpulses seit Anfang September bei 5760 im DAX oder ein Potenzial von 34 Prozentpunkten identifiziert, von denen im ersten Zwischensprint bereits 25 Prozentpunkte angelaufen wurden.

Hinsichtlich der technischen Indikatorenfront haben sich kurzfristige maßgebliche Verbesserungen ergeben. Der wesentliche Kritikpunkt bei den mittelfristigen Indikatoren bleibt allerdings erhalten: Die meisten Marktteilnehmer definieren einen Sellout als einen Kurssturz bei extremen Umsätzen. Diese Interpretation hat in diesem Jahr mittelfristig nicht funktioniert. Eine weitere Eingrenzung treffen dann diejenigen, die als Kriterium noch den Anstieg bei VDAX oder VIX hinzuziehen. Dies ist in diesem Jahr allerdings auf das Problem gestossen, dass der VDAX lange nicht die üblichen, bestenfalls verzögerten, Anstiege verzeichnet hat, und der VIX alle Extrem-Werte aus der Vergangenheit ungebremst nochmals überschritten hat. Wir haben es selbst in diesen Extremwerten bislang abgelehnt den finalen Selling Climax zu sehen. Überhaupt stellt sich die Frage, ob VDAX oder VIX noch geeignete Stimmungsindikatoren sind. Wie allgemein bekannt, ist die maßgebliche Determinante für die Bildung des Optionspreisniveaus die historische, also tatsächlich realisierte, Volatilität. Nicht ein einziger Call oder Put muss gekauft sein, damit sich VDAX, VIX parallel zu der historischen Volatilität der Kurse bewegen. Die realisierten Tages-/Wochen-Schwankungen innerhalb dem betrachteten Vergleichszeitraum sind dieser Tage sogar oft noch größer als die impliziten. Formelbedingt ist dies auch völlig logisch, denn neben Logarithmierung, Annualisierung und Abweichung befindet sich in der Formel auch der Trend (Mittelwert der logarithmierten Tagesveränderungen im Zeitraum), und dieser geht am Wendepunkt bekanntermaßen in Richtung Null.

Konsequenterweise sind in solchen Situationen die Volatilitäten auch sehr hoch, was zwar eine hohe Schwankung aber nicht mehr ein tatsächliches Verlustrisiko bedeutet. Market Maker an der EUREX wissen natürlich um solche Effekte und schon daher wird am Low eben oftmals die implizite Volatilität nicht mehr die historische übersteigen, obgleich sie extrem hoch ist, wie eben dieser Tage. Ergänzend sei angefügt, dass beim S&P 500 zum Zeitpunkt des absoluten Markttiefs im Jahr 2002 bereits sichtbare positive Divergenzen des VIX vorlagen und auch der Ausgangspunkt der TMT-Hausse hierzulande war von einem einstelligem VDAX geprägt. Die klassischen technischen Indikatoren Preis, Volumen, Volatilität sind zwar ein vordergründiger Hinweisgeber aber kein zwingender Beleg für Pessimismus oder Optimismus.

Anders der Vola-Skew oder Smile. Dieser ist regelmäßig ein Ausdruck des Gestaltungsspielraums der Market Maker von Indexoptionen aufgrund der Marktsituation. Während wir zuletzt von extrem spät und unvermittelt angestiegenen Smiles in Euroland berichteten, war dergleichen an der Wall Street bei den Indexoptionen auf den S&P 500, abgesehen von einem leichten jüngsten Pick-Up, immer noch nicht substanziell zu beobachten. Andere Indikatoren, wie z.B. der Bull-/Bear-Spread der AAII zeigten das gleiche Bild. Denjenigen, die allerorten Pessimismus (siehe oben) als antizyklisches Kaufargument wahrnehmen wollen, ist hier eine fast als starrsinnig unverbesserliche Grundhaltung der Wall Streetianer, dass wie immer auch diesmal alles gut gehen wird, entgegen zu halten. Auch gab es nach unseren Beobachtungen in der Berichterstattung vom Big Board auf den Nachrichtenkanälen nach Beschlussfassung über das US-Rettungspaket kaum jemanden der dies nicht als ersten Boden bezeichnet hatte. Und auch die jüngsten Äußerungen von Warren Buffet sind bestimmt kein Ausdruck, dessen, dass von Seiten strategischer Investoren hier wirklich daran gedacht wird, Aktien auf diesen zurückgenommenen Levels freiwillig zu verkaufen. Soviel zu den antizyklisch zu interpretierenden Stimmungsindikatoren. Von einem definitiv umgekehrt, nämlich prozyklisch zu interpretierenden Stimmungsindikator, den Insiderkäufen, kommt im Fazit die gleiche Aussage. Unternehmenslenker in den USA weisen demnach derzeit alles andere als starkes Vertrauen in das eigene Unternehmen auf, wobei sie bekanntermaßen historisch ein extrem gutes Näschen und damit einen fast todsicheren Trackingrekord bei Zukäufen ins eigene Unternehmen bewiesen haben. Es gilt damit unverändert: Insbesondere in den USA lassen die mittelfristigen Sentiment-Indikatoren, ob pro- oder antizyklischer Natur, die Schlussfolgerung eines finalen Selling Climax damit noch nicht zwingend zu. Angemerkt sei aber gleichwohl, dass es nicht immer der Selling Climax ist, der den finalen Boden markiert. Aus kurzfristiger Sicht sehen wir allerdings keine ausreichenden Gegenindikationen zu unserer Einschätzung eines veritablen kurzfristigen Rebounds Richtung 5760 im DAX.

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Über den Experten

André Tiedje
André Tiedje
Technischer Analyst und Trader

André Tiedje handelt seit 1999 an der Börse. Im Laufe der Börsentätigkeit eignete er sich fundierte Kenntnisse hinsichtlich der klassischen Charttechnik an und gelangte letztendlich zu den Elliott-Wellen, die ihn bis zum heutigen Tag faszinieren. Tiedje begann damit, aus der Elliott-Wellen-Theorie eigene modifizierte Handelsstrategien abzuleiten. Seit September 2004 veröffentlicht er Analysen auf stock3 und betreut die Premium-Services André Tiedjes Elliott-Wellen-Analysen und Elliott-Wellen-Trading mit André Tiedje. Zusätzlich bietet er mit dem ICE Revelator einen Signal-Service an, der automatisierte Trading-Signale auf Basis seiner modifizierten Handelsstrategie liefert.

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