Kommentar
12:30 Uhr, 15.05.2007

Abgeltungsteuer: Derivate Forum warnt vor Ungleichbehandlung von Zertifikaten

Die am 11. Mai verabschiedete Stellungnahme des Bundesrates zur Abgeltungsteuer sieht vor, für den Übergang eine Sonderregel für Zertifikate einzuführen. Diese stellt Besitzer von Zertifikaten schlechter als die von Aktien oder Fonds. Wird der Vorschlag des Bundesrates umgesetzt, könnten selbst Anleger, die Zertifikate vor dem 1. Januar 2009 gekauft haben, ihre Wertpapiere nur noch zum 30. Juni 2009 steuerfrei veräußern. Das Derivate Forum befürchtet eine Welle von Verkäufen vor diesem Stichtag und damit verbunden einen Rückschlag am Aktienmarkt.

„Wir haben die Abgeltungsteuer von Anfang an begrüßt, da sie in der Besteuerung von Kapitaleinkünften eine Gleichberechtigung aller Wertpapiere einführt. Finanzinnovationen werden in Zukunft genauso besteuert wie alle anderen Produkte auch“, erläutert Siegfried Piel, Vorstandsvorsitzender des Derivate Forums. „Diese Gleichbehandlung aller Geldanlagen steht nun wieder zur Disposition", warnt Piel.

Zwar teilt das Derivate Forum die Auffassung des Bundesrates, dass Produktideen zur Umgehung der Abgeltungsteuer nicht schützenswert sind. Allerdings schüttet der Vorschlag des Bundesrates das Kind mit dem Bade aus. Er würde den Übergang zwischen der alten und der neuen Steuerwelt für a l l e Zertifikate regeln, während die in der Begründung angeführte Produktidee nur einen Bruchteil – nämlich knapp 0,3 Prozent des Marktes – ausmacht.

Der Vorschlag zur Änderung der bislang geplanten Übergangsreglung wurde durch eine Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf am 11. Mai in den Gesetzgebungsprozess eingebracht. Der Bundesrat begründet seinen Vorschlag damit, dass einige Modelle die Steuerfreiheit möglichst lange sichern wollten, indem in Endloszertifikaten die Basiswerte vom Emittenten nach eigenem Gutdünken ausgetauscht werden könnten. Dies will die Initiative des Bundesrates verhindern.

Das Derivate Forum hält dem entgegen, dass 70 Prozent aller heute bestehenden Produkte eine Laufzeit von über zwei Jahren haben und damit von einer Ausdehnung der Übergangsregelung auf ältere Papiere betroffen wären. Das entspricht einem Anlagevolumen von 88 Mrd. Euro. Darüber hinaus wären alle ab heute bis zum 31. Dezember 2008 emittierten derivativen Wertpapiere ebenfalls betroffen. Piel fordert daher: „Die Stärke von Zertifikaten liegt in ihren langen Laufzeiten, denn so können Anleger ihre langfristigen Anlageziele verwirklichen – ohne ständig umschichten zu müssen. Damit das Vertrauen der Anleger nicht nachhaltig beschädigt wird, muss der Bestandsschutz für "Altpapiere" bestehen bleiben.“

Dagegen gilt diese Sonderregel für Aktien und Fonds nicht. Der Bestandschutz bleibt intakt: Alle Aktien und Fondsanteile, die vor dem Stichtag gekauft werden, sind nach Ablauf der einjährigen Spekulationsfrist ohne zeitliche Begrenzung steuerfrei.

Dass die unterschiedliche Regelung des Übergangs für Zertifikateanleger sehr nachteilig ist, zeigt das folgende Beispiel mit zwei fast identischen Produkten.

1. Angenommen, ein Anleger hätte im Jahr 2003 bei einem DAX-Stand von 3000 Punkten ein DAX-ETF im Wert von 30 Euro gekauft und verkauft das ETF 2010 zu 70 Euro (bei einem DAX-Stand von 7000 Punkten). Damit läge das Produkt außerhalb der Spekulationsfrist, die für Altpapiere bei Fonds bestehen bleibt. Folglich kann Ertrag von 40 Euro vom Anleger steuerfrei vereinnahmt werden.

2. Angenommen, der gleiche Anleger hätte im Jahr 2003 anstatt des DAX-ETFs ein Indexzertifikat auf den DAX zu 30 Euro bei DAX-Stand von 3000 Punkten erworben. Er verkauft dieses Zertifikat im Jahr 2010 zu einem Kurspreis von 70 Euro – auch hier steht der DAX bei 7000 Punkten. Hier tritt nun der Unterschied in der Besteuerung ein: Zwar liegt die Veräußerung außerhalb der alten Spekulationsfrist; da aber das Zertifikat nach Ablauf der Übergangsfrist am 30. Juni 2009 verkauft wurde, unterliegt der Gewinn der Abgeltungsteuer. Die Konsequenz ist, dass der Ertrag von 40 Euro mit 25 Prozent besteuert wird. Der Anleger erhält damit 30 Euro – und nicht 40 Euro wie beim ETF.

„Falls das Gesetz so verabschiedet wird, erwarten wir, dass die Privatanleger durch die sechsmonatige Übergangsfrist motiviert werden, vor dem Stichtag ihre Bestände zu großen Teilen zu veräußern, um ihre Erträge steuerfrei vereinnahmen zu können“, stellte Siegfried Piel die Konsequenzen einer solchen Regelung dar. Ausgelöst von dieser Veräußerungswelle wird nach Einschätzung des Derivate Forums der Aktienmarkt massiv einbrechen. 87 Prozent aller Derivate beziehen sich auf Basiswerte in Aktien wie Indizes, Einzeltitel oder Aktienkörbe. Eine Benachteiligung dieser Produkte würde zugleich den Unternehmen schaden, in die über Zertifikate investiert wird. Ein Rückzug aus Zertifikaten würde – das Derivate Forum befürchtet einen Größenordnung von 40 Mrd. Euro – einen Rückschlag am Aktienmarkt bewirken – mit allen Nachteilen für die Eigenkapitalfinanzierung in Deutschland. "Dabei waren gerade die Zertifikate dasjenige Finanzinstrument, das die deutschen Privatanleger nach der Aktienbaisse genutzt haben, um in den Aktienmarkt zurückzukehren", so Piel.

Zugleich sind deutsche Emittenten derivativer Wertpapiere auch international erfolgreich und spielen als Emittenten auch im Ausland häufig eine führende Rolle. Eine Diskriminierung im Heimatmarkt würde auch die Führung deutscher Emittenten im Ausland unterminieren und damit letztendlich die Vorreiterrolle des Finanzplatzes Deutschland im internationalen Zertifikatemarkt schwächen. Dabei haben die deutschen Politiker in den letzten Jahren viel für die Förderung des Finanzplatzes Deutschland getan. Dies würde mit der geplanten Sonderregel für Zertifikate wieder zurückgenommen.

Daher fordert das Derivate Forum die Bundesregierung auf, die Sachverhalte der steuerlich motivierten Umgehungsstrategie genau zu definieren, um den Kollateralschaden für die Branche möglichst gering zu halten. Es ist denkbar, diese Sonderübergangsregel nur für solche Zertifikate einzuführen, die endlos laufen und eine diskretionäre Entscheidung des Emittenten für den Basiswert ermöglichen. Damit wäre einer rein steuerlich motivierten Investition der Riegel vorgeschoben und der Schaden für die Branche begrenzt.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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