Kommentar
12:50 Uhr, 17.04.2009

„30 Jahre nach 12“

Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg bringt es auf den Punkt: Die demografische Entwicklung in Deutschland läuft ab wie ein Uhrwerk. Die Bevölkerung geht zurück und altert doppelt. Ist diese Entwicklung noch umkehrbar und worauf sollten wir uns einstellen?

Nicht einmal 700.000 Kinder kamen im letzten Jahr in Deutschland auf die Welt – 50 % weniger als noch 1964, dem Höhepunkt der Babyboom-Jahre. Die rückläufige Zahl der Geburten ist ein Trend, der bereits Ende der 1960er Jahre einsetzte; bekannt geworden als Pillenknick. Gleichzeitig mit der beinahe Halbierung der Geburtenzahlen sank auch die so genannte „Fertilitätsrate“. Diese Fruchtbarkeitsrate drückt aus, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens zur Welt bringt. 2007 lag sie bei 1,37. Ende der 1960er betrug sie noch 2,6. Konsequenz: Die Bevölkerung schrumpft. Um sie konstant zu halten, wäre eine Fertilitätsrate von 2,1 notwendig. Biologisch bedeutet das: Zwei Partner kommen zusammen und setzen sich idealerweise zweimal fort – dann bleibt die Bevölkerungszahl unverändert. So aber nimmt die Bevölkerung Generation um Generation um 30 % ab. Denn die knapp 1,4 Kinder pro Partner entsprechen nur 2/3 der zum Bevölkerungserhalt nötigen Kinder.

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Demografisch betrachtet, analysiert Prof. Dr. Herwig Birg, ist es in Deutschland „30 Jahre nach 12“, eigentlich sogar schon etwas später, denn der Pillenknick setzte bereits Anfang der 1970er Jahre ein. Diese Entwicklung ist unumkehrbar: Die Frauen, die während der letzten 30 Jahre nicht geboren wurden, können jetzt auch keine Kinder bekommen, um die Lücke zu füllen. Selbst wenn die Geburtenrate über Nacht auf 2 ansteigen würde, die Bevölkerung in Deutschland würde bis zum Jahr 2050 weiter schrumpfen.

Zuwanderungen können diesen Trend kaum ändern. Der Wanderungssaldo (Zuwanderungen minus Abwanderungen) liegt seit Mitte der 1990er kaum über 200.000 Menschen. Während der letzten Jahre waren es nur rund 50.000 Menschen, die mehr nach Deutschland kamen, als abwanderten. Zu wenig. Die Vereinten Nationen kommen zu dem Schluss: Bis 2050 müssten ca. 190 Mio. Menschen (!) zuwandern, um den Demografieeffekt bei den Erwerbstätigen auszugleichen – pro Jahr ca. 4,6 Millionen. Unrealistisch. Aber nur dann würde der Altenquotient, der die Relation der 65-Jährigen zu den Jüngeren wieder gibt, konstant bleiben. Die Zahl mag groß erscheinen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zuwanderer ja auch ihre eigene Biografie mitbringen, selbst über die Zeit älter werden und dann aus dem Berufsleben ausscheiden.

Udo Jürgens hat Recht!

Die Folge: Da immer weniger Jüngere nachkommen, nimmt die Bevölkerung in Deutschland ab und wird gleichzeitig älter. Sie altert sogar doppelt, denn auch die Lebenserwartung steigt weiter. Während der letzten 160 Jahre stieg sie pro Dekade um 2,5 Jahre. Nach James Vaupel, Professor am Max- Planck-Institut für demografische Forschung, könnte in 60 Jahren die Lebenserwartung bei 100 Jahren liegen.

Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes kann eine 65-jährige Frau schon heute erwarten, noch 20 Jahre zu leben. Dabei darf die eigene Lebenserwartung nicht mit jener verwechselt werden, die regelmäßig veröffentlich wird. Denn dabei handelt es sich zumeist um die Lebenserwartung Neugeborener. Hier fehlt der Aspekt, dass die Lebenserwartung mit den Todesfallwahrscheinlichkeiten, die ein Mensch bereits überlebt hat, zunimmt. Anders ausgedrückt: Je älter jemand wird, desto länger kann er erwarten zu leben. Udo Jürgens hat Recht – übertragen auf das neue Renteneintrittsalter: „Mit 67 Jahren, da fängt das Leben an.“

Was folgt daraus?

• Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird bis 2050 auf voraussichtlich 74 Mio. Menschen zurückgehen; unterstellt, es wandern pro Jahr 200.000 mehr Menschen ein als aus.

• Das Erwerbspersonenpotenzial sinkt von heute 54 Mio. bis 2050 um voraussichtlich 20 % auf 42 Mio.

• Der Altenquotient (Personen mit 65 Jahren und älter in Relation zu den 15 - 64- Jährigen) steigt von heute 30 % auf 52 % im Jahr 2035.

• 2050 wird der Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung knapp 50 % betragen.

Demografisch ist es 30 Jahre nach 12 – aber es ist nie zu spät mit der eigenen Zukunftssicherung zu beginnen.

Hans-Jörg Naumer - Leiter Kapitalmarktanalyse von Allianz Global Investors

Allianz Global Investors Deutschland verwaltet rund 270 Milliarden Euro (Stand: 30.09.2008) für private sowie institutionelle Anleger und ist damit Deutschlands größter Asset Manager. Weltweit gehört Allianz Global Investors mit 969 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen zu den größten aktiven Vermögensverwaltern und ist in mehr als 25 Wirtschafts- und Wachstumszentren mit über 900 Investmentprofis vertreten.

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