Kommentar
11:40 Uhr, 29.11.2013

2014 wird die EZB noch mehr Spielstärke zeigen

Die US-Konjunkturerholung erfährt im IV. Quartal 2013 weitere Unterstützung. Nach einer zwischenzeitlichen Beruhigung zeigt der US-Immobiliensektor zuletzt wieder Stabilisierungstendenzen. So legten die Baugenehmigungen nach ihrem Seitwärtstrend der letzten Monate wieder merklich zu. Die nächsten Daten zu den Baubeginnen dürften dieser Bewegung folgen.

Auch die Investitionsbereitschaft der US-Unternehmen zeigt sich gestärkt. Zwar verzeichneten die US-Auftragseingänge für zivile Kapitalgüter ohne Transport - ein bedeutender Indikator für die Investitionsneigung der Privatwirtschaft - im Oktober einen Rücksetzer. Dieser Ausrutscher ist jedoch auf die Verunsicherung der Unternehmen im Rahmen des US-Budgetstreits zurückzuführen. Für eine Anknüpfung an die alte Stärke spricht der steigende Trend der Neuaufträge für das Verarbeitende Gewerbe gemäß ISM- Index. Damit füllen die „harten“ Konjunkturdaten die positiven soften Frühindikatoren zunehmend mit Leben.

Deutscher Konsum robust

Die deutsche Wirtschaft glänzt mit einer ungebrochen starken Binnennachfrage, die sich längst als zweites Standbein neben dem Export etabliert hat. Der deutsche GfK Konsumklimaindex notiert mit 7,4 wieder auf ähnlich hohem Niveau wie vor der Immobilienkrise. Die stabile Lage auf dem Arbeitsmarkt gepaart mit realen Einkommenszuwächsen tragen laut GfK zu einer robusten Anschaffungsneigung im November auf dem höchsten Stand seit sieben Jahren bei. Auch die letzte Zinssenkung der EZB lässt den Sparanreiz weiter schwinden. Stattdessen wird das Geld ausgegeben.

Der Fluch der guten geldpolitischen Tat

Die Konjunkturstimmung in anderen Euro-Staaten ist weniger positiv. Insofern ist die EZB gezwungen, ihr Niedrigzinsniveau noch für lange Zeit aufrechtzuerhalten. Und zur weiteren realwirtschaftlichen Stabilisierung werden namhafte Vertreter der EZB nicht müde zu betonen, dass noch genügend weitere geldpolitische Instrumente zur Verfügung stehen.

Insbesondere die Deflationsrisiken in den Euro-Südstaaten behält die EZB wachsam im Auge. Angesichts der schwachen Preisentwicklung bei Energierohstoffen, insbesondere Rohöl, dürfte der Inflationsdruck von dieser Seite weiter schwach ausfallen. Grundsätzlich haben die Risiken für die globale Ölversorgung nachgelassen, nachdem - zumindest vorläufig - eine Einigung im Atomstreit mit dem Iran erzielt wurde.

Mit einer aktuellen Inflationsrate im Euro-Durchschnitt von aktuell 0,9 Prozent gegenüber Vorjahr - weit entfernt vom Zielwert der EZB von zwei Prozent - eröffnet das der Notenbank weiteren Spielraum für Leitzinssenkungen. Über eine Senkung des Einlagenzinses für von Geschäftsbanken bei der EZB geparktes Geld auf minus 0,1 Prozent wird bei der EZB laut nachgedacht. Mit dieser Strafgebühr drängt die EZB die Geschäftsbanken theoretisch dazu, Zentralbankgeld als Kredite zu vergeben.

Der EZB ist bewusst, dass eine nachhaltige Wirtschaftserholung der Eurozone ohne neue Kreditausleihungen an Haushalte und Unternehmen unmöglich ist. Die aktuelle Kreditschrumpfung in der Eurozone zeichnet sogar ein Rezessionsbild. Praktisch höheren Kreditausleihungen steht allerdings der Anfang 2014 anstehende Banken-Stresstest der EZB und die allgemein verschärften Kapitalanforderungen für die Kreditwirtschaft entgegen. Banken werden insofern genötigt, ihr Eigenkapital zu schonen, mit dem neue Kreditausleihungen zu unterlegen sind.

Sicherlich würden Geschäftsbanken bei Einführung von Strafzinsen ihre Liquiditätsreserven bei der EZB verringern. Diese investierten die Banken dann jedoch schwerpunktmäßig in Staatsanleihen der Eurozone, für die aufgrund der unterstellten Bonität keine Eigenkapitaldeckung erforderlich ist. Für die Banken sind dies lohnende Anlageobjekte: Banken legen das extrem zinsgünstige Geld der EZB in deutlich höherrentierliche, z.B. 10-jährige, italienische, spanische oder portugiesische Staatsanleihen an und verdienen auf diese Weise bis Fälligkeit der Papiere attraktive vier bis knapp sechs Prozent Zinsgewinn jährlich.

Grafik der Woche: Zinsgewinn der Banken bei Aufkauf von Euro-Staatsanleihen, in Prozentpunkten

Dabei brauchen sich die Banken über das Anlagerisiko keine Gedanken zu machen. Denn die EZB schließt dieses mit ihrem Rettungsversprechen, zur Not unbegrenzt Staatsanleihen der Euro-Staaten aufzukaufen, aus. Nicht zuletzt liegen die durchschnittlichen Zinsen für Unternehmenskredite in Euroland unterhalb der Rendite von Staatspapieren. Welche Argumente sprechen jetzt noch für eine erhöhte Kreditvergabe an die Privatwirtschaft?

Das Füllhorn der EZB ist noch lange nicht leer

Insofern nimmt der politische Druck der Euro-Südzone auf die EZB zu, ihren geldpolitischen Lockerungskurs noch offensiver zu gestalten. Dabei gehen die Vorstellungen weit über die Zinssenkungspolitik hinaus. Die EZB solle in großem Maße tatsächlich Staatsanleihen aufkaufen. Dass genau dies der Chefvolkswirt der EZB Peter Praet zuletzt nicht ausschloss, ist bemerkenswert. Die positiven Effekte, die damit erzielt werden sollen, sind, neben einer insofern immer zinsgünstiger werdenden Finanzierung neuer staatlicher Konjunkturpakete auch, dass die Renditen von Staatspapieren für Geschäftsbanken unattraktiver werden.

Dabei könnte die EZB ein mögliches Veto des Bundesverfassungsgericht, das der Bundesbank verbieten würde, an Aufkäufen von Staatsanleihen einzelner Euro-Staaten teilzunehmen und damit indirekte Staatenfinanzierung zu betreiben - ein Urteil ist erst nach der Europawahl im Mai 2014 zu erwarten - umgehen. Ein Aufkaufprogramm für Staatsanleihen aller 17 Euro-Staaten, das sich an den jeweiligen nationalen Beteiligungsquoten am Kapital der EZB orientiert, wäre der EZB im Rahmen ihrer Geldpolitik erlaubt. EZB-Präsident Mario Draghi würde diese massive Stabilitätshülle mit Rücksicht auf die deutsche Position nur ungern fallen lassen. Er hofft, dass diese theoretische Maßnahmenandrohung ausreichend ist, die finanzwirtschaftlichen Verhältnisse zum Besseren zu wenden. Aber wenn alle Stricke reißen, wird er diesen Rubikon überschreiten müssen.

Theoretisch gäbe es sogar die Möglichkeit des Aufkaufs von mit Krediten besicherten Wertpapieren. Damit würde man das Ausfallrisiko der Banken senken und ihnen einen deutlichen Anreiz zur Kreditvergabe an die Privatwirtschaft geben.

Im Übrigen zeigt sich die Europäische Union in punkto zukünftiger Bankenunion nicht wirklich handlungsfähig. Damit bleibt die EZB weiter gefordert, euroländische Banken mit einer ultralockeren Geldpolitik in Schutzhaft zu nehmen.

Aktuelle Marktlage und Charttechnik

Insgesamt liefert die Perspektive einer anhaltend lockeren Geldpolitik gepaart mit einer sich stabilisierenden Weltkonjunktur Argumente für eine weiterhin positive Aktienmarktentwicklung, so dass der DAX bis Ende des Jahres neue Höchststände bis zu 9.500 Punkte erzielen kann. Mit Blick auf die letzte Zinssitzung der Fed in diesem Jahr am 17. und 18. Dezember dürfte es aufgrund von Befürchtungen über eine Tapering-Einführung zu erhöhten Aktienmarktschwankungen kommen.

Aus charttechnischer Sicht hangelt sich der DAX weiter an der Obergrenze des seit Juni bestehenden Aufwärtstrendkanals entlang. Nachdem der DAX den Widerstand an der Marke bei 9.263 Punkten hinter sich gelassen hat, steht einem Anstieg bis zum Jahresendziel bei 9.500 Punkten nichts mehr im Wege. Im Falle einer technischen Gegenreaktion findet der DAX an der Unterstützung bei 9.263 Punkten Halt. Darunter bieten die Kurslücke zwischen 9.101 und 9.074 Punkten sowie die starken Unterstützungen bei rund 8.962 und bei 8.770 Punkten Halt.

Das passiert in der nächsten Woche

Die Aufmerksamkeit gilt dem US-Arbeitsmarktbericht. Ein solider Stellenaufbau dürfte die Ängste vor einer Tapering-Ankündigung bereits im Dezember schüren. Vor diesem Hintergrund findet ebenso das Beige Book - der Konjunkturbericht der Fed - Beachtung. Zwar dürften sich die Auftragseingänge der US-Industrie im Oktober als Folge des government shutdown schwächer zeigen. Allerdings dürfte der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe darauf hindeuten, dass sich die US-Konjunkturerholung fortsetzt.

Auf der Zinssitzung der EZB in der kommenden Woche ist nicht mit weiteren Stimulierungsmaßnahmen zu rechnen. Verbalerotisch dürfte Mario Draghi jedoch abermals bekräftigen, dass die Taube das Wappentier der EZB bleibt.

In Deutschland steht nach den soliden Auftragseingängen in der Industrie im Vormonat eine leichte Korrektur an. Trotzdem bleibt der Aufwärtstrend der letzten Monate intakt.

In China dürfte der offizielle Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe auf eine stabile Entwicklung der chinesischen Wirtschaft hindeuten.

Halvers Woche: Trotz, nicht wegen der GroKo werden deutsche Aktien weiter steigen

Es war eine Zangengeburt, aber vor Weihnachten wird die GroKo (Große Koalition) stehen. Grundsätzlich hätten sich die Finanzmärkte wohl eher ein Bündnis aus Union und FDP gewünscht. Allerdings wurde man von dieser theoretischen Wunschkoalition in den letzten vier Jahren praktisch enttäuscht: Wirtschafts- und Strukturreformen? Nein danke! Sicherlich hegt man auch für die neue Legislaturperiode bis 2017 keine großen Reformerwartungen. Denn da die Union keine offene Flanke zur AfD zulassen und die SPD nicht Steigbügelhalter für Die Linke sein will, ist eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners zu erwarten.

Aus der GroKo wird die StiKo, wenn nicht sogar die RückKo

Den stabilitätspolitischen Zeigefinger Berlins wird man in der Eurozone nicht mehr wahrnehmen. Zur weiteren Krisenprävention in der Eurozone wird die GroKo auf schuldenfokussierte und geldpolitisch geduldete Verständnis-Ökonomie statt auf wettbewerbssteigernde Strukturreformen setzen. Dies würde nur die Kumbaya-Stimmung in der heiligen Euro-Familie stören und Deutschland - das war geschichtlich doch schon immer unser Trauma - außenpolitisch isolieren. Innenpolitisch wird die verteilungspolitische Wohlfühl-Politik an Einfluss gewinnen. Die Flagge der sozialen Gerechtigkeit - böse Zungen sprechen von sozialistischer Gleichmacherei - wird gehisst und die der reformistischen Marktwirtschaftler - böse Zungen sagen Marktradikalinskis - auf Halbmast gesetzt.

Leider hat diese volkswirtschaftliche Gemütlichkeit einen Haken. Sich auf früheren deutschen Reform-Lorbeeren auszuruhen, mag den deutschen Industriestandort angesichts einer insgesamt verhaltenen Konkurrenz in der Eurozone nicht wirklich schädigen. Allerdings sollte man diese Scheuklappen schnell absetzen und über den Euro-Tellerrand schauen. Dann wird man feststellen, dass die Reform-Hausaufgaben z.B. in den Emerging Markets zügig gemacht werden. Bemerkenswerterweise nimmt sich China hierbei sogar ein Beispiel an der jungen Bundesrepublik Deutschland. Und die USA? Ach, was haben wir uns über ihren einseitigen, jahrzehntelangen Konsumfetischismus lustig gemacht. Aber mittlerweile hat man dort auch den Schuss gehört: Amerika tut alles, um über unter anderem Öl- und Gas-Fracking wieder zu einer führenden Industrie- und Exportnation zu werden. Europa ist wichtig, aber nicht genug. Diese Länder sind unser Anspruch, im globalen Wettbewerb müssen wir uns an ihnen orientieren. Deutschland muss wirtschaftspolitisch mit den Adlern fliegen, nicht mit den Hühnern scharren.

Die kurzen Beine der Politik …

Aus der GroKo darf nicht die StiKo (Stillstands-Koalition) oder sogar die RückKo (Rückschritts-Koalition) werden, die der Agenda 2010-Politik nach und nach die Beine ausreißt. Und dabei hat die GroKo alle politischen Möglichkeiten, Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Der Leitspruch muss sein: Erst das Land, dann die Partei.

Insgesamt wird sich die Begeisterung der deutschen Wirtschaft über die neue Regierung in Berlin - vor allem bei kleineren mittelständischen Unternehmen, die ihre Brötchen vornehmlich in Deutschland verdienen - in engen Grenzen halten.

Und sind die Finanzmärkte und die Börse jetzt auch enttäuscht? Nun, die börsennotierten Unternehmen sind mobil wie der Golfstrom. Ihre Industriestandorte können sie sich weltweit wie Sahnestücke am Kuchenbuffet aussuchen. Global wird man für die deutschen Industrieperlen überall den roten Teppich auslegen. Ihre Erfolgspotenziale werden die deutschen Unternehmen so oder so emotionslos entweder hüben oder drüben verwirklichen. Selbst bei nationaler Reformmüdigkeit kommt das den international agierenden deutschen Aktiengesellschaften in Form positiver Börsennotizen in Deutschland zugute.

…und die langen der Geldpolitik

Und für die grundsätzlich gute Aktienstimmung sorgt auch zukünftig die Mutter aller Schlachten, die EZB. Denn wegen der schwelenden Krisen in Euroland, die wie Kaugummi am Schuh kleben, wird sich an der Vollkaskoversicherung von Super-Mario Draghi nichts ändern.

Damit ist der Höhepunkt der Happy Hour der EZB noch gar nicht erreicht: Angefangen von der Möglichkeit weiterer allgemeiner Zinssenkungen über Negativzinsen beim Parken von Geld der Geschäftsbanken bei der Notenbank bis zum von der Euro-Südzone politisch zunehmenden Druck, die EZB solle doch wie in den USA oder Japan Anleihenaufkäufe von Staatstiteln zur weiteren Renditesenkung vornehmen, spricht nichts für, aber alles gegen einen Ausstieg aus der geldpolitischen Sintflut. Und wenn alle Stricke reißen, könnte die EZB sogar mit dem Aufkauf von besicherten Krediten auch noch das Ausfallrisiko von Banken und damit das Zinsniveau in der Kreditwirtschaft senken. Die EZB bietet tausendfach alles unter einem Dach.

Wer auf die Liquiditäts- und Zinswende der EZB wartet, kann auch darauf warten, dass Streuobstwiesen unkrautfrei werden. Aus der geldpolitischen Rettungs-Nummer kommen wir nicht mehr heraus. Wenn man sich anschaut, wie viele Rettungsmaßnahmen seit 2008 bereits ergriffen wurden und wie wenig dabei realwirtschaftlich für die Eurozone bisher herausgekommen ist, kann das Motto nur sein: Und bist du konjunkturell immer noch nicht willig, brauche ich geldpolitisch noch mehr Gewalt. Und was spricht jetzt noch für Aktieneinbrüche wie beim Neuen Markt oder der Immobilienblase?

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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