Kommentar
13:26 Uhr, 12.04.2013

2013 ff.: Geldpolitik geht keine Risiken ein

Die Realität in Euroland bleibt ernüchternd. Zur Rettung Zyperns benötigt das Land urplötzlich 5,5 Mrd. Euro mehr an Finanzhilfen. Das sind 30 Prozent mehr als noch vor zwei Wochen geplant. Die Unseriosität euroländischer Finanzpolitik ist in Worten kaum mehr zu beschreiben.

Grundsätzlich wird das Schuldenmachen in der Eurozone weiter fortgesetzt. Spanien erzielte bis dato keine Sparfortschritte, denn die schwache Konjunktur spült deutlich weniger Einnahmen in die Staatskassen. Auch in Italien drückt die schlechte Konjunktur und das Vorhaben, dieses Jahr offene Rechnungen gegenüber Unternehmen in Höhe von ca. 20 Mrd. Euro (!) zu begleichen, auf die Sparbemühungen. Ohnehin ist angesichts der instabilen politischen Situation in Italien nicht mit weiteren Sparanstrengungen zu rechnen. Versagt hat die Sparpolitik auch im Euro-Kernland Frankreich. Es wird sich zeigen, ob die ab Mai in Kraft tretende Flexibilisierung des französischen Arbeitsmarktes die gewünschten Effekte erzielt. Zwischenzeitlich dürfte die verheerende Schuldenlage in Portugal an Dramatik gewinnen, nachdem das Verfassungsgericht neue Sparmaßnahmen der Regierung, u.a. Kürzungen bei Renten, Gehältern und Sozialleistungen, blockiert. Eine abermalige Lockerung der Sparvorgaben für 2013 seitens der EU-Kommission ist nur eine Frage der Zeit.

In Ermangelung alternativer volkswirtschaftlicher Impulse sind scharfe Sparbemühungen ohnehin unerwünscht, im Gegenteil, man muss in der Euro-Südzone auf verschuldungsfinanzierte Konjunkturfinanzierung setzen. Allerdings darf dabei ein deutlicher Anstieg der Zinszahlungen an den Gesamtausgaben der Euro-Länder nicht zugelassen werden, um der Schuldentragfähigkeit bzw. Manövrierfähigkeit der Euro-Staaten nicht zu schaden.

In der Konsequenz bleibt der EZB auch weiterhin nichts anderes übrig, als mit ihrer Rendite drückenden Geldpolitik die Zinskosten in den nationalen Budgets zu beschränken. Und die Therapie zeigt Wirkung: Lag die Staatsverschuldung in Euroland Ende 2001 bei ca. 4,8 Bill. Euro, so wird sich diese bis 2015 schätzungsweise auf ca. 9,2 Bill. Euro mehr als verdoppelt haben. Der Anteil der jährlichen Zinszahlungen an den Staatsausgaben - bei weiterer Unterstellung der aktuell 5-jährigen, nach nationaler Wirtschaftsleistung gewichteten Durchschnittsrendite euroländischer Staatsanleihen - wird sich dabei von 5,8 Prozent Ende 2001 auf schätzungsweise 2,4 Prozent im Jahr 2015 mehr als halbiert haben.

Euro-Staatsanleihen im Entspannungsmodus

Diese Rettungsaktion der EZB - auch wenn sie bisher nur als Versprechen existiert - führt im Trend zu einer veränderten Anlagebereitschaft bei Finanzinvestoren. Denn während u.a. spanische Unternehmen mit merklichem konjunkturellen Gegenwind aus der Eurozone zu kämpfen haben, sorgt die Bewahrung Spaniens & Co. vor einem Kollaps für Ruhe an den prekären Staatsanleihemärkten Eurolands. So werden seit Jahresbeginn spanische Staatsanleihen spanischen Aktien vorgezogen.

Insbesondere die fallenden Renditen am kurzen Ende bei 2-jährigen spanischen und italienischen Staatspapieren spiegeln die deutliche Risikoentspannung am Staatsanleihemarkt wider. Hierzu tragen nicht zuletzt auch Kapitalzuflüsse aus Japan bei. Die massiv betriebene Abschwächung des Yen als Resultat der beispiellosen japanischen Liquiditätsoffensive führt zu einer Renaissance der Yen-Euro-Carry Trades - Geldaufnahme in Yen und Geldanlage in Euro - die ihren Niederschlag auch in Aufkäufen italienischer und spanischer Staatsanleihen finden. Es ist sogar zu vermuten, dass die EZB ihr Rettungsversprechen bislang auch deshalb operativ nicht erfüllen musste, da japanisches Geld bei dieser Rettung tatkräftig hilft.

Japan der neue Stern am Aktienhimmel

Die Liquiditätsflut der Bank of Japan mit gleichzeitig exportstützender Währungsabschwächung schlägt sich zwar noch nicht in den aktuellen realwirtschaftlichen Daten nieder. So ist in Japan der ökonomische Überraschungsindex - er misst positive sowie negative Abweichungen der realen von den erwarteten Konjunkturdaten - noch deutlich negativ, auch wenn ein Boden gefunden ist. Mit der erwarteten konjunkturellen Trendwende setzen japanische Aktien dennoch ihren steilen Aufwärtstrend weiter fort: Der Nikkei 225 notiert auf einem 5-Jahres-Hoch.

Dabei zeigt sich der japanische Aktienmarkt selbst in Euro gerechnet im Vergleich mit deutschen und euroländischen Aktien stark. Ohnehin scheint die dramatische Abwertung des Yen an den Finanzmärkten als klarer Vorbote einer anstehenden Wettbewerbsverbesserung der Außenhandelsposition japanischer Unternehmen und insofern umgekehrt als ein Belastungsfaktor für die euroländische, insbesondere deutsche Exportwirtschaft betrachtet. Die Aktienmärkte spiegeln diese Einschätzung klar wider.

Fed bleibt der Fels in der Brandung

Trotz der zuletzt enttäuschenden US-Konjunkturdaten setzt der US-Aktienmarkt seine Aufwärtsbewegung mit der Eroberung neuer Allzeithochs fort. Ähnlich wie in Japan scheinen auch hier die Finanzmärkte in Erwartung einer fortgesetzt üppigen Geldpolitik der Fed den Zusammenhang zwischen Konjunkturdaten und der Aktienmarktbewegung zu überzeichnen.

Grafik der Woche: Quantitaive Easings in den USA, US-Frühindikator im Verarbeitenden Gewerbe (ISM-Index) und US-Aktienindex (S&P 500)

Da die konjunkturelle Wirkung durch die Liquiditätsausstattung noch zu wünschen übrig lässt, bleibt die geldpolitische Offensive die Aorta an den Finanzmärkten. Die Fed wird ihre Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen wollen. Denn nach den 2010 und 2011 beendeten sogenannten Quantitative Easings QE 1 und QE 2 - Aufkaufprogramme von Staatsanleihen und Hypothekenpapiere - haben die Schocks der griechischen Verschuldungskrise und das amerikanische Polit-Chaos um die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze zu wiederholten Eintrübungen der US-Konjunkturstimmung aber auch an den Aktienmärkten geführt.

Aber aus Schaden wird man klug: Die Bremsspuren automatischer Zwangskürzungen im US-Haushalt, die schwachen Arbeitsmarktzahlen sowie die zuletzt überraschende Abschwächung der Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe veranlassen die Fed, ihr Quantitative Easing 3 durch Programm 4 auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Dabei wird das Overshooting des US-Aktienmarktes, das Überschiessen gegenüber den US-Konjunkturdaten als vermögenspreisinflationärer Prozess gerne in Kauf genommen, weil er der Konsum- und Unternehmensstimmung gut tut. Ohnehin geht die US-Notenbank davon aus, dass sich diese Lücke durch längerfristig verbessernde harte Daten schließen wird.

Keine Aktienblase in Sicht

Gegen eine markante Blasenbildung von US-Aktien sprechen ihre anhaltend günstiges Bewertungsniveau gegenüber der alternativen Anlageklasse der US-Staatsanleihen. Denn vergleicht man die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen mit der Gewinnrendite von US-Aktien, fällt die deutliche Überbewertung der Rentenseite gegenüber US-Aktien erkennbar auf.

Fundamentale Unterstützung kommt zudem von der US-Berichtsaison für das abgelaufene I. Quartal 2013. Der weltgrößte Aluminiumproduzent Alcoa hat dabei die Erwartungen der Analysten übertreffen können. Der Jahresausblick mit wieder anziehenden Aluminiumpreisen in Folge einer voranschreitenden Erholung der Weltkonjunktur bleibt unverändert.

Und was passiert in der 16. Kalenderwoche?

Auf makroökonomischer Ebene stehen zunächst die Daten für das BIP aus China im I. Quartal 2013 an. Sie werden die erfolgreiche Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft verdeutlichen.

In Deutschland legt der Aufwärtstrend der Konjunkturdaten des ZEW eine Pause ein und reagiert damit auf die zuletzt schlechteren „harten“ Wirtschaftsdaten, ohne jedoch größeres Ungemach zu prognostizieren.

Die anstehenden Wirtschaftsdaten aus den USA dürften ihre verhaltene Tendenz für März wohl beibehalten. Das ungewöhnlich kalte Wetter in den USA dürfte dabei zu einer Pause der im Trend steigenden Baubeginne und -genehmigungen geführt haben. Der Geschäftsklimaindex der Philadelphia Fed signalisiert eine nur langsam voranschreitende Erholung der US-Industrie. Dem entsprechend verhalten dürfte sich auch die Industrieproduktion im März entwickelt haben.

Der Konjunkturbericht der US-Notenbank dürfte diese Daten und die realwirtschaftlichen Risiken der Zwangskürzungen im US-Staatshaushalt weiter zum Anlass nehmen, Spekulationen über eine frühzeitige Beendigung der lockeren Geldpolitik auszuräumen.

Auf Unternehmensebene präsentieren die Banken Citigroup, Goldman Sachs und Morgan Stanley ihre Ergebnisse für das I. Quartal 2013 und dürften dabei grundsätzlich von der Erholung auf dem US-Immobilienmarkt profitiert haben. Auf dem IT-Sektor dürften die Ergebnisse von Intel, IBM und Microsoft das schwache PC-Geschäft dokumentieren. Von Google und dem sich im Konzernumbau befindlichen Yahoo gehen dagegen keine bösen Überraschungen für den US-Aktienmarkt aus. Die Konsumgüterhersteller Coca-Cola und McDonald’s dürften von der anhaltend guten Konsumstimmung insbesondere der Schwellenländer profitiert haben.

Halvers Woche:

Die Angst der Kapitalmärkte vor der Entzugsklinik

Mit Kapitalmärkten und ihrer Analyse beschäftige ich mich mittlerweile seit ca. 30 Jahren. „Einem alten Affen braucht man das Grimassenschneiden nicht mehr beibringen“ müsste insofern auf mich ganz gut passen. Aber das, was wir derzeit an den Finanzmärkten erleben, lässt sich allein mit meinem normalen, klassisch fundamentalanalytischen Werkzeugkasten nicht mehr fassen.

Edel sei die Notenbank, hilfreich und gut

Denn de facto haben sich die großen Notenbanken der Welt Fed, EZB, Bank of Japan, Bank of England - ich könnte die Liste noch weiter führen - zur entscheidenden, schnellen Eingreiftruppe entwickelt, die überall, wo es brennt, sofort Einsätze fährt. Egal, was hinkt - Staatsanleihemärkte, Banken, die Konjunkturen oder die Politik selbst - die geldpolitischen Krankenpfleger stellen stets einen Rollator der Extraklasse bereit.

Würde man in unserer real existierenden, angeschlagenen Welt - wie früher in der guten, alten Zeit - eine bundesbankähnliche Politik der Stabilitätskultur betreiben, hätte man Ostern zwar einen neuen Papst gehabt, die Eurozone wäre dann aber vermutlich schon längst unter die Räder gekommen. Das euro-systemrelevante Italien, das politisch aus dem letzten Loch pfeift, viele Euro-Länder, in denen die Reformbewegungen mausetot sind, Frankreich, das mit dem Robin Hood-Prinzip Investoren zu einer aussterbenden Spezies macht, Japan, wo man es geschafft hat, einen Deutschland-ähnlichen Mittelstandsbauch mittlerweile auf Wespentaille zu drücken oder Amerika, das die wirtschaftliche Stimmung über einen politischen Dauerstreit über Staatsfinanzen trübt, lassen der internationalen Geldpolitik keine andere Wahl: „Wo die Not am größten, ist die Geldpolitik am nächsten“.

Und bist Du nicht willig, so brauche ich Gewalt

Nach langer Zeit der Irritation haben die Finanzmärkte mittlerweile ihren Frieden mit der neuen, heilen Geldpolitik gemacht. Kein Wunder, nimmt genau diese ihnen doch teflonartig die theoretische Sorge ab, dass Risiken praktisch haften bleiben. Und so macht es doch ohnehin jede große Notenbank. Wie bitte schön sollen sich die angeschlagenen Staaten denn ansonsten neue Schulden leisten können, mit denen Perspektiven und der soziale Frieden stabilisiert werden müssen?

Um auf Nummer sicher zu gehen, dass Finanzmärkte und Konjunkturen die gewünschte Hochstimmung auch ja erreichen können, gibt es geldpolitisch unbegrenzt Freibier. An der Geldpolitik soll es nicht scheitern. Wie man das macht, zeigt nicht nur Amerika, dessen Zentralbankvertreter - abseits von stabilitätspolitischen Restzuckungen - nicht müde werden, zu betonen, dass der Happy Hour zum Nulltarif noch lange nicht der Hahn abgedreht wird. Japan plant in punkto Liquiditätsschwemme sogar die längste Theke der Welt, Entschuldigung liebe Düsseldorfer. Und an das Versprechen von Draghi, zur Not die Sperrstunde aufzuheben, also unbegrenzt Staatsanleihen der Eurozone aufzukaufen, sei an dieser Stelle einfach noch einmal erinnert.

Die Finanzmärkte sind im Dauerrausch

In Amerika steigen die Aktienmärkte liquiditätsgetrieben von einem Rekordhoch zum nächsten, auch weil Ben Bernanke mit seiner Zinsdrückung höhere, wenn auch marktwirtschaftlich gerechte Renditen bei Staatspapieren verhindert. Und auch in Japan und Euroland tut die geldpolitische Hochstimmung Aktien, Staatsanleihen und Unternehmensanleihen gut. Es läuft alles rund, die Zinsen sinken, die Kurse steigen. Liquiditätshaussen sind nun einmal die schönsten aller Haussen.

So weit, so gut. Aber wenn finanz- und realwirtschaftliches Wohl und Wehe eigentlich nur noch an der Geldpolitik hängen, haben wir abgesehen von Inflationsbeschleunigung und nicht mehr attraktiv zu nennender Altersvorsorge über Zinsvermögen zwei weitere Probleme.

Erstens ist abzusehen, dass die reale Wirtschaft in vielen Ländern von selbsttragender Stabilität noch so weit entfernt ist, wie die Erde vom Jupiter. Statt restriktiver Geldpolitik muss ein noch größeres Rad gedreht werden, das größte geldpolitische Experiment aller Zeiten geht also weiter. Und wie Wasser, das sich seinen Weg sucht, führt diese systemfreundliche Geldpolitik als Zweiteffekt früher oder später auch zu Blasenbildungen an den Finanzmärkten, wo die Hochstimmung bereits eingesetzt hat. Ein Blick auf den Renditeverfall selbst von bonitätslosen Unternehmensanleihen sagt mehr als tausend Worte. Und die Blase wird noch größer werden.

Zweitens, wenn es irgendwann mit der Konjunktur tatsächlich besser laufen sollte, wie will man das Geld dann wieder einsammeln, wie bekommt man die beschwipsten Finanzmärkte wieder nüchtern? Diese haben sich doch längst an die überreichliche Liquidität, den fröhlichen Grundrausch gewöhnt. Der Entzug ist schmerzhaft, drückt auf die Stimmung, ja es droht bei kaltem Entzug sogar das Platzen der Blasen beim Zinsvermögen. Erinnern Sie sich noch an das Platzen am Neuen Markt und bei Immobilien. Dies könnte nur ein Vorgeschmack dessen sein, was uns dann später drohen könnte.

Scheuklappen auf und nicht an morgen denken

Ist den Notenbanken diese Gefahr bewusst? Ja, natürlich, aber warum darüber jetzt philosophieren, warum jetzt die Spaßbremse spielen? Einfach laufen lassen. Kehren wir dieses Problem zunächst doch einfach wie Dreck unter den Teppich und hoffen wir, dass niemand zu früh darunter schaut. Demnächst mehr in diesem geldpolitischen Theater!

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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