Kommentar
20:31 Uhr, 03.05.2011

2011=2007? Keine schlechte Zeit, Gewinne mitzunehmen

Es ist wieder Mai, und damit stellt sich die Frage ob man der wohl berühmt-berüchtigsten Börsenweisheit aller Zeiten folgen sollte: Das Depot glattstellen und wenig bis gar nichts mehr an den Märkten machen bzw. sogar auf fallende Kurse spekulieren?
Obwohl wir gerade erst wieder neue relative Hochs im DAX gemacht haben tendiere ich stark dazu, tatsächlich so zu agieren. Mein Hauptgrund ist, dass ich erhebliche Parallelen zu 2007 erkenne.
Es ist eine ähnliche Sorglosigkeit im Markt, die Marktteilnehmer ignorieren weitgehend problematische Baustellen (die es massenhaft gibt!) und bügeln Einbrüche wie nach der Japankatastrophe binnen kürzester Zeit wieder mehr als komplett aus. Dies führt zu einem gefährlichen „Es geht eh nicht mehr runter“-Gefühl.

Sie erinnern sich: 2007 begann die „Subprime-Krise“. Aber die Stimmung war doch so supertoll und wie immer hat das Gros der Analysten erzählt, es wird immer weiter nach oben gehen. Die dramatischen Probleme wurden einfach nicht beachtet, es war nicht so dass man sie nicht sehen konnte. Den Rest der Geschichte kennen Sie: Das Finanzsystem stand am Abgrund, die Märkte vertrauten auf einmal nur noch den Staaten/Regierungen, die in beispiellosen Rettungsaktionen den schon röchelnden Patienten wiederbelebten. Das war damals möglich, weil die Zinsen stark fielen und die Aufnahme neuer Schulden durch einigermaßen vertrauenswürdige Staaten ein Kinderspiel war, da Investoren den Banken kaum noch trauten und das Geld ja irgendwo hin musste.

Davon kann heute keine Rede mehr sein. Die Staaten sind die neuen Patienten. Mussten 2008 die Staaten die Banken retten, so retten heute die (noch) soliden Staaten die schwachen – und werden dadurch latent selber schwach. Die letzte Rettungsinstanz, der Notarzt der Notärzte, sind nun die Notenbanken.

Man muss sich darüber im Klaren sein: Die großen westlichen Industrienationen haben kaum noch selbständiges Vertrauenspotenzial im Markt. Wer heute als smarter Investor überhaupt noch US-Anleihen kauft hat im Hinterkopf, dass die Fed das Debakel zur Not schon richten wird (das gibt dem Begriff Notenbank auch eine interessante Zweitbedeutung). In Europa ist es nicht anders. Schauen Sie sich Italien an, im Moment noch nicht einer der Krisenstaaten (ich wette aber eine Riesenpizza darauf, dass es keine zwei Jahre mehr dauert). Wer würde italienische Anleihen kaufen wenn er nicht muss oder aber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass „die anderen“ das relativ große Italien nicht fallen lassen? Und so geht es reihum, aufgrund der chronischen Haushaltsdefizite, der für jeden offensichtlich immer höher werdenden Schuldenberge und fehlender Antworten auf dringlichste Zukunftsfragen (allen voran die demographische Entwicklung) würde kein rationaler Investor den Staaten langfristig Geld leihen. Die Regierungen sind direkt oder indirekt von den Zentralbanken abhängig. Auch die Geschäftsbanken kaufen Anleihen ja nur, weil sie sie bei der Zentralbank als Sicherheit für billige Kredite hinterlegen können! Das ist im Endeffekt Monetarisierung der Staatsschulden durch die Hintertür.

Sell in May and go away? Ja – aber cash halten ist langfristig ganz sicher keine Alternative.

Ihr

Daniel Kühn
www.tradersjournal.de

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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