Kommentar
09:00 Uhr, 19.01.2007

2007 – neuer Schub für die Biotech-Branche

Volle Pipelines und Übernahmephantasien lassen die Kurse von Biotech-Aktien steigen

Von Dr. Christian Lach, BB BIOTECH AG, Zürich

Die Biotech-Industrie hat in den letzten Monaten des vergangen Jahres durch zahlreiche gute Ergebnisse und positive Nachrichten von sich reden gemacht. So präsentierte – ein Beispiel von vielen, aber eines der spektakulärsten – das US-Unternehmen Vertex, eine der Beteiligungen von BB BIOTECH, Ende Oktober hervorragende Studienergebnisse zu VX-950, einem Wirkstoff zur Behandlung der lebensgefährlichen Viruskrankheit Hepatitis C. Weltweit sind etwa 170 Millionen Menschen mit diesem Erreger infiziert. Auf die heutige Standardbehandlung – Interferon und Ribavirin – spricht nur etwa jeder zweite Patient an. Werden diese Medikamente jedoch um VX-950 ergänzt, verschwindet das Virus nicht nur schnell, sondern auch, so weit bisher absehbar, dauerhaft. Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, wäre das ein Produkt mit noch nie da gewesener Wirksamkeit für Hepatitis C.

Niedrige Bewertung, hohe Kursaufschläge

Dennoch: nach wie vor herrscht an den Finanzmärkten eine grosse Skepsis dem Sektor gegenüber. Der wichtigste Branchenindex Nasdaq Biotechnology Index etwa hat, allen guten Nachrichten zum Trotz, 2006 nur ein Prozent zugelegt und seit Jahresbeginn sogar wieder etwas nachgegeben. Die Vorsicht der Anleger ist tief verwurzelt: Wer die Aktien während des Börsen-Hypes im Jahr 2000 kaufte, musste bei der Korrektur schmerzhafte Verluste verkraften. Danach geriet auch die Pharmaindustrie in eine Krise, was die Biotechtitel abermals nach unten zog. Inzwischen ist der Sektor so tief bewertet wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das Gewinnwachstum jedoch hat sich nicht verlangsamt und erreicht weiterhin mehr als 20 Prozent. Zudem haben mehr und mehr Biotech-Gesellschaften mittlerweile die Schwelle zur Profitabilität überschritten. Die Kombination aus niedriger Bewertung und hohem Wachstum erhöht die Attraktivität der Branche nicht nur für Investoren, sondern auch für Big Pharma.

Einige Aufsehen erregende Übernahmen haben denn auch die Branche wieder stärker ins Interesse der Anleger rücken lassen. So kaufte die deutsche Merck KGaA im September Serono, Europas größtes Biotech-Unternehmen mit Sitz in Genf für gut 10 Mrd. EUR und somit einer Prämie von etwa 30%. Von der Größe her war diese Übernahme sicher eine Ausnahme. Die meisten Übernahmen im Biotech-Sektor bewegen sich in der Größenordnung von 1 bis 5 Mrd. USD oder EUR. Doch ist es weniger die Größe der Deals, sondern die Höhe der Preisaufschläge, die in jüngster Zeit für solche Übernahmen gezahlt werden, die Anleger hellhörig machen. Ende Oktober übernahm beispielsweise der amerikanische Namensvetter Merck & Co. die kleine US-Biotech-Gesellschaft Sirna, deren Jahresumsatz bei etwa 4 Mio. USD liegt und die einen Verlust von 25 Mio. USD schreibt, für 1,1 Mrd USD– ein Aufschlag von mehr als 100% auf den letzten Aktienkurs. Der Grund: Sirna entwickelt Medikamente unter Verwendung der Technologie der RNA-Interferenz, kurz RNAi. Im Kern geht es dabei um das Abschalten einzelner Gene. Nicht die Linderung von Krankheitssymptomen ist hier das Ziel, sondern das Beheben der Ursachen einer Krankheit. Die RNAi-Technologie gilt als so bedeutend, dass ihre Entdecker, die Amerikaner Andrew Fire und Craig Mello, im Oktober den Medizin-Nobelpreis erhielten. Ebenfalls mehr als 100% Aufschlag auf die Börsenbewertung zahlte Novartis bei der Übernahme des britischen Biotech-Unternehmens NeuTec.

Big Pharma hat Probleme

Die Beispiele sprechen zum einen dafür, dass Big Pharma viele Biotech-Titel für unterbewertet hält und daher in der gegenwärtigen Situation gute Kaufgelegenheiten sieht. Zum anderen verdeutlichen sie, wie sehr die Pharma-Unternehmen unter Druck stehen, ihre Pipelines mit innovativen Medikamenten zu füllen. Die Pharmabranche verliert in den kommenden 3 Jahren Umsätze in Höhe von etwa 50 Mrd. USD durch Patentabläufe von Medikamenten. Dazu kommen noch negative Studienergebnisse. Beispiel Pfizer: Der weltgrößte Pharmakonzern musste Anfang Dezember aus Sicherheitsgründen die Entwicklung des Cholesterinmedikaments Torcetrapib einstellen. Torcetrapib sollte den Ende des Jahrzehnts erwarteten Umsatzausfall des Erfolgsprodukts Lipitor auffangen, das mit einem Umsatz von 13 Milliarden Dollar das meistverkaufte Medikament weltweit ist. 2010/2011 verliert Lipitor seinen Patentschutz. Konzernchef Jeffrey B. Kindler kündigte bereits an, rasch und aggressiv darauf reagieren zu wollen – was wohl nichts anderes bedeutet, als dass Pfizer in nächster Zeit auf Akquisitionstour gehen wird.

Trotz ständig erhöhter Ausgaben für Forschung und Entwicklung kommen zudem neue Produkte nicht in genügender Anzahl nach. Um die hochgesteckten Erwartungen ihrer Anleger zu erfüllen, sind die Pharma-Unternehmen auf die Biotech-Industrie angewiesen, die über eine volle Pipeline an innovativen Produkten verfügt. Bereits mehr als die Hälfte der in den USA neu zugelassenen Medikamente stammt aus den Labors von Biotech-Firmen. Aus diesem Grund werden die Entwicklungen aus der Biotech-Pipeline auch 2007 auf reges Interesse stoßen. Wir erwarten, dass die M&A Aktivitäten in diesem und den folgenden Jahren noch zunehmen.

Die neuen Medikamente der Biotech-Unternehmen werden auch von den Patienten dringend benötigt: Die demografische Entwicklung lässt die Nachfrage langfristig stark steigen. Jeden Monat wächst die Zahl der über 65-Jährigen in der industrialisierten Welt um eine Million. Ein Mensch in diesem Alter bezieht rund viermal mehr Medikamente als ein 25-Jähriger. Beispiel Krebs: Mit der steigenden Lebenserwartung erhöht sich das Risiko an Krebs zu erkranken deutlich, was die Nachfrage nach Onkologie-Produkten auch in Zukunft hoch halten dürfte. Heute schon wird mit Krebsprodukten weltweit ein Umsatz von 30 Mrd. USD erwirtschaftet. 2010 werden es schätzungsweise 60 Mrd. USD sein. Die meisten davon stammen aus den Biotech-Labors. Das erfolgreichste Mittel wurde von der Roche-Tochter Genentech, einer weiteren Kernbeteiligung von BB BIOTECH, entwickelt: Das Krebsmedikament Avastin, seit 2004 auf dem Markt, hat nach unseren Schätzungen das Potenzial, bis in wenigen Jahren einen Jahresumsatz von 10 Mrd. USD zu generieren.

Risikominimierung ist „Oberstes Gebot“

Dennoch sollten sich Anleger durch die derzeit günstigen Bewertungen, die Übernahmephantasie und die guten Aussichten vieler Biotech-Gesellschaften nicht zu voreiligen Käufen einzelner Titel verleiten lassen. Denn durch die Risiken der Wirkstoffforschung ist auch die Gefahr des Verlustes latent. Die medizinische Forschung lebt von Erfolgen und Rückschlägen. Selbst in der letzten Phase der klinischen Entwicklung, das heißt nach gut 8 Jahren teurer Entwicklungszeit, beträgt die Erfolgschance eines Medikaments erst 60%. Treten Fehlschläge in der klinischen Entwicklung auf, hat dies heftige Kursstürze zur Folge, insbesondere bei Firmen die nur eines oder wenige Medikamente in der Pipeline haben. Und nicht selten bedeutet eine schlechte Nachricht sogar das Aus für das Unternehmen und für die Investoren den Totalverlust ihres Geldes.

Risikominimierung ist daher auch weiterhin für alle Biotech-Anleger Oberstes Gebot. In Frage kommen nur diejenigen Biotech-Unternehmen, die dank eines exzellenten Managements, einer soliden Wissenschafts- und Technologiebasis und gesunder Finanzstruktur ein attraktives Risikoprofil aufweisen. Doch wie kann der Anleger Chancen und Risiken richtig einschätzen und Informationen richtig deuten, das richtige Timing bei Kauf und Verkauf finden, Fehler vermeiden und Risiken mindern? Ohne enormen Einsatz an Expertise, Zeit und Geld wird er an dieser Aufgabe scheitern. Einzelwerte sind daher für die wenigsten Anleger empfehlenswert. Statt dessen sollte man diversifiziert anlegen. Hierzu eignen sich Fonds oder Zertifikate. Auch Beteiligungsgesellschaften mit fokussiertem Portfolio und rein industriellem Investmentansatz wie BB BIOTECH bieten sich an. Letztere bietet seit kurzem auch einen aktionärsfreundlichen Aktienplan an. Jedenfalls sollten mindestens 3 Jahre, besser noch 5 Jahre oder mehr, als Zeithorizont eingeplant werden. Je länger Anleger in der Biotechnologie investiert bleiben können, desto deutlicher spiegelt sich die Dynamik dieser Industrie in den Aktienkursen wider.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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