Wie sieht die optimale Vermögensallokation in Zeiten massiver Unsicherheit aus?
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Wir befinden uns in einem Umfeld von Bemühungen der Regierungen, bei denen die gerade erzielte Einigung der Europäer auf einen gemeinsamen Wiederaufbaufonds keine Nebenrolle spielt. Hinzu kommt die außergewöhnliche Unterstützung der Zentralbanken, aber auch eine extrem hohe Ungewissheit nach der Impulswelle der Pandemie: hierbei stellt sich die Frage, an welchem rationalen Rahmen sich die Börsen orientieren können. Welche Vermögensallokation sollte man angesichts wieder kräftig steigender, aber mit Unsicherheiten behafteter Aktienmärkte heute wählen?
Zunächst einmal wäre es etwas zu kurz gedacht oder – besser gesagt– etwas zu einfach gedacht, alles immer wieder mit der „Intervention der Zentralbanken“ zu erklären. In Wahrheit kennt niemand, einschließlich der Zentralbanken, die genauen Auswirkungen oder gar die letztendlichen Konsequenzen der unendlichen Geldschöpfung zur Finanzierung unvergleichlicher Defizite. Zur Erinnerung: Als die Zentralbanken 2009 zum ersten Mal in großem Stil mit dem Kauf von Vermögenswerten begannen, befürchtete die überwältigende Mehrheit der Ökonomen, dass diese unkonventionelle Geldpolitik zu einer galoppierenden Inflation führen würde. Das war jedoch nicht der Fall. Die Zinsen gerieten in einen schwindelerregenden zehnjährigen Abwärtstrend. Das heißt, schon damals kannte niemand die Wirtschafts- und Marktprozesse, die von dieser Innovation in Gang gesetzt wurden.
Heute, zehn Jahre später, wo auf weltweiter Ebene noch das Rätsel der Bedrohung durch ein Virus hinzukommt, sollte man sich gegenüber dem Unbekannten in Bescheidenheit üben und sich vor kategorischen Prognosen hüten, die zwangsläufig auf Sand gebaut sein müssen.
Um mit dieser massiven Ungewissheit fertigzuwerden, können Anleger sich glücklicherweise an ein ehernes Gesetz halten: Nicht alle Vermögenswerte sind fragil. Einige von ihnen erweisen sich nicht nur als resistent gegenüber der Ungewissheit oder gar dem Chaos, sondern profitieren davon. Das sind diejenigen, die der Essayist Nassim Taleb die „anti-fragilen“ Vermögenswerte nennt. In diesen sollte man engagiert sein, statt zu versuchen, das Unvorhersehbare vorherzusagen. Man muss sie nur erst finden.
Unter den derzeitigen Umständen gehören Technologietitel und Gold zu dieser Art von Vermögenswerten, was ihre Kursentwicklungen erklärt.
Um das zu verstehen, muss man zehn Jahre zurückblicken. Dabei wird man feststellen, dass die einzige seit 2009 durch die Geldschöpfung erzeugte Inflation die der Preise von finanziellen Vermögenswerten ist. Das lässt sich ganz einfach mit der Tatsache erklären, dass alle eingesetzten geldpolitischen Mittel, die eine Inflation der Verbraucherpreise „hätten bewirken sollen“, nicht das nötige Gewicht hatten, um die mächtigen deflationären Kräfte auszugleichen, die ihr entgegenwirkten. Hierzu gehören etwa die Überschuldung, die die Nachfrage bremst, die Globalisierung, die den Preiswettbewerb verstärkt, die demografische Alterung oder aber die technologischen Fortschritte, die für Produktivitätssteigerungen sorgen. Daher schlug sich der durch die Geldschöpfung erzeugte „Inflationsdruck“ grundsätzlich ausschließlich auf die Preise von Aktien und Anleihen nieder.
Die großen Nutznießer der „Behandlung“ der Wirtschaftskrise mit geldpolitischen Heilmitteln waren daher die Anleger: Es waren vor allem diejenigen, die in Sektoren positioniert waren, die am stärksten mit diesen unaufhaltsamen deflationären Trends verknüpft sind. Dies sind insbesondere der Technologiesektor, der nicht verschuldet ist und sogar hohe Cashflows generiert, der Gesundheitssektor, der von der Welle der Alterung der Bevölkerungen getragen wird, sowie die großen international integrierten Konzerne, die Vorreiter der globalisierten Lieferketten sind. Auf der Strecke blieben gleichzeitig Industrie- und Bankwerte, die eine starke Wirtschaftstätigkeit benötigen, um operative Margen zu generieren und langfristig zu investieren. Die wesentliche Konsequenz dieser Polarität der Börsenentwicklungen war, dass diese sogenannten „zyklischen“ Sektoren, die die Dynamik einer Volkswirtschaft widerspiegeln, nun nur noch ein sehr geringes Gewicht in den großen Börsenindizes haben. Technologie- und Gesundheitswerte, deren Wert nicht die Kraft einer Wirtschaft, sondern vielmehr ihre deflationäre Schwäche widerspiegeln, sind hingegen mittlerweile überrepräsentiert. Was sagt uns dann das Verhalten der Aktienmärkte? Ganz einfach, dass Anleger von ihrer Positionierung zugunsten eines ungünstigen makroökonomischen Szenarios profitieren.
Im Jahr 2020 kommt noch ein weiteres Teil zum Puzzle hinzu, nämlich eine Pandemie, von der niemand weiß, wie sie sich weiterentwickelt, und die nicht nur bestehende deflationäre Tendenzen verstärkt, sondern auch – und möglicherweise für längere Zeit – das Verhalten der Verbraucher verändert. Wie haben sich die Märkte an dieses zusätzliche Maß an Ungewissheit angepasst? Zum einen haben sie logischerweise ihre Positionierung in den Sektoren verstärkt, die den von der wirtschaftlichen Ungewissheit genährten Inflationsdruck „mögen“. Dann haben sie sich innerhalb dieser nicht-fragilen Sektoren auf Unternehmen konzentriert, deren Gewinnwachstum ganz offensichtlich von Verhaltensänderungen der Verbraucher profitiert (Ausstattung für das Home-Office, Videospiele, Cloud, E-Commerce, Umweltlösungen). Und schließlich haben sie dem unvergleichlichen Maß an Ungewissheit (über Konjunktur, Inflation, Politik und Geopolitik sowie Währungen) Rechnung getragen, indem sie ihr verbleibendes Vermögen in Gold verlagert haben: die traditionelle Risikoversicherung für alle Fälle. Daher sind die beiden Wetten, die seit Jahresbeginn am besten gelaufen aber eigentlich gar keine sind, der Index der großen Technologiewerte Nasdaq mit einem Plus von 25 % und der Goldminenindex, der um 35 % zulegte.
Die Anleger haben selbst bestimmt, was die optimale Vermögensallokation in Zeiten massiver Ungewissheit ist, wenn es illusorisch ist, sich auf wirtschaftliche Vorhersagen zu verlassen.
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