Analyse
11:00 Uhr, 16.03.2017

Was technische Analyse zu leisten imstande ist (und was nicht)

Chartanalyse ist Kaffeesatzleserei und unsinnig, schreiben die Kritiker. Chartanalyse ist ein wichtiges Hilfsmittel, wenn man sie gewissenhaft betreibt und sich ihrer Schwächen bewusst ist, sage ich.

Erwähnte Instrumente

  • DAX
    ISIN: DE0008469008Kopiert
    Kursstand: 12.009,87 Pkt (XETRA) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • DAX - WKN: 846900 - ISIN: DE0008469008 - Kurs: 12.009,87 Pkt (XETRA)

Im Februar erschien auf der Website der FAZ ein Anti-Charttechniker-Artikel, der es in sich hatte. Natürlich geschrieben von einem Professor der Volkswirtschaften, ein, wie schnell herauszulesen war, glühender Anhänger der Effizienzmarkthypothese von Eugene Fama. Der Artikel hätte einseitiger kaum formuliert werden können. Sie finden ihn hier. Eine kleine Kostprobe:

"Wer erwartet, bestimmte Muster in Wertpapierkursen zu finden, wird diese auch entdecken und ausschließen, dass es sich bei diesen Mustern um Zufall handelt. Wer Gottes Plan in den Kursen sucht, wird ihn dort finden, weil er ihn finden will."

Das ist nur eines vieler Todschlagargumente, die Skeptiker der technischen Analyse entgegen werfen.

Doch wir Charttechniker können leicht kontern. Im Standardwerk der Technischen Analyse, "Technische Analyse der Finanzmärkte", bringt es der Autor John J. Murphy auf den Punkt und entgegnet den Kritikern. Ich zitiere aus dem Kapitel zur Random-Walk-Theorie:

"Während wenig Zweifel darin bestehen, dass ein gewisses Maß an Zufälligkeit oder "Rauschen" in allen Märkten existiert, ist es einfach unrealistisch zu glauben, dass alle Preisbewegungen zufällig sind."

Und weiter: "Man sollte im Auge behalten, dass Zufälligkeit nur im negativen Sinn definiert werden kann, nämlich als Unfähigkeit, systematische Strukturen in Preisbewegungen aufzudecken. Die Tatsache, dass viele Akademiker unfähig waren, die Existenzen solcher Muster zu entdecken, beweist nicht, dass sie nicht existieren."

Abschließend noch ein wichtiger Punkt: "Sollte ein Leser an dieser Stelle irgendwelche Zweifel haben, so wird ein zufälliges Durchblättern irgendeines Chartbuches die Präsenz von Trends auf sehr plastische Art demonstrieren. Wie erklären die Anhänger der Random-Walk-Theorie den Fortbestand solcher Trends, wenn Kurse periodisch unabhängig sind, was bedeutet, dass das, was gestern oder letzte Woche geschah, nichts damit zu tun hat, was heute oder morgen geschieht? Wie erklären sie den profitablen Track-Record vieler Trendfolgesysteme im "realen" Leben?"

Fama vs. Shiller

Die oben angeführten Argumente erninnern mich an das Jahr 2013, als der Wirtschaftnobelpreis sowohl an Eugene Fama als auch an Robert Shiller vergeben wurde. Eugene Fama ist Begründer der effizienten Markttheorie. Auf die Börse abgemünzt lässt sie sich diese vereinfacht wie folgt zusammen fassen: Alle verfügbaren Informationen sind in den Kursen enthalten. Niemand weiß also mehr als andere Marktteilnehmer und daher sind auch die Preise und somit die Kurse von morgen nicht vorhersehbar. Eine wichtige Prämisse für Famas Modell ist die, dass alle Marktteilnehmer rational handeln.

Hier liegt auch einer der großen Kritikpunkte seines "Gegners" Robert Shiller. Shillers Buch "Irrational Exuberance" sorgte im Jahr 2000 für Aufsehen und gilt als eines der Standardwerke der Behavioral Finance. Zur Jahrtausendwende und auch vor der Finanzkrise warnte Shiller vor einer extremen Überbewertung der Märkte und lag damit richtig. Shillers Hauptaussagen: Es besteht ein langfristiger Zusammenhang zwischen der Gewinn- und Kursentwicklung von Unternehmen. Um diesen Haupttrend herum entstehen aber immer wieder Übertreibungen, die ökonomisch und rational als absurd erscheinen mögen. Der Finanzmarkt ist also laut Shiller nicht von Effizienz, sondern von Irrationalität geprägt.

Wer die Phase des Neuen Marktes mitgemacht hat und die Börse über Jahre hinweg verfolgt, wird wissen, was Shiller meint. In beide Richtungen, bullisch wie bärisch, kann der Markt länger übertreiben, als es das Konto manchen Traders überleben würde.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Genau diese Übertreibungen sind auf zwei essenzielle Emotionen zurückzuführen: Gier und Angst. Diese beiden Punkte bestimmen zu einem Großteil die Börse. Wer glaubt, die Menschheit würde in dieser Angelegenheit dazu lernen, ist auf dem Holzweg. Daher scheitern ja auch so viele Trader. Sie sind nicht bereit an sich zu arbeiten und aus ihren Erfahrungen zu lernen. Auch ist der Mensch ein Gewohnheitstier. Denken Sie nur mal an Ihren Samstagseinkauf. Die Routen, die Sie im Supermarkt abgehen, dürften sich Woche für Woche sehr ähneln. Produkte, die man gewohnt ist, kauft man eben immer wieder. In Extremsituationen gilt Ähnliches. Stürzen die Kurse ab, reagiert der Ottonormal-Anleger panisch und schmeißt seine Aktien blind auf den Markt. Steigt ein Markt dagegen über längere Zeit, wird die Gier immer größer, bis die Blase platzt.

All diese Gewohnheiten und Emotionen spiegeln sich in den Kursen wider. Warum sollte man diese Verhaltensweisen also nicht in Kursen erkennen können? Warum sollten sich Kursmuster also nicht wiederholen?

Volkswirtschaftler und leidenschaftlicher Charttechniker

Nun bin ich wie der obige Professor studierter Volkswirt und dennoch ein Anhänger der Chartanalyse. Wie kann das sein? Ich denke, mit den Ausführungen zu Shiller und den Emotionen der Marktteilnehmer habe ich schon erste Hinweise gegeben. Es gibt nicht DIE richtige Finanzmarkttheorie. Die effiziente Markttheorie konnte ich selbst widerlegen. Im Rahmen meiner Diplomarbeit haben ein Studium weltweiter Literatur zum Thema Insidertransaktionen und abschließend eine empirische Auswertung ergeben, dass das Nachbilden von gemeldeten Insiderkäufen (beispielsweise von Unternehmensvorständen oder Aufsichtsräten) durchaus zu einer Überrendite am Markt führen kann.

Erst einmal vorweg: Niemand kann Ihnen zu 100 % sagen, wo die Kurse morgen oder in einem Jahr stehen werden. Kein Charttechniker und im Übrigen auch kein Fundamentalanalyst. Daher kommt es auch, dass wir in unseren Analysen im Konjunktiv schreiben. Wenn Sie also eine Chartanalyse im Indikativ lesen, ist das stilistisch vielleicht schöner, inhaltlich aber falsch, da der Autor der Analyse suggeriert, er wüsste zu 100 %, wo der Kurs hingehen wird. Das ist aber nicht der Fall und wäre unseriös.

Der Charttechniker bewertet Wahrscheinlichkeiten. Ich denke, sehr gut beschreiben kann man dies mit den berühmt-berüchtigten Rallyansagen meines hochgeschätzen Kollegen André Tiedje. Wann immer er eine solche seltene Ansage macht, liegt ihm laut Studium der Elliott-Wellen eine Konstellation mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 90 % vor. Auf diese gelangt Tiedje, indem er auf Basis des Regelwerks der Elliott-Wellen gewisse Varianten ausschließen kann, bis nur mehr wenige vorliegen, die je nach Count sogar in die selbe Richtung zeigen. Er hat also auf Basis seiner Analyse eine hohe Wahrscheinlichkeit hinter sich. So weit ich es überprüfen konnte, ist mir keine Rallyansage von Tiedje bekannt, die komplett in die Hose ging.

Auch eine 50/50-Situation kann Ergebnis einer Analyse sein

In anderen Marktphasen wie beispielsweise aktuell bei EUR/USD spricht Tiedje dagegen von einer Münzwurfangelegenheit. Hier würde er derzeit also keine Richtung stark präferieren oder ihr eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zuweisen. Auch das kann also Ergebnis einer Analyse sein.

Wer sich über Jahre mit Kursverläufen beschäftigt, erkennt sehr wohl sich wiederholende Muster. Vor allen Dingen durch das Analysenpaket meines Kollegen André Tiedje und das Studium der Grundzüge der Elliott-Wellen habe ich in der Qualität meiner Analysen noch einmal einen Sprung nach vorne gemacht und kann diese Muster leichter erkennen. Denn keine Analysemethode nimmt Kursbewegungen so auseinander wie die Elliott-Wellen. Tiedjes Performance über die vergangenen Jahre zeigt, dass sein Ansatz funktioniert. Dieser Ansatz basiert rein auf der Auswertung von Elliott-Wellen. Und mit Tiedje habe ich nur einen unserer erfolgreichen Trader herausgepickt. André Rain bespielsweise tradet auf Basis der klassischen Charttechnik und nur auf deren Basis und achtet auf bestimmte Ausbruchssetups. Seine Performancekurve im Rainman Trader hat er hier gepostet.

Es geht bei der Chartanalyse also vorrangig darum, interessante Punkte, ich spreche immer von Kumulationspunkten, im Chart herauszufiltern, an denen viele Argumente für ein bestimmtes Szenario sprechen, an denen der Charttechniker also die Wahrscheinlichkeit auf seine Seite holen kann. Ebenfalls spielt der Charttechniker existierende Trends und respektiert diese. Für einen Trendwechsel müssen verschiedene Punkte erfüllt sein.

Hier auf dem GodmodeTrader haben sich sehr gute Charttechniker und Trader versammelt und ich bin sehr stolz, Teil dieses Teams zu sein. Unsere Arbeit als unsinnig und als Kaffeesatzleserei abzutun, finde ich respektlos. Denn wir sind leidenschaftliche Analysten, Trader, Börsianer. Und wir verstehen unser "Handwerk".

Ich freue mich auf Ihre Meinungen!

World of Trading 2024: Triff die stock3-Experten live vor Ort

Am 22. & 23.11. findet die World of Trading in Frankfurt statt & stock3 ist mit dabei. Wir laden Dich ein, uns & unsere Experten näher kennenzulernen. Mit dabei sind u.a. Bastian Galuschka, Sascha Gebhard, Oliver Baron u.v.m.

Jetzt kostenloses Ticket sichern!

Passende Produkte

WKN Long/Short KO Hebel Laufzeit Bid Ask
Keine Ergebnisse gefunden
Zur Produktsuche

5 Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • Bastian Galuschka
    Bastian Galuschka Chefredakteur

    Es ging im Text um Rallyansagen von AT, die er wie beschrieben selten veröffentlicht. Die letzte Rallyansage machte er für den Eurostoxx 50 und hat einmal mehr das Tief erwischt.

    https://www.godmode-trader.de/blogpost/eurostoxx50...

    Sie werden immer Analysen finden, die nicht aufgehen. Auch das stand im Text. Es gibt keine Wahrscheinlichkeit von 100%. Sie brauchen nicht einmal eine Trefferquote von 50%, um profitabel handlen zu können. Aber das ist ein anderes Thema.

    Die expliziten Rallyansagen von Tiedje haben eine Trefferquote von 99,9%, wie er selbst schreibt.

    21:02 Uhr, 16.03. 2017
  • Timxxx
    Timxxx

    "So weit ich es überprüfen konnte, ist mir keine Rallyansage von Tiedje bekannt, die komplett in die Hose ging."

    Moment! Hat Tiedje nicht den Ölpreisverfall bis auf auf 10$ vorhergesagt??? Im EURUSD kann ich mich noch an eine C auf 1,17 und dann Abfall auf Parität erinnern, nur beides trat nicht ein. Tiedje macht nie Zeitangaben obwohl durchaus grobe Zeiteinschränkungen nach Elliots Theorie möglich sind. Wenn man sich so vage wie möglich ausdrückt, werden irgendwann sämtliche Kursziele angefahren - für Kunst halte ich das weniger. Übrigens switched er auch auch mal zwischen bullischen und bärischen Counts, was wohl jeder machen muss der mit Wasser kocht und nicht gegen den globalen Trend handeln will.

    20:13 Uhr, 16.03. 2017
  • Master Robin
    Master Robin

    "Tiedjes Performance über die vergangenen Jahre zeigt, dass sein Ansatz funktioniert."
    Hmmm. Sie meinen so ähnlich wie die Silber-Analyse vom Sommer 2016?
    https://www.godmode-trader.de/analyse/silber-ist-d...
    Wir sind aktuell bei ca. $17.40. Sollten wir da nicht inzwischen >$20 stehen?

    14:58 Uhr, 16.03. 2017
  • 0815
    0815

    Vielen Dank für den erheiternden Artikel,

    Ich bin selbst Volkswirt und habe einige gängige Lehrmeinungen satt. Die Markteffizienzhypothese ist da nur eine davon.

    Ich habe passend dazu ein Zitat von George Soros mitgebracht:

    “I am not well qualified to criticize the theory of rational expectations and the efficient market hypothesis because as a market participant I considered them so unrealistic that I never bothered to study them.”

    Ich denke jeder Trader kann tagtäglich das erleben, was Soros gesagt hat.

    Ich bin als Kunde bei Andre im ICE Paket und kann Ihr Lob zu ihm vollumfänglich bestätigen. Die Rallyansagen sind wirklich legendär. Allerdings ist es immens viel Arbeit die EW Theorie in der Praxis anzuwenden zumindest wenn man vollständig countet.

    12:37 Uhr, 16.03. 2017
    1 Antwort anzeigen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Bastian Galuschka
Bastian Galuschka
Chefredakteur

Bastian Galuschka ist seit über 20 Jahren an der Börse aktiv. Er entdeckte bereits zu Schulzeiten seine Leidenschaft für die Börse. Über fünf Jahre lang war der Diplom-Volkswirt als Redakteur bei einem bekannten Anlegermagazin tätig und verantwortete dort den Bereich Charttechnik. Seit März 2013 verstärkt er die Redaktion der stock3 AG. Bastian Galuschka kombiniert bei seinen Analysen gerne Fundamentaldaten mit charttechnischen Aspekten. Gerade im Smallcapbereich hat sich der Analyst über viele Jahre ein fundiertes Wissen aufgebaut. Seit Juni 2023 ist Galuschka Chefredakteur von stock3.

Mehr über Bastian Galuschka
  • Fundamentalanalyse
  • Kombinationsanalyse
  • Small Caps
  • Newstrading
Mehr Experten