Kommentar
15:46 Uhr, 16.07.2012

Warten auf das Verfassungsgericht

Der Sommer dürfte spannend werden. Das Bundesverfassungsgericht will seine Entscheidung über die Eilanträge gegen den Fiskalpakt und den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM erst am 12. September bekanntgeben. Bei der mündlichen Verhandlung vor einer Woche hatten die Verfassungsrichter bereits angedeutet, sich möglicherweise mehr Zeit lassen zu wollen, als dies bei Eilverfahren üblich ist. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle kündigte eine "verfassungsrechtlich vernünftige Prüfung" an. Dabei könnte im Rahmen eines sogenannten "Zwischenverfahrens" bereits eine inhaltliche Prüfung von ESM und Fiskalpakt erfolgen. Normalerweise bleibt bei Eilentscheidungen nämlich die eigentliche inhaltliche Frage unberücksichtigt, es geht nur um eine Folgenabwägung. Dabei stellen sich die Richter die Frage, ob es schlimmere Folgen hätte, wenn dem Eilantrag stattgegeben wird, sich die Maßnahmen aber im Hauptverfahren als verfassungsgemäß herausstellen, oder wenn die Eilanträge zwar zurückgewiesen werden, im Hauptverfahren aber dann die Kläger Recht bekommen.

"Wir sehen doch alle die Schlagzeilen: ‚Euro-Rettung durch Deutschland gestoppt‘“, sagte Vosskuhle in der Verhandlung. Deshalb sei es sinnvoller, bereits bei der Entscheidung über die Eilanträge eine "sehr sorgfältige summarische Prüfung" vorzunehmen. "Eine bloße Folgenabwägung würde den weitreichenden und möglicherweise irreversiblen Konsequenzen einer gerichtlichen Entscheidung nicht gerecht - und auch nicht der herausragenden politischen Bedeutung des Verfahrensggenstands", fügte eine Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts am Montag hinzu. Aus Sicht der ESM-Gegner ist eine inhaltliche Prüfung auch deshalb geboten, weil durch ein Scheitern der Eilanträge unverrückbare Tatsachen geschaffen würden, die nicht mehr rückgängig zu machen wären. Denn nach der Ratifizierung durch den Bundespräsidenten wären die Verträge völkerrechtlich wirksam geworden und könnten anschließend auch durch das Verfassungsgericht nicht mehr gestoppt werden. Da in den Verträgen keine Kündigung vorgesehen ist, könnten sie nur noch rückgängig gemacht werden, wenn alle Vertragspartner zustimmen. Gut möglich, dass diese Erwägungen auch das Bundesverfassungsgericht geleitet haben.

Aus den genannten Gründen dürfte die Entscheidung über die Eilanträge am 12. September zu einer Entscheidung über den weiteren Kurs der Euro-Rettung werden. Dabei gibt es mehr als nur zwei Möglichkeiten. Denn es ist durchaus denkbar, dass das Verfassungsgericht ESM und Fiskalpakt zwar durchwinkt, aber einschränkende Vorgaben macht, wie die Verträge und Gesetze auszulegen sind, damit sie dem Grundgesetz nicht widersprechen. Dies könnte zum Beispiel die Zustimmungspflichten des Bundestages zu ESM-Rettungsmaßnahmen betreffen oder die Möglichkeit von Gerichten, Euro-Rettungsmaßnahmen juristisch zu überprüfen.

Mit der Entscheidung, erst Mitte September über die Eilanträge zu entscheiden, haben sich die Verfassungsrichter immerhin über die Bitte von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hinweggesetzt, möglichst schnell zu entscheiden. Dies macht Hoffnung, dass die Verfassungsrichter tatsächlich eine unvoreingenommene Entscheidung treffen und sich dabei nur von der Verfassung leiten lassen und nicht von scheinbaren Sachzwängen. Das Bundesverfassungsgericht wird immer mehr zur letzten Bastion der Rechtsstaatlichkeit in Zeiten der Euro-Rettung. Seit Ausbruch der Euro-Krise legten die Staats- und Regierungschefs ein immer schnelleres Tempo hin, wenn es darum ging, neue Milliardenbeträge bereitzustellen und damit Fundamente der Währungsunion, wie die No-Bailout-Klausel, auszuhöhlen. Die Politik wurde zum Getriebenen der Finanzmärkte. Das Verfassungsgericht widersetzt sich jetzt dieser Logik, indem es sich einen ganz eigenen Zeitplan gibt. Erst am 12. September wird entschieden. Vorher haben die Märkte keine andere Wahl, als abzuwarten.

Oliver Baron
Redakteur BoerseGo.de

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Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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