Wachsende Altersarmut - mehr Teilhabe statt mehr Umverteilung erforderlich
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Externe Quelle: Deutsche Bank Research
Autor: Dieter Bräuninger
Manche der Themen, die in die Schlagzeilen geraten, verdienen durchaus Aufmerksamkeit. Dazu gehört die Debatte über Altersarmut. Armut unter Älteren ist derzeit zwar – anders als manche Glauben machen wollen – kein weit verbreitetes Phänomen. Im Gegenteil. Von den rd. 20 Mio. Rentnern beziehen knapp 2,5 % eine Grundrente auf Grundsicherungsniveau. In den nächsten Jahrzehnten könnte sich das Bild jedoch deutlich ändern. Ein kräftiger Anstieg des Anteils ärmerer älterer Menschen scheint vorprogrammiert zu sein. Manche Beobachter gehen sogar von einer Quote von 30 % zur Jahrhundertmitte aus. Mit Blick in die Zukunft führt Deutschland hier keine Phantomdebatte.
Kritiker machen vor allem die jüngsten Rentenreformen für die Gefahr zunehmender Altersarmut verantwortlich. Tatsache ist: Das Rentenniveau wird sinken. Derzeit beträgt die Bruttorente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren rd. 47 % des Durchschnittseinkommens der Aktiven. Bis 2030 geht der Wert auf 42 % zurück. Um ein solches Niveau zu erreichen, bedarf es dann aber einer Versicherungszeit von 47 Jahren. Hingegen werden Versicherte, die künftig nicht mindestens 28 Jahre Beiträge einzahlen oder 60 % des Durchschnittslohnes verdienen, mit ihrer Rente kaum noch das Niveau der staatlichen Grundsicherung erreichen.
Im Grunde ist diese Tatsache seit Jahren bekannt. Nun aber geht die Sorge um, dass immer mehr Versicherte keine hinreichenden Rentenanwartschaften erreichen werden. Wer den unbefriedigenden Status quo am Arbeitsmarkt, vor allem auch in Ostdeutschland, als unabänderlich annimmt und die noch immer relativ hohe Zahl Langzeitarbeitsloser und den langfristigen Trend zu mehr unstetigen, gebrochenen Erwerbskarrieren fortschreibt, kommt unschwer zu den genannten Armutsquoten.
Freilich werden dabei die Chancen der privaten Altersvorsorge ausgeblendet. Durch Vorsorgesparen kann das Armutsrisiko wesentlich verringert werden. Auch deswegen hat der Gesetzgeber zeitgleich mit den Einschnitten bei der Rente die Förderung der Eigenvorsorge beschlossen. Durchschnittsverdiener, die einen Vertrag über eine Riester-Rente oder eine geförderte Betriebsrente abschließen und darauf, wie vom Gesetzgeber vorgesehen, 4 % ihres Einkommens ansparen, können die Grenze der Bedürftigkeit im Alter unter günstigen Bedingungen schon nach 20 Jahren überwinden. Insofern stimmt es zuversichtlich, dass die geförderte private Vorsorge seit geraumer Zeit einen Aufschwung erlebt. Bei der Riester-Rente etwa ist die Teilnahmequote allein in den letzten beiden Jahren von unter 20 % auf über 30 % nach oben geschnellt. Das heißt aber auch: Etwa zwei Drittel der Berechtigten nehmen noch immer nicht teil. Dabei darf es aber nicht bleiben. Bei den nächsten Rentnergenerationen müssen die Vermögenseinkünfte anders als heute mehr sein als nur das Sahnehäubchen der Versorgung, nämlich wesentliche Grundsubstanz. Angesichts der noch verbreiteten Abstinenz bei der Eigenvorsorge stellt sich daher weiterhin auch die Frage nach einem Obligatorium bei der privaten Vorsorge.
Hier wird eingewandt, die noch unzureichende Vorsorgebereitschaft sei in vielen Fällen auch Reflex einer nur geringen Sparfähigkeit. Gerade vielen Personen mit nur geringem Arbeitseinkommen mangle es an finanziellen Mitteln für eine ergänzende private Vorsorge. Dem ist entgegen zu halten, dass die staatliche Förderung der Eigenvorsorge gemessen an den erforderlichen eigenen Beiträgen gerade bei Geringverdienern relativ hoch ist. Gleichwohl lässt sich das Argument mangelnder Sparfähigkeit der Betroffenen nicht von der Hand weisen. Was also ist zu tun?
Verbieten sollten sich Manipulationen an der geltenden Rentenformel, die auf eine nur verminderte Absenkung des künftigen Rentenniveaus zielen. Eine solche rentenpolitische Kehrtwende müsste unausweichlich in die Sackgasse steigender Rentenbeiträge führen. Die maßgebliche Rentenreform war aber zu Recht von der Einsicht geleitet, dass der demografisch-bedingte Beitragsanstieg durch ein geringeres Rentenniveau eng begrenzt werden muss, damit Unternehmen und insbesondere jüngere Arbeitnehmer nicht überfordert werden und auch in der alternden Gesellschaft wirtschaftliches Wachstum möglich bleibt. Umso bedauerlicher ist, dass die Politik mit der für zwei Jahre beschlossenen Abkehr vom regelgemäßen Anpassungspfad der Renten aktuell ein Stück weit von dieser Einsicht abrückt. Vertrauen in den Kurs einer nachhaltigen Sozialpolitik kann so schwerlich wachsen. Höhere künftige Rentenbeiträge als bislang geplant wären auch dann erforderlich, wenn nur die Renten der Geringverdiener aufgestockt würden.
Nun behaupten Kritiker, die drohende Altersarmut sei kein demografisches Problem und damit auch keine Frage der Generationengerechtigkeit, sondern durch mehr Umverteilung von Reich zu Arm zu lösen. Folgt man dieser Behauptung, so müssten die Altersarmutsgefährdeten zulasten anderer Gruppen mit Ansprüchen auf eine höhere Rente ausgestattet werden. Im Rahmen der Rentenversicherung hieße das, höhere Renten für Geringverdiener und geringere Renten für Bezieher höherer Einkommen – mithin also Übergang hin zur Einheitsrente. Die Rentenbeiträge hätten dann noch mehr als bislang schon Steuercharakter.
Als Paradebeispiel für eine solche Lösung gilt die staatliche Grundversicherung der Schweiz. Dort besteht für alle Erwerbstätigen eine Versicherungspflicht und Beiträge sind auf das gesamte Erwerbseinkommen zu entrichten. Eine Beitragsbemessungsgrenze gibt es nicht. Hingegen liegen bei vergleichbarer Versicherungsdauer die Mindest- und die Höchstrente relativ eng beieinander. Was oft nicht beachtet wird, ist die liberale Seite des Systems. Die Einkommensteuersätze und die Beitragssätze zur Sozialversicherung sind in der Schweiz wesentlich niedriger als in Deutschland. Die dortige obligatorische Krankenversicherung etwa finanziert sich durch einen einheitlichen Pauschalbetrag, wie er hier zu Lande verpönt ist.
Wer in Deutschland den Wechsel hin zu einer Einheitsrente fordert, muss sich fragen lassen, was er Leistungsträgern noch alles zumuten will. Erhebliche Verwerfungen wären absehbar, wenn der Staat die Arbeitseinkommen durch vermehrte Umverteilung weiter verzerren würde. Das gilt allein schon deshalb, weil der Übergang von der heutigen Rentenversicherung zu einer Mindestsicherung nicht ohne weitere millionenfache, massive Eingriffe in Anwartschaftsrechte und / oder weitere Steuererhöhungen zu schaffen wäre. In der Folge müsste der ohnehin drohende Fachkräftemangel eskalieren. Statt mehr zu leisten und im Lebenszyklus länger zu arbeiten, würden besser bezahlte, knappe Kräfte weniger Arbeitsleistungen anbieten. Jüngere würden verstärkt ins Ausland abwandern, Ältere sich vermehrt in den Vorruhestand verabschieden. Der Standort D verlöre an Attraktivität. All das wäre das Gegenteil dessen, was Deutschland braucht, wenn wir die anstehenden Herausforderungen nicht nur bei der Rente meistern wollen.
Das Übel der drohenden Altersarmut muss bei der Wurzel gepackt werden. Die Antwort heißt nicht mehr Umverteilung, sondern mehr Teilhabe. Der Kuchen des Sozialprodukts muss größer werden und es ist dafür zu sorgen, dass mehr Menschen beim Backen beteiligt werden und originäre Ansprüche auf Altersversorgung erwerben.
Heute sind zu viele Erwerbsfähige nicht oder nur unzureichend am Erwerbsleben beteiligt. Zu viele Menschen weisen erhebliche, lang währende Lücken in ihren Arbeitsbiografien auf. Das ist kein Plädoyer für eine Rückkehr zu Zeiten, in denen eine lebenslange Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber die Regel war. Diese Zeiten kehren nicht mehr zurück. Hier sollte niemand Illusionen verbreiten.
Umso wichtiger ist es, die Segmentierung des Arbeitsmarktes zu überwinden. Der deutsche Arbeitsmarkt ist zu wenig durchlässig. In kaum einem vergleichbaren Land ist die Trennung zwischen Insidern, die relativ sichere Arbeitsplätze und gute soziale Absicherung besitzen und Outsidern, die sich schwer tun, überhaupt eine Stelle zu finden, so strikt wie in Deutschland. Deshalb greifen auch Klagen über einen wachsenden Niedriglohnsektor zu kurz. Das zentrale Problem ist nicht, dass die Zahl weniger gut bezahlter Stellen zunimmt. Ein Problem erwächst daraus erst dann, wenn zu viele Geringverdiener zu lange für den Sprung in besser bezahlte Stellen brauchen.
Eine zielführende Strategie gegen zunehmende Altersarmut umfasst daher zwei Elemente:
Zum einen sollte die zu Recht schon von vielen angemahnte Bildungs- und Qualifizierungsoffensive konsequent umgesetzt werden. Das Risiko der Arbeitslosigkeit ist für Personen ohne Berufsausbildung fast dreimal so hoch wie für Ausgebildete. Generell hängen die individuellen Einkommensperspektiven eng mit der Ausbildung und der Bereitschaft zum lebenslangen Lernen zusammen. Qualifikation ist daher auch der Schlüssel für mehr soziale Sicherheit. Zum anderen sollte der Arbeitsmarkt flexibler werden. Es wäre klug, Hemmnisse zu beseitigen, die Unternehmen die Einstellung von Arbeitskräften erschweren. Hier ist etwa an eine weitere Reform der Kündigungsschutzes zu denken. Auch wenn dieses Thema durch neue Möglichkeiten der Zeitarbeit teilweise an Brisanz verloren hat, wäre etwa eine Ergänzung des gegenwärtigen starren Regelwerkes durch ein Modell optionaler Abfindungsregelungen sinnvoll. Das Problem drohender Altersarmut ist nur im Kontext eines umfassenden Ansatzes guter Wirtschaftspolitik lösbar. Generell geht es darum, die Flexibilität und Dynamik in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt zu steigern.
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