Kommentar
14:58 Uhr, 20.12.2016

Vorsicht bei Anlageentscheidungen, die sich an der Vergangenheit orientieren

Zu einem Großteil bestimmen die Erträge der Vergangenheit unsere Anlageentscheidungen für die Zukunft. Dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der jüngeren Behavioral-Finance-Forschung. Doch dieser sogenannte „Extrapolation Bias“, also das Fortschreiben der Vergangenheit, ist nicht ohne Tücke und könnte sich am Ende als Fallstrick erweisen.

Psychologische Studien haben gezeigt, dass unser Entscheidungsprozess auf dem Zusammenspiel von zwei Gehirnregionen beruht, der intuitiven Gehirnhemisphäre und der kognitiv-reflektiven Hemisphäre. Erstere Region – von Psychologen auch System 1 genannt – hat tendenziell mehr Einfluss und ist stets, wenn auch oft unbewusst, aktiv. Mit anderen Worten: All unsere Entscheidungen erfolgen zum Teil intuitiv. Gerade bei Anlageentscheidungen führt das zu vorhersehbaren Fehlentscheidungen, auch als „Behavioral Bias“ bezeichnet.

Einer der hervorstechendsten und markantesten Behavioral Biases ist der Extrapolation Bias, der uns dazu verleitet, die Trends der jüngsten Vergangenheit in übertriebenem Maße in die Zukunft fortzuschreiben. Das lässt sich an folgendem Beispiel illustrieren: Marc ist außerordentlich fit und athletisch, ein gut aussehender junger Mann mit attraktiver Freundin und teurem italienischen Sportwagen. Welches Szenario ist wohl wahrscheinlicher?

A) Marc spielt Fußball in der Bundesliga.
B) Marc ist Krankenpfleger.

Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass die meisten Menschen A) für die wahrscheinlichere Variante halten. Und das, obwohl es mehr Krankenpfleger als Bundesligaspieler gibt! Warum halten wir Szenario A) also für wahrscheinlicher? Weil unsere Erwartungen häufig darauf beruhen, wie repräsentativ die Antworten unserer Meinung nach für die Beschreibung sind (wonach Marc instinktiv als Bundesligaspieler wahrgenommen wird) und weniger auf den Gesetzen der Statistik.

Dieses Phänomen wird als Repräsentativitätsheuristik, also eine Urteilsentscheidungsregel, bezeichnet, wonach wir in beliebigen Abläufen Muster wahrnehmen. Das lässt sich beispielhaft an zehn Münzwürfen verdeutlichen. Welche Folge halten Sie für wahrscheinlicher? (Notieren Sie sich Ihre Antwort.)

A) Kopf-Zahl-Kopf-Zahl-Zahl-Kopf-Kopf-Zahl-Zahl-Kopf
B) Kopf-Kopf-Kopf-Kopf-Kopf-Zahl-Zahl-Zahl-Zahl-Zahl

Die meisten Menschen halten A) für wahrscheinlicher als B). Sie auch? Tatsächlich sind beide Varianten gleich wahrscheinlich. Warum neigen wir dazu, das Gegenteil zu glauben? Variante A) scheint die Zufälligkeit des Münzwurfs besser zu repräsentieren. Variante B) scheint dagegen nicht repräsentativ für einen zufälligen Ablauf. Denn wie sonst kann sich bei einem völlig zufälligen Ablauf eine klare Trendfolge abzeichnen? Nach der Repräsentativitätsheuristik nehmen wir ein Muster als zufällig wahr, wenn es uns als repräsentativ für eine zufällige Abfolge erscheint.

Psychologen gehen einen Schritt weiter. Eine von den Psychologen Gilovich, Vallone und Tversky (1985) durchgeführte Studie bestätigte die menschliche Neigung, Zufallsabfolgen als Trends wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Wir sehen Trends, wo gar keine sind. Das bedeutet, dass wir Resultate über relativ kurze Zeiträume der jüngeren Vergangenheit zuschreiben: der Extrapolation Bias.

Dieser Extrapolation Bias wirkt sich in erheblicher Weise auf unsere Investmententscheidungen aus. Er bedeutet unter anderem, dass sich unsere Erwartungen an die künftigen Erträge der verschiedenen Anlageformen (darunter beispielsweise auch Aktien und Publikumsfonds) auf die in der jüngeren Vergangenheit erzielten Erträge stützen. So lassen sich gute Aktiengewinne in letzter Zeit mühelos in positive Erwartungen für die künftigen Erträge dieser Aktien ummünzen. Dies gilt auch im Umkehrfall: Schlechte Erträge in jüngerer Zeit bedeuten geringe Erwartungen an künftige Erträge. Tatsächlich lässt sich ein solches Verhalten in zahlreichen gängigen Umfragen zum Anlegerverhalten nachweisen. So wies der American Association of Individual Investors US Investor (AAII) Sentiment Index kürzlich weitaus optimistischere Werte aus, als Aktien in letzter Zeit sehr viel bessere Erträge abwarfen. Die aktuelle Zuversicht unter Investoren ist also größtenteils auf die mit den Erträgen der letzten Monate gestiegenen Erwartungen zurückzuführen.

Folglich bestimmen die Erträge der Vergangenheit unsere Anlageentscheidungen für die Zukunft. Ist das vernünftig? Der Extrapolation Bias bedeutet, dass wir dazu neigen, Trends zu folgen. Tendieren die Märkte aufwärts, ist das für die Portfolioerträge tendenziell günstig. Doch erliegen wir dem Extrapolation Bias nicht nur in Zeiten steigender Märkte, sondern auch wenn die Märkte fallen. In solchen Phasen kann uns der Extrapolation Bias teuer zu stehen kommen.

Darüber sollten Sie sich bei Ihren Anlageentscheidungen bewusst sein. Orientieren Sie sich bei Ihren Entscheidungen nicht zu sehr an der Vergangenheit. Lassen Sie die Vergangenheit also Vergangenheit sein und stützen Sie Ihre Entscheidungen stattdessen auf neutrale Faktoren.

Autor: Guido Baltussen, Head of Quantitative Research & Strategy Fixed Income and Multi Asset bei NN Investment Partners sowie Associate Professor an der Erasmus University Rotterdam

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