Volkswirte: EU droht Wettlauf um Zukunftstechnologien zu verlieren
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Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones) - Europa droht ohne Änderungen seiner Forschungspolitik den Wettlauf um die Zukunftstechnologien zu verlieren. Das ist die Einschätzung einer Gruppe von Volkswirten aus Frankreich, Deutschland und Italien, zu denen auch der Präsident des Ifo-Instituts gehört. Die Ökonomen sehen die Ausrichtung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Europa kritisch und fordern von der EU höhere Investitionen in bahnbrechende Innovationen und eine Unterstützung von Hightech-Projekten mit geringer technologischer Reife.
"Die EU verliert den Wettlauf um Innovationen und gibt damit wirtschaftliches Wohlergehen sowie regulatorischen und geopolitischen Einfluss auf. Ihre völlige Abwesenheit in der Gruppe der Top-20-Tech-Unternehmen und der Top-20-Start-ups ist bedrohlich. Sie gibt zu wenig für Forschung und Entwicklung aus und konzentriert sich auf Mid-Tech-Branchen", sagte Nobelpreisträger Jean Tirole von der Toulouse School of Economics.
Ifo-Präsident Clemens Fuest kritisierte, dass sich die Investitionen in die EU-Forschung auf die Automobilindustrie und ähnliche Sektoren konzentrierten, während Europa in wachsenden Hightech-Branchen wie der digitalen Wirtschaft immer weiter abgehängt werde. "Der Kontinent befindet sich in einer Mid-Tech-Falle", warnte Fuest.
Mehr Wissenschaftler statt Bürokraten
Um den aktuellen Trend umzukehren, muss die EU dem Bericht zufolge viel mehr in bahnbrechende Innovationen investieren und Hightech-Projekte mit geringer technologischer Reife unterstützen. "Die EU sollte daher die politische Kontrolle über wissenschaftliche Entscheidungen verringern, mehr führende Wissenschaftler einbeziehen und diesen mehr Ermessensspielraum und Flexibilität einräumen. Nur dann wird die EU in der Lage sein, der Mid-Tech-Falle zu entkommen, wenn sie bahnbrechende Innovationen unterstützt", sagte Tirole.
Fuest forderte, dass die EU ihre Forschungspolitik ändern, sich stärker auf bahnbrechende Innovationen konzentrieren und gleichzeitig ihre Basis verbreitern müsse, wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern wolle. "Sie muss auch einen anderen Ansatz für die Verwaltung der Zuweisung von europäischen Mitteln in diesem Bereich wählen", sagte Fuest.
Die Ökonomen fordern, den Europäischen Innovationsrat (EIC) nach dem Vorbild der amerikanischen ARPA-Agenturen umzugestalten. Dies würde bedeuten, dass mehr Wissenschaftler und weniger Beamte in den Ausschüssen sitzen. Im Vergleich zu den USA seien die Bewerbungs- und Auswahlverfahren in der EU extrem bürokratisch und unterlägen einem starren, komplizierten Regelwerk.
Laut Ifo würden deshalb in Europa derzeit zu wenige bahnbrechende Innovationen gefördert. Die Finanzierung konzentriere sich zu sehr auf die Behebung von Unzulänglichkeiten des Kapitalmarkts, mit denen kleine und mittlere Unternehmen zu kämpfen haben. Mehr Geld könnte durch die Umverteilung eines Großteils des Budgets des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT) zur Verfügung gestellt werden, das bisher nur wenig erreicht zu haben scheine, so das Ifo.
Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com
DJG/aat/hab
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