Kommentar
13:04 Uhr, 07.06.2013

Verbal-Akrobatik der US-Notenbank

Die Stimmung in der Weltwirtschaft bleibt verhalten. In China bewegt sich der offizielle Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe mit einem Wert von 50,8 zwar weiter im expansiven Terrain. Gleichzeitig fällt jedoch der entsprechende Einkaufsmanagerindex der HSBC Bank mit einem Wert von 49,6 unter die Expansionsschwelle von 50.

Die nachlassende Konjunkturdynamik der Weltwirtschaft gepaart mit den zunehmend deutlicher werdenden Auswirkungen der Zwangskürzungen im US-Staatshaushalt gehen auch an der amerikanischen Wirtschaft nicht spurlos vorüber. So rutscht der ISM Index für das Verarbeitende US-Gewerbe mit einem Wert von 49 - ein Vier-Jahres-Tief - unter die Expansion anzeigende Schwelle von 50 und signalisiert leichten Gegenwind für die US-Konjunkturerholung. Deutlich hat sich dabei die Neuauftragskomponente des ISM Index von 57,8 im Februar auf zuletzt 48,8 eingetrübt. Und auch der Konjunkturbericht der US-Notenbank bescheinigt der US-Wirtschaft zuletzt nur eine bescheidene Entwicklung.

Noch nicht einmal der Einstieg in den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik

Angesichts dieser noch nicht befriedigenden Konjunkturerholung bleibt der US-Notenbank keine andere Wahl, als das geldpolitische Gaspedal weiter durchzudrücken.

Worauf zielt dann also die aktuell intensiv geführte Diskussion der Fed über eine Abschwächung des Anleiheaufkaufprogramms (QE3) ab? Notenbankchef-Chef Bernanke ist nicht entgangen, dass der US-Aktienmarkt - getrieben von der beispiellosen Liquiditätsoffensive - der Realwirtschaft weit vorgelaufen ist. So notierte der US-Aktienindex S&P 500 zwischenzeitlich auf einem Rekordhoch, während die amerikanische Konjunktur - gemessen am Index der US-Frühindikatoren - noch lange nicht an ihre robuste Verfassung von vor der Lehman-Pleite 2008 anschliessen konnte. Angesichts dieser Lethargie bedarf es noch auf unabsehbare Zeit der deutlichen Unterstützung der US-Geldpolitik.

Damit es im Zuge der wirtschaftlich gebotenen, üppigen Liquiditätspolitik aber nicht zu einer dramatischen Blasenbildung an den US-Finanzmärkten kommt - deren Platzen auch zu dramatischen konjunkturellen Kollateralschäden führen würde - sorgt die Fed mit der breiten geldpolitisch restriktiven Diskussion sozusagen verbal-erotisch für Korrekturbewegungen am Aktienmarkt. Grundsätzlich ändert sie an ihrer expansiven geldpolitischen Ausrichtung jedoch nichts.

Dieses sehr positive Liquiditätsbild würde auch dann nicht getrübt, wenn es de facto zu einer Abschwächung der monatlichen Anleiheaufkäufe kommen sollte. Laut Konsensschätzungen des Datenanbieters Bloomberg könnte die Fed tatsächlich ab Oktober 2013 ihr monatliches Aufkaufvolumen von 85 auf 65 Mrd. US-Dollar, also um 25 Prozent senken. Anstatt auf fünf Billionen US-Dollar würde sich die Bilanzsumme der US-Notenbank immer noch auf gut 4,7 von aktuell 3,4 Billionen erhöhen. Geldpolitische Restriktion sieht anders aus. Der Nettoeffekt in punkto Liquidität bleibt immer noch sehr positiv. Ein Ende der Liquiditätshausse am US-Aktienmarkt droht nicht.

Grafik der Woche: Liquiditätsausstattung in den USA im Status Quo und bei Abschwächung der Anleiheaufkäufe

Der Einstieg in den geldpolitischen Ausstieg findet erst dann statt, wenn der Nettoeffekt der Liquiditätspolitik negativ wird. Und der wirkliche Ausstieg aus der lockeren US-Notenbankpolitik ergibt sich erst bei steigenden US-Notenbankzinsen. Daran ist vor dem Hintergrund eines noch fragilen Konjunkturumfelds überhaupt nicht zu denken.

Denn dann würde sich ein Double Dip der US-Konjunktur - ein nochmaliges Abrutschen in die Rezession - zeigen. Als Gegenmaßnahme müsste die Fed eine noch freizügigere Notenbankpolitik beteiben, als die, die vorher herrschte.

Genau diese bittere Erfahrung musste die US-Notenbank bereits machen. Die zwischen 2004 und 2006 wenn auch nur in Trippelschritten sich erhöhenden US-Notenbankzinsen haben zum Einbruch der amerikanischen Konjunktur durch das Platzen der Immobilienblase und steigende Refinanzierungskosten für US-Unternehmen geführt. Anschließend waren zwischen Ende 2007 und 2008 drastische Zinssenkungen auf ein Rekordtief von 0,25 Prozent (vorher 1 Prozent) nötig, um die Konjunktur erneut anzukurbeln. Dieser seit 2009 anhaltende Niedrigzins hat zwar unbestritten die Unternehmensfinanzierungen über den Kapitalmarkt verbilligt, bislang bei den Konjunkturperspektiven aber noch keine breitseitige Erholung gezeigt. Offensichtlich brauchen die aktuell niedrigen Notenbankzinsen deutlich mehr Zeit als in früheren Aufschwungzyklen, um realwirtschaftliche Wirkung zu erzielen. Diesen langsamen Erholungsprozess wird die Fed nicht im Entferntesten mit Zinssteigerungen riskieren, da diese konjunkturell einen deutlich schnelleren restriktiven Eindruck hinterlassen würden.

Bei einem erneuten konjunkturellen Einbruch hätte die Fed ihr zinspolitisches Pulver endgültig verschossen. So weit wird sie es niemals kommen lassen.

Die EZB bleibt am Ball

Auch die EZB treibt ihre geldpolitische Blankoscheck-Politik voran. Zwar nimmt sie nach der Zinssenkung im vergangenen Monat zunächst eine abwartende Haltung ein. Ihr geht es darum, nicht noch mehr in Vorleistung zu treten, damit ein Mindestmaß an Druck auf die Euro-Politik aufrecht erhalten bleibt. Der Eindruck einer bedingungslosen Politikhörigkeit soll vermieden werden.

Dabei signalisiert EZB-Chef Draghi für den Ernstfall dennoch weiterhin seine klare Unterstützung für die euroländische Konjunktur. Eine auf -0,6 Prozent in diesem Jahr zurückgestutzte Wachstumsprognose darf als Anhaltspunkt für eine weitere mögliche Zinssenkung in den kommenden Monaten gewertet werden.

Und angesichts der Kreditklemme bei mittelständischen euroländischen Unternehmen bleibt auch der direkte Kauf von mit Mittelstandskrediten abgesicherten Anleihen ein grundsätzlich mögliches Instrument. Geldpolitische Restriktion oder Zinswende werden noch auf lange Zeit aus dem Vokabular der EZB gestrichen.

Und das passiert in der 24. Kalenderwoche

In Japan wird mit Spannung erwartet, inwieweit die Bank of Japan auf ihrer Zinssitzung Maßnahmen zur Eindämmung der Volatilität an den Anleihemärkten beschließt, um den Finanzmärkten ihre nachhaltige Liquiditätsoffensive glaubhaft zu versichern. Eine transparentere Kommunikation in Sachen wann und wie viel an Staatsanleihen aufgekauft wird, wäre ein erster Schritt.

In den USA führen die „harten“ Konjunkturdaten vor Augen, dass sich die US-Konjunkturerholung in verhaltenem Tempo fortsetzt. So dürfte die Industrieproduktion im Mai leicht zugelegt haben und auch die Einzelhandelsumsätze sind erneut gestiegen. Diese positive konsumseitige Entwicklung dürfte sich in einem stärkeren US-Verbrauchervertrauen der Universität von Michigan niederschlagen.

Aus charttechnischer Sicht bewähren sich im Rahmen der aktuellen Korrektur im DAX die Unterstützungen bei 7953 und 7872 Punkten als solide Haltelinien.

Chancen auf eine Wiederaufnahme der Rallye ergeben sich, wenn die Widerstände bei 8074, 8151 und an der oberen Begrenzung des Anfang Mai überwundenen Aufwärtstrendkanals bei aktuell 8327 Punkten durchstoßen werden. Darüber tritt das bisherige Jahreshoch bei 8557 Zählern in den Vordergrund.

Mit dem anhaltenden Grundrauschen über das „ob“, „wann“ und „wie viel“ einer möglichen Abschwächung der Liquiditätsoffensive der US-Notenbank ist unterdessen weiterhin mit einer erhöhten Volatilität an den Aktienmärkten zu rechnen.

Nie wieder Krieg, auch kein Handelskrieg

„Denk ich an Euroland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“, so könnte man frei nach Heinrich Heine sagen. Denn leider werden die heißen Eisen, die für die strukturellen Schwächen der Volkswirtschaften in der Euro-Süd-West-Zone verantwortlich sind, von den Politikern immer noch nicht angepackt.

Die Folge dieser besonderen Form der „liberalen“ Wirtschaftserziehung führt in Spanien, Italien und Frankreich zu ADS, zu Aufmerksamkeitsdefizitstörungen, mit ihren typischen wirtschaftlichen Verhaltensstörungen wie mangelndem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit.

Romanische Markenprodukte sind weltweit gefragt

Allerdings scheint es zumindest eine kleine konjunkturelle Sorgenpause, ein Rettungsboot, für die romanischen Euro-Länder zu geben, das sie über Wasser hält: Ihre bekannten Luxus- und Konsumprodukte verkaufen sich weltweit wie geschnitten Brot, weil sie bei den Menschen Emotionen und Gefühle berühren. Wir kennen es doch alle: Wer einen schönen Bordeaux-Rotwein, einen prickelnden Prosecco oder einen vollmundigen Rioja genießt, sieht sich doch schon in Gedanken mit seiner Liebsten/seinem Liebsten in einem romantischen Pariser Bistro sitzen, in einer mediterranen Bar an der Riviera schwelgen oder auf einer sonnendurchfluteten Hotelterrasse auf Mallorca mit Meerblick die Seele baumeln lassen. Dieser emotionalen, mentalen Diashow kann selbst die ansonsten reformmuffeligste, nationale Wirtschafts- und Finanzpolitik nichts anhaben.

Dem Savoir Vivre, Dolce Vita oder Viva España kann sich selbst das so kühl und rational erscheinende Land der Mitte nicht entziehen. So ist China beispielsweise der drittgrößte Importeur für französische Weine und Liköre. Unser westlicher Nachbar kommt in den Genuss einer in den Schwellenländern wachsenden, immer kaufkräftigeren Mittelschicht, die hinter Markenprodukten her ist, wie der Teufel hinter der armen Seele. Und ein freier Welthandel ist sozusagen die Autobahn, auf der diese romanische Lebenseinstellung transportiert wird.

Wenn es dem romanischen Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis

Doch dieses schöne Bild bekommt in letzter Zeit Risse. Plötzlich scheint Europa an dem Ast zu sägen, auf dem der romanische Teil der Eurozone sitzt. Die EU beschuldigt China, Solarmodule zu Dumping-Preisen auf den Weltmärkten zu Lasten europäischer Anbieter zu verkaufen. Und da hält es der EU-Handelskommissar nur für fair, Strafzölle gegen China zu erheben. Dieser plötzliche Gerechtigkeitsanfall ist verwunderlich, sind derartige chinesische Gepflogenheiten doch keine wirklich neuen Erkenntnisse.

Verwunderlich ist es aber nicht, dass die große chinesische Wirtschaftsmacht auf diesen Zwergenaufstand reagiert und zurückschlägt: Die Chinesen wissen um die Verwundbarkeit der Euro-Weinländer und beschuldigen diese jetzt unerlaubter staatlicher Subventionen beim Rebenanbau.

Selbstverständlich hat auch Europa handelspolitische Leichen im Keller. Wer behauptet, in der EU-Landwirtschaft würde nicht massiv subventioniert, sollte aufpassen, dass seiner Nase nicht das gleiche Schicksal widerfährt wie Pinocchio. Jetzt weiß ich auch, warum uns die Chinesen Langnasen nennen.

Aus der Mücke keinen Elefanten machen

Wie auch immer, wer im Wein-Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen, höchstens mit Korken werfen. Ansonsten könnte auch dieser romanische weinselige Exportrausch mit dickem Kopf enden.
Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. So wichtig der Export von Weinen und Spirituosen für die Euro-Süd-West-Zone auch sein mag, bezogen auf die Magnumflaschen-großen Gesamtexporte Eurolands kommt ihnen insgesamt lediglich die Bedeutung von Flachmännern zu. Daher darf aus dem Weinkrieg kein waschechter Handelskrieg werden. Denn der könnte vor allem unsere deutschen Exportvorzeigeprodukte aus der Chemie-, Elektro-, Maschinen- und Fahrzeugindustrie in den Schwitzkasten nehmen Nicht vergessen werden darf, dass es uns vergleichsweise gut geht, weil wir über den leeren, euroländischen Tellerand hinwegschauen und uns im Aufschwungland China wie die Made im Speck bewegen können.

Frau Merkel ist hier als Mutter Courage der europäischen Exportindustrie gefragt. Als respektierte Gesprächspartnerin und gute Freundin Chinas kommt ihr die Aufgabe zu, die nicht zu leugnenden Handelsprobleme mit China zwar mit Nachdruck anzusprechen, aber freundschaftlich und für die andere Seite gesichtswahrend im Dialog zu lösen. Ja, sie muss dafür sorgen, dass China exportseitig für uns wie in der Operette von Franz Lehár „Das Land des Lächelns“ bleibt.

Man kann nur sich ändern, nie die anderen

Das ist vermutlich das einfachere Problem für die Bundeskanzlerin. Viel wichtiger ist es - und hier braucht es vermutlich die Familienpackung Valium - den Verantwortlichen der Euro-Roman-Zone beharrlich immer wieder klar zu machen, dass das Geld nicht im Bistro oder Straßencafé verdient wird, sondern mit innovativen, hocheffizienten Industrieprodukten, die auch in den Schwellenländern gebraucht werden. Die Diagnose der Patienten der Euro-Süd-West-Zone lautet mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und struktureller Reformstau. Sich jetzt als unschuldiges Opferlamm bei Produkten wie Solarmodulen darzustellen, bei denen wir preislich ohnehin nicht mithalten können, ist keine Therapie, sondern ein weiteres Beispiel dafür, wie man in der EU am eigentlichen Problem vorbeiredet.

Im Übrigen lässt sich das Problem der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit - der fehlende Öchslegrad - der romanischen Volkswirtschaften auch nicht mit künstlicher Zugabe von geldpolischem Glykol lösen. Von diesem Zuckerrausch bleibt realwirtschaftlich außer Kopfschmerzen nichts übrig. Wer Sorgen hat, braucht keinen Likör, sondern einen klaren Kopf.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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