Kommentar
12:08 Uhr, 27.09.2016

Überalterung ist kein Problem

Moody’s, die OECD und die Vereinten Nationen haben erst kürzlich ein düsteres Bild gezeichnet: Bis zum Jahr 2050 werden sich die meisten von uns sich nur noch mithilfe eines Rollators fortbewegen, während wir auf einen Platz in einem der überfüllten Alters- oder Pflegeheime warten. Neben Deutschland, Italien und Japan wird es zehn weitere Länder geben, deren Bevölkerung zu einem Fünftel über 65 Jahre alt ist.

Man liest es immer wieder: Überalterung ist ein massives Problem für unsere Regierungen und diese negative demografische Entwicklung wird sich gravierend auf Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung auswirken. Pensionsfonds weisen mit allem Nachdruck darauf hin, dass unsere Altersvorsorge mit vielerlei Unsicherheit und Risiko behaftet ist. In diesem Zusammenhang hört man auch, dass Einwanderung die Lösung für unsere überalternde Bevölkerung sein könnte oder dass Überalterung künftig von gegenläufigen demografischen Trends in den aufstrebenden Volkswirtschaften wettgemacht wird.

Gut möglich, dass ein cleverer Banker Sie bereits davon überzeugen wollte, die Lösung für all diese Probleme parat zu haben. Vielleicht in Form einer Art von Swap, einer Option oder eines neuartigen Finanzprodukts.

Eine solche Entscheidung will gut überdacht sein. Und wo lässt es sich besser nachdenken als an der frischen Luft - Sauerstoff für die grauen Zellen. Draußen auf der Straße flitzt ein Elektrorad an Ihnen vorbei, mit sicherer Hand gelenkt von einem munteren Sechzigjährigen, während grauhaarige Damen in bunten Jogginganzügen einen Vierer mit kräftigen Schlägen durch den angrenzenden Kanal rudern.

Die Terrasse eines Cafés ist leer – bis auf ein ungeniert flirtendes älteres Pärchen. Wenn Altern also so schlecht ist – warum haben all diese älteren Herrschaften dann so viel Spaß?

Mir scheint, als machten wir uns Sorgen um nichts und dass Altern nicht das Problem ist, als das es häufig dargestellt wird. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus: Die Berechnungsweise steht methodisch auf wackeligen Beinen, denn all diese Prognosen basieren auf dem Altersabhängigkeitsquotienten Old-Age Dependency Ratio (OADR) – also dem Verhältnis zwischen erwerbstätiger Bevölkerung und Bevölkerung jenseits der Altersgrenze. Soll heißen: der Bevölkerungsanteil über 65. Aber ist diese Altersgrenze von 65 Jahren noch sachgerecht? Menschen über 65 Jahren sind nicht „abhängig“, sondern tragen häufig noch produktiv zur Wirtschaftsleistung bei. Sie gehen später in Rente, und selbst unbezahlte Arbeit als ehrenamtlicher Helfer ist ein positiver Beitrag zum volkswirtschaftlichen Gefüge. Und auch wenn sie nicht mehr arbeiten, sondern es sich im wohlverdienten Ruhestand gut gehen lassen – etliche dieser Ruheständler zahlen Steuern auf die Einkünfte aus ihren Pensionen oder Sparanlagen.

Und darüber hinaus: Weil wir länger leben, hat sich die Wahrnehmung von alt und jung verschoben. 65 ist jetzt das neue 50!

Es sind die letzten Lebensjahre, in denen wir am meisten Hilfe und Zuwendung von unseren Familien, dem Gesundheitssystem oder dem Staat brauchen. Diese letzten Jahre verschieben sich immer weiter in die Zukunft. Wir sollten uns daher nicht die Zahl der über 65-jährigen anschauen, sondern den Anteil derjenigen Menschen, die von der Hilfe und Unterstützung anderer abhängig sind, und die Zahl der Menschen, die sie betreuen und versorgen.

Und wissen Sie was? Nach Untersuchungen der Professoren Spijker und MacInnis (2013)[1] von der University of Edinburgh ist dieser Prozentsatz seit Jahrzehnten rückläufig. Diese Erkenntnis ist geradezu revolutionär, und ich kann jedem nur wärmstens die Lektüre dieser Studie empfehlen. Spijker und MacInnis haben den Real Elderly Dependency Ratio (REDR), also den wirklichen Altersabhängigkeitsquotienten, entwickelt, der die Zahl der Menschen, deren Lebenserwartung höchstens weitere 15 Jahre beträgt, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Erwerbstätigen widerspiegelt, unabhängig vom Alter.

Wenn auch diese Entwicklung in Japan und Russland weniger stark ausgeprägt ist, so gilt doch in den meisten Industrienationen: Je älter wir werden, desto jünger fühlen wir uns. Insofern ist das Problem der Bevölkerungsüberalterung ein Scheinproblem.

Autor: Jeroen Wilbrink, Senior Client Advisor bei NN Investment Partners

2 Kommentare

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  • SieNanntenIhnLücke
    SieNanntenIhnLücke

    Solang der Rolator WLAN für Börsenzugriff hat... kein Problem

    12:48 Uhr, 27.09.2016
  • jazzfan
    jazzfan

    Wenn (2030?) 50% der Bevölkerung Rente beziehen ist das natürlich ein Problem - egal wie fit die "Alten" dann sind. Bin selber 63er Baujahr.

    Steuern von Rentnern/insbesondere Pensionisten sind ja nur minimale Anteile eines ausgezahlten Betrags - netto kosten die nicht Berufstätigen enormes Geld.

    12:24 Uhr, 27.09.2016