Trump’sche Wirtschaftspolitik: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!
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Nach einem versöhnlich ausgeklungenen Aktienjahr 2016 kommt es in diesem Jahr zum Schwur. Vor allem das I. Tertial wird von großer Unsicherheit geprägt sein. So spricht ein US-Präsident Trump für überraschende Strukturbrüche. Seine Polit-Agenda ist immer noch unausgegoren und lädt zu Kursschwankungen förmlich ein. Erschwerend kommt der EU-Austrittsantrag Großbritanniens im März hinzu, der den Startschuss für harte Brexit-Verhandlungen mit auch außenwirtschaftlichen Reibungsverlusten für Deutschland markiert. Nicht zuletzt stellen die Nationalwahlen in den Niederlanden und Frankreich Euro-politische Risiken dar. Und dennoch sollten keinesfalls nur die Risiken beachtet werden: Kein Risiko ohne Chance!
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!
Am 20. Januar 2017 wird Donald Trump der 45. Präsident der USA. Ohne Frage, ein klarer amerikanischer Handelsprotektionismus würde exportsensitive Aktienmärkte wie Deutschland empfindlich treffen. Bislang scheinen jedoch eher China und Mexiko die handelspolitischen Feindbilder der neuen US-Administration zu sein. Auch wenn Trump allgemein von Importzöllen spricht, wurden europäische Exportländer und vor allem Deutschland seit seinem Wahlsieg rhetorisch verschont. Das liegt auch daran, dass China geostrategisch gegenüber einem politisch zerstrittenen Europa eine ernstzunehmende Konkurrenz ist.
Dennoch werden die USA insbesondere von Deutschland viel Engagement zur europäischen Wirtschaftsankurbelung und vor allem über den Abbau seines Exportüberschusses verlangen. Dieser ist den Amerikanern schon lange ein Dorn im Auge. Zum Wohle des deutschen Außenhandels wird sich die Bundesregierung auf der Makroebene „folgsam“ zeigen. Die USA sind der größte Importeuer deutscher Produkte und Dienstleistungen.
Geeignete Besänftigungsstrategien wären staatliche Infrastrukturmaßnahmen in Straßen, Brücken, Energiewende, Netzausbau und Bildung, die auch ausländische Unternehmen profitieren ließen. Mit Sparen als politischem Selbstzweck werden Wachstumspotenziale verschenkt. Mit Blick auf die teilweise überholte industrielle Basis sind diese Investitionen ohnehin überfällig. Sie würden die Binnenkonjunktur stärken und damit dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss entgegenwirken.
Auch auf Mikroebene zeichnen sich bereits Abwehrmechanismen gegen Handelsprotektionismus und Importzölle ab. Toyota, Ford und Fiat Chrysler betreiben bereits Good Will-Maßnahmen, in dem sie verkünden, nicht in Mexiko, sondern in den USA Produktionsstätten auszuweiten. Kürzlich hat Amazon bekanntgegeben, 100.000 neue Stellen in den USA zu schaffen. Auch deutsche Unternehmen werden sich dieser Blaupause bedienen. So spricht Volkswagen bereits davon, „amerikanischer“ werden zu wollen.
Mit diesem „vorauseilenden Gehorsam“ hofft Deutschland insgesamt weiter möglichst frei von Handelsbeschränkungen Zugang zum wachstumsstarken US-Markt zu haben.
Großbritanniens Eintritt in den Austritt bereitet noch wenig Angst
Bis Ende März will das Vereinigte Königreich seinen EU-Austrittsantrag stellen und die Austrittsverhandlungen starten. Stoisch wird die Wiedergewinnung der kompletten Kontrolle über die Immigration wie ein ideologischer Fetisch hochgehalten, dem alles, selbst der Zugang zum EU-Binnenmarkt als dem größten Wirtschaftsraum der Welt, untergeordnet wird. Die Londoner Regierung scheint die Hoffnung zu hegen, dass sich in den langwierigen Austrittsverhandlungen Kompromisse für die weitere Teilnahme am freien Wirtschafts- und Dienstleistungsverkehr mit der EU ergeben könnten. Vielleicht erwartet London sogar eine fortgesetzte politische Entfremdung innerhalb der EU, was die Verfolgung britischer Interessen vereinfachte. Die EU kann aber grundsätzlich kein Interesse daran haben, Großbritannien entgegenzukommen. Ansonsten würden auch bei anderen EU-Ländern schlafende Hunde geweckt. Ein Exit muss wehtun.
Die Aussichten auf diesen Hard Brexit, der die britische Wirtschaft wortwörtlich hart treffen würde, haben zu einer Abwertung des britischen Pfunds geführt. Interessanterweise ist die Reaktion am britischen Aktienmarkt gegenteilig. Offensichtlich wird das schwache Pfund als Instrument der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit britischer Unternehmen betrachtet.
Hier deutet sich eine längerfristige Gefahr für den deutschen Industriestandort an. Großbritannien könnte versuchen, über verbesserte Standortbedingungen durch Steuersenkungen, Lohndumping und eben auch Währungsabwertung zu einem ernsten deutschen Konkurrenten zu werden. Volkswirtschaftlich steht Großbritannien nach dem Brexit mit dem Rücken zur Wand. Eine britische Reindustrialisierung - eine 180°-Wende der Wirtschaftspolitik Thatchers - wäre eine Auswegmöglichkeit. Dies wird jedoch ein langfristiger Prozess sein, der aktuell jedoch noch kaum thematisiert wird.
In der Zwischenzeit wird die deutsche Exportindustrie, wenn sich tatsächlich ein Hard Brexit abzeichnet, einerseits behindert. Großbritannien ist der drittgrößte Importeur Deutschlands.
Doch andererseits werden immer mehr britische Unternehmen ihren Firmensitz in die Rest-EU verlagern, um den Zugang zum EU-Binnenmarkt nicht zu verlieren. Vor allem Banken werden die Verlagerung von Arbeitsplätzen auch nach Deutschland als etabliertem Wirtschafts- und Finanzstandort und politisch sicherem Hafen der Eurozone vorantreiben. Deutschland ist die nächste, weil attraktivste Standortalternative. Dieser Effekt wird die Binnenkonjunktur stützen.
Auch der deutsche Leitindex DAX reagiert auf das Thema Brexit bislang sehr entspannt.
Politische Klippen in Europa werden durch die EZB umschifft
In den Niederlanden wird am 15. März gewählt, in Frankreich findet die Präsidentschaftswahl am 23. April statt und auch in Italien drohen angesichts einer Übergangsregierung Neuwahlen. Ein Aktien-GAU wären nationale Wahlergebnisse, die zu Regierungen führen, die den Austritt aus der Gemeinschaftswährung befürworten. Wenn mittlerweile schon der Grexit als Gefahr für den Zusammenhalt der Eurozone gilt, ist es ein Nexit, Frexit oder Italexit erst recht.
Eine großzügige Staatsschuldenaufnahme von Italien, Frankreich und anderen prekären Euro-Ländern mit Renditesubventionierung durch die EZB ist abzusehen, um Wähler mit Konjunktur- und Sozialprogrammen von Europa zu überzeugen. Stabilitätspolitisch hoch verwerfliche Maßnahmen nimmt die Euro-Politik in Kauf, um den Zusammenhalt der Eurozone zu gewährleisten. Zumindest auf Zeit werden damit die (sozial-)politischen Probleme Europas auch im Sinne einer Beruhigung der europäischen Finanzmärkte entschärft.
Marktlage - Aktienrisiken sollten nicht überbetont werden
Insgesamt gibt es keinen Grund für vollmundigen Aktienpessimismus im Kapitalmarktjahr 2017. Vielmehr ist von einem zweigeteilten Aktienjahr 2017 auszugehen. Nach einem von Unsicherheit und Kursschwankungen geprägten I. Tertial ist bei Abarbeitung der Risikofaktoren ab Frühsommer mit nachhaltig steigenden Aktienmärkten zu rechnen.
Gemessen an der Wertentwicklung des deutschen Leitindex DAX 30 gegenüber seinem US-Pendant Dow Jones Industrial Average, die sich in etwa gleich entwickeln, scheinen deutsche Aktienanleger den Trump-Effekt eher als Chance denn als Risiko zu betrachten.
Die Weltbank prognostiziert für 2017 mit 2,7 Prozent nach 2,3 im vergangenen Jahr eine spürbare Verbesserung der Weltkonjunktur. Positiveffekte der Trumponomics sorgen sogar für Aufwärtsrisiken. Vor diesem Hintergrund könnte sich auch der verhaltene Konjunkturausblick des Bundesverbands der Deutschen Industrie für die deutsche Wirtschaft mit einer Wachstumsrate von 1,5 Prozent als zu nüchtern herausstellen.
Mit dem Start der US-Berichtsaison für das IV. Quartal 2016 dürfte der verhaltene Gewinntrend von Corporate America ein Ende finden, zumindest in den Ausblicken. Sie dürften von einer verbesserten Konjunkturdynamik und Preissetzungsmacht der Unternehmen sowie höheren Rohstoffpreisen geprägt sein. Das gilt insbesondere für die US-Banken, die zukünftig weniger stark reguliert werden sollen. Fundamentale Aktienqualitäten werden also insgesamt größer.
In Deutschland werden Schätzungen zufolge 2017 voraussichtlich 21 DAX-Unternehmen ihre Dividendenzahlungen erhöhen und insgesamt etwa vier Prozent mehr ausschütten als im bisherigen Rekordjahr 2016. Mit Blick auf eine weiter üppige Geldpolitik der EZB und damit niedriger Zinsen und Anleiherenditen bleiben alternative Dividendenrenditen wertvoll.
GRAFIK DER WOCHE
Dividendenausschüttungen aller im DAX vertretenen Aktien und Dividendenrendite DAX
Der Ausblick für russische Aktien verbessert sich weiter. Hintergrund ist die Annäherung der Trump-Regierung an Russland, bei der es neben einer gemeinsamen Ausrichtung bei geopolitischen Themen auch um eine engere Wirtschafts- und Handelspolitik gehen wird, die auch eine Rückführung der Sanktionen des Westens ermöglicht. Hiervon würde übrigens die deutsche Industrie am stärksten profitieren. Zudem tragen wieder festere Rohölpreise zu einer wirtschaftlichen Stimmungsaufhellung in Russland bei, so dass von einer stabilen russischen Aktienmarktentwicklung auszugehen ist.
Unterstützt wird die positivere Einschätzung russischer Aktien auch durch eine Befestigung des Rubels.
Anlegerstimmung und Charttechnik DAX - In überkauftem Terrain
Angesichts der vorhandenen Krisen muss man sich auf eine insgesamt erhöhte Kursschwankungsbreite einstellen. Ein spezielles Risiko sind zukünftig die unberechenbaren, aus der Hüfte geschossenen Twitter-Äußerungen des zukünftigen US-Präsidenten.
Aus charttechnischer Sicht setzt der DAX seinen im letzten Jahr begonnen übergeordneten Aufwärtstrend mit abnehmender Dynamik fort. Dabei trifft er bei 11.638 Punkten auf ersten Widerstand. Wird dieser nachhaltig überschritten, folgen weitere Barrieren bei 11.800, 11.920 und schließlich bei 12.391. Kommt es zu einer Konsolidierung, liegen erste Unterstützungen bei 11.531 und 11.430 Punkten. Darunter bieten die nächsten Marken bei 11.357 und 11.193 Halt.
Der Wochenausblick für die KW 3 - Die EZB spielt das Thema Inflation herunter
In China signalisieren die BIP-Zahlen für das zurückliegende IV. Quartal 2016 sowie die Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätze im Dezember zumindest offiziell eine fortschreitende konjunkturelle Stabilisierung auf niedrigem Niveau.
In den USA deutet ein wieder schwächerer Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed auf ein noch nicht reibungsloses Wirtschaftsumfeld hin. Auch die gemäß Baubeginnen und -genehmigungen abflachende Erholung auf dem US-Immobilienmarkt liefert keine dynamischen Impulse. Rohstoffseitig werden die US-Inflationsdaten im Dezember 2016 eine Beschleunigung anzeigen.
Grundsätzlich wird sich die Fed auch aufgrund einer gewissen Schonzeit für die neue Trump-Administration vermutlich erst in der zweiten Jahreshälfte 2017 mit konkreten Zinserhöhungsfragen beschäftigen.
In der Eurozone dürfte sich der Trend einer ansteigenden Inflation im Dezember fortsetzen. Zur Entkräftung von geldpolitischen Restriktionen dürfte die EZB auf ihrer Sitzung erneut die weiterhin vorhandenen Abwärtsrisiken für die Euro-Wirtschaft betonen. In Deutschland signalisieren die ZEW Konjunkturerwartungen einen stabilen Jahresstart der deutschen Wirtschaft.
HALVERS WOCHE
Das wirkliche Waterloo für die Zinssparer kommt 2017!
Hätte die EZB nur Verantwortung für Deutschland zu tragen, wären ihre Notenbankzinsen niemals so tief gesunken und hätten Aufkäufe von Anleihen vielleicht nie stattgefunden. Hätte, hätte, Fahrradkette! Die EZB ist nun aber einmal die geldpolitische Versicherung für alle Euro-Staaten und da es der großen Mehrheit von ihnen wirtschaftlich schlecht bis dreckig geht, sind Zinsen und Renditen eben überall in der Eurozone unten.
Vor allem deutsche Anleger zahlen diese Versicherungsprämie schon seit Jahren in Form einer Zins-Entreicherung. Denn sie sind fatalerweise zu durchschnittlich fast 80 Prozent in Sparbuch, Festgeld und Anleihen investiert.
Mehr Inflationsdruck voraus?
Preisdruck kann bei Zinssparern zukünftig noch mehr Schmerzen verursachen. So hat die deutsche Inflationsrate einen markanten Sprung von 0,8 im November auf 1,7 Prozent im Dezember gemacht. Seit 1993 war die Preissteigerung nicht mehr so dynamisch. Während damals die deutsche Wiedervereinigung die Inflationsbeschleunigung verursachte, sind es heute die stark gestiegenen Rohstoffpreise vor allem bei Öl und Gas. Und da Rohstoffe auf US-Dollar-Basis notieren, ist der schwache Euro so etwas wie der Turbo für die Inflations-Rallye.
Und mit Blick auf die Schnäppchenpreise bei Rohöl und Gas im letzten Jahr sind 2017 durchgängige inflationäre Basiseffekte möglich. Ebenso könnten sich weitere Ölförderkürzungen der Opec im zweiten Halbjahr - wenn auch nur auf dem Papier - und eine im Jahresverlauf erhöhte Rohstoffnachfrage durch die Trumponomics der Beihilfe zum energieseitigen Preisauftrieb schuldig machen.
Inflationsbekämpfung durch die EZB? Als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Bundesbank theoretisch ja…
Und was wäre, wenn sich die Preissteigerung im gesamten Euroraum rapide dem Inflationsziel der EZB von zwei Prozent näherte? Gemäß ihrer obersten Direktive ist unsere Notenbank mindestens stabilitätsmoralisch verpflichtet, die Zinszügel schon aus Gründen der vorbeugenden Inflationsbekämpfung anzuziehen.
Als Rechtsnachfolgerin der tugendhaften Deutschen Bundesbank müssten deutsche Zinssparer theoretisch einen Inflationsausgleich durch eine restriktive Geldpolitik der EZB erwarten dürfen, der ihnen zumindest den Kapitalerhalt sichert. Inflation mögen wir Deutschen ja ohnehin nicht. Wir hassen sie wie kalte Füße. Sie ist unser Nationaltrauma, das uns schon mit der Muttermilch verabreicht wurde. Jeder hat von Oma und Opa Erzählungen von Geldentwertung oder Währungsschnitt im Kopf, die das Zinsvermögen ähnlich aufgefressen haben wie der hungrige Hund sein Futter im Napf.
Mario Draghi weiß um diese deutschen Empfindlichkeiten. Daher hat er sein Anleiheaufkaufprogramm vorbeugend bis Ende Dezember 2017 verlängert. Unmittelbar vor der Bundestagswahl will er deutschen Sparern nicht erneut mit gelockerter Geldpolitik vor Augen führen, dass Zinssparen nur etwas für hartgesottene Asketen ist.
Und tatsächlich will er ab April monatlich 20 Mrd. weniger Anleihen kaufen. Ein Einstieg in den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik ist dies definitiv nicht. Es ist lediglich Make Up, um die hässlichen Pickel und Mitesser einer stabilitätsunreinen EZB zu überschminken. Ein merklicher Renditeanstieg wird damit nicht verbunden sein. Denn auch mit zukünftig 60 statt 80 Mrd. Euro Aufkaufvolumen bleiben Anleihen eine aussterbende Spezies mit hohen Kursen und niedrigen Zinsen.
…aus Angst vor den sozialen Kosten praktisch nein!
Machen wir uns nichts vor: Selbst wenn die Inflation ansteigen sollte, wird sie von der EZB nicht nach alter Bundesbank-Väter Sitte bekämpft. Sie wird weder ihre Leitzinsen erhöhen noch ihre großzügig verabreichte Liquidität wieder einsammeln. Diesen Luxus kann sich die EZB nicht mehr leisten. Ansonsten stünde die Eurozone vor einer finalen Zerreißprobe. Um völlig überschuldete Euro-Staaten und mit notleidenden Krediten überhäufte Banken vor der Pleite zu bewahren sowie einer Wirtschaftsdepression vorzubeugen, wird die EZB auch noch morgen und übermorgen geldpolitisch kraftvoll zubeißen müssen.
Eine Flurbereinigung über geldpolitische Normalität, mit der man die planwirtschaftliche Euro-Volkswirtschaft wieder in ein stabilitätsgerechtes, marktwirtschaftliches Gleichgewicht brächte, würde zu hohen „Kosten“ führen. Lassen sich Sozialleistungen nicht mehr mühelos über die EZB finanzieren, würden die Wähler ihre Wahlkreuze womöglich bei linken und rechten Parteien machen, die dem europäischen Gemeinschaftswerk von Herzen den Untergang gönnen.
Das Beispiel Italien beschreibt die Einbahnstraße der EZB: Der Stiefel hat mittlerweile Staatsschulden von etwa 2.300 Milliarden Euro angesammelt. Der Schuldendienst ist nur deshalb zu tragen, weil die Schuldzinsen durch den Stiefelknecht EZB so günstig gedrückt wurden. Im Falle eines Renditeanstiegs von auch nur einem Prozent - was in historischer Betrachtung immer noch paradiesische italienische Zinszustände wären - erhöhte sich die Zinsrechnung für Italien um 23 Mrd. Euro. Das kann Italien nicht mehr stemmen, ohne finanziell zusammenzubrechen.
Aus dieser geldpolitischen Rettungsnummer kommt die EZB nicht mehr heraus, leider auch dann nicht, wenn die Inflation über Zweitrundeneffekte wie Löhne aus dem Ruder liefe. Damit bekämpft die EZB Inflation nicht mehr, nein sie fördert sie sogar. Das ist vergleichbar mit der Feuerwehr, die einem Großbrand tatenlos zuschaut, der droht, auf weitere Objekte überzugreifen.
Unterstützung der Zinssparer von staatlicher Seite sollte niemand abseits von heuchlerischen Sonntagsreden erwarten. Die Damen und Herren Politiker wissen, dass Inflationsraten - die tatsächlichen liegen ohnehin deutlich über den offiziellen - die höher als Anleiherenditen sind, Verschuldung automatisch auffressen. Der Staat profitiert von der Inflation. So hat schon Amerika immer wieder seine Staatsverschuldung handhabbar gemacht. Und in dem einen oder anderen Land sind durch die Zinsdrückungen der EZB sogar ausgeglichene Staatshaushalte möglich. Mit diesem Pfund kann man im Wahlkampf gut wuchern.
Kerninflationsrate als Pipi Langstrumpf-Prinzip: Ich mach mir die Welt, so wie sie mir gefällt
Natürlich muss sich die EZB für ihre „Weiter so-Politik“ rechtfertigen. Sie wird sagen, dass man abwarten müsse, ob der energieseitige Preisauftrieb überhaupt nachhaltig ist. Sollten nämlich 2018 die Ölpreise nicht weiter steigen, würden die energieseitigen Preissteigerungseffekte auslaufen und man hätte das Inflationsjahr 2017 gut überlebt.
Und dann gibt es ja noch den Verweis auf die Kerninflationsrate, also ohne Energiepreise. Damit haben die USA schon immer gerne Preisdruck entkräftet. Das Argument ist, dass Öl- und Gaspreise schwankungsanfällig sind und insofern eine nachhaltige Inflationsmessung verzerren. Was für ein Schwachsinn! Steigende Preise sind steigende Preise und müssen bezahlt werden. Wer verzichtet denn im Winter heldenhaft auf die Heizung oder wer nimmt statt dem Auto die Pferdekutsche oder das Fahrrad?
In der Tat stellt sich die Kerninflationsrate im Vergleich zur allgemeinen Inflationsrate in der Eurozone deutlich entspannter, nicht aufregend dar. Was für ein schönes Alibi für die EZB, die Hände in den Schoß zu legen.
Für Zinssparer kommt es knüppelhart
Auf die Frage „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ habe ich als meteorologischer Nichtswisser keine Antwort. Aber auf die Frage „Wann gibt’s mal wieder richtig Zinsen?“ traue ich mir eine zu: Die Zinssparer werden 2017 ihr wahres Waterloo erleben. Sie werden zu wahren Inflationsverlierern. Auf Basis der durchschnittlichen Rendite deutscher Staatsanleihen - aktuelle Umlaufrendite von 0,10 Prozent - ergibt sich nach Inflation eine Rendite von minus 1,6 Prozent. Weniger Realzinsen gab es noch nie.
Zinssparen zum Zwecke der Altersvorsorge oder das Ansparen auf langlebige Wirtschaftsgüter wie eine Immobilie funktioniert nicht mehr. Selbst Kapitalerhalt ist nicht mehr möglich. Das Guthabenproblem wird zur Guthabenkrise.
Aber es gibt Anlagealternativen. Wenn Inflation seine hässliche Fratze zeigt, ist Gold eine werterhaltende Sorgenpause. Und Dividendenrenditen bleiben weiterhin eine attraktive Ersatzbefriedigung. Ich erwarte auch in diesem Jahr einen neuen Ausschüttungsrekord börsennotierter deutscher Unternehmen.
2017 wird eine bereits bewährte Anlegerweisheit vergoldet: Und wenn dich dein Zins nicht liebt, wie gut, dass es Sachkapital gibt.
VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK
KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK
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Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
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