Analyse
17:00 Uhr, 20.12.2013

Tokyo Electric Power: Schicksal besiegelt?

Das Tohoku Erdbeben 2011 gilt als eine der schwersten Naturkatastrophen überhaupt. In Japan starben fast 16.000 Menschen. Etwa 400.000 Gebäude wurden fast gänzlich zerstört, weitere 700.000 beschädigt.

Erwähnte Instrumente

  • Tokyo Electric Pwr Co.Hldg.Inc Registered Shares o.N. - WKN: 854307 - ISIN: JP3585800000 - Kurs: 3,79 € (Frankfurt)

Der wirtschaftliche Schaden wird auf 200 Milliarden Dollar geschätzt. Die Folgen der teilweisen Kernschmelze im AKW Fukushima Daiichi werden viele Jahrzehnt auf der Region lasten.

Was hat das nun mit Börse zu tun? Während die menschliche und Naturkatastrophe nicht bestritten werden kann, gibt es auch eine ganz andere Seite. Das beschädigte Kernkraftwerk gehört einem börsennotierten Unternehmen – Tokyo Electric Power. Die Katastrophe spiegelt sich natürlich auch in den Zahlen des Unternehmens wider. Diese geben interessante fundamentale Einsichten und sagen auch viel über den Energiesektor aus.

Wie schlimm ist es?

Intuitiv möchte man meinen, dass ein Unternehmen einen GAU gar nicht überleben kann. Zum einen sind da die direkten Kosten, die durch die Katastrophe entstanden. Zum anderen entstehen hohe, indirekte Kosten. Wer möchte schon bei einem Energieversorger kaufen, der eine solche Katastrophe mit zu verantworten hat?

Auf die direkten Kosten komme ich später zu sprechen. Die indirekten Kosten sind auf den ersten Blick nämlich kaum wahrzunehmen. Das würde man wirklich nicht erwarten. Der Umsatz zeigt, dass TEPCO die Kunden nicht davongelaufen sind. Der Umsatz steigt seit 2010 sogar tendenziell an. Das ist eine große Überraschung, die ich selbst nicht sofort zuordnen konnte. Bei genauerer Durchsicht der Berichte lässt sich aber eine interessante Besonderheit des japanischen Energiesektors erkennen. Nicht alle Regionen haben die gleiche Netzfrequenz. Dadurch sind einzelne Regionen Japans nicht so einfach mit Energie aus anderen zu versorgen. Mit anderen Worten: selbst wenn die Kunden bei einem anderen Unternehmen ihren Strom kaufen wollten, sie könnten es nicht.

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Für TEPCO ist das möglicherweise die Rettung. Hohe Kosten der Beseitigung der Schäden bei gleichzeitig wegbrechenden Umsätzen hätte das Unternehmen sofort in den Bankrott getrieben. Man darf ohnehin verwundert sein, dass TEPCO noch liquide ist. Der Verlust seit 2011 beträgt unbereinigt knapp 27 Milliarden Dollar. Trotz dieser enormen Verluste sieht die Liquidität des Unternehmens überraschend gut aus. Als Maß für die Liquidität werden kurzfristig verfügbare Mittel den kurzfristigen Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Als kurzfristig gilt dabei alles, was unter 12 Monate fällt. Der Quotient zeigt an, wie lange ein Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Die zweite Grafik zeigt auf der linken Achse die Mittel und Verbindlichkeiten (in Milliarden Yen) und auf der rechten Achse den Liquiditätsgrad (current ratio). Diese ist in den vergangenen Jahren massiv angestiegen.

Die Interpretation des Liquiditätsgrades ist folgender: ein Wert von 1 (verfügbare Mittel auf Sicht eines Jahres entsprechen den Verbindlichkeiten auf Sicht eines Jahres) bedeutet, dass das Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen ein Jahr lang nachkommen kann. Ein Wert unter 1 läuft auf eine kürzere Deckung der Verbindlichkeiten hinaus. Beträgt der Wert etwa 0,2 wie bei TEPCO Ende der 90er Jahre, dann hat das Unternehmen genügend Mittel um 2,4 Monate die Rechnungen bezahlen zu können. Aktuell beträgt der Wert bei TEPCO 1,2. Damit ist das Unternehmen aktuell ziemlich solvent.

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Als wäre das nicht schon überraschend genug, vermeldete TEPCO für das erste Halbjahr des Geschäftsjahres 2014 einen Gewinn von 6 Milliarden Dollar. Wie schlimm kann es also schon sein?

Auf den ersten Blick ist tatsächlich fast alles rosig. Auf den zweiten Blick sind die Zahlen erschreckend. Nach der Katastrophe war das finanzielle Ausmaß nicht sofort sichtbar. Erst 2012 wurde klar, dass TEPCO allein niemals die Chance haben würde die Kosten zu tragen. Ein Katastrophenfonds wurde eingerichtet, der TEPCO seit 2012 regelmäßig Geld überweist. Bis Ende September 2013 waren das 38 Milliarden Dollar. Dieses Geld wird als außerordentlicher Gewinn verbucht. Lässt man also diese Zahlungen außen vor, dann kumuliert sich der Verlust für TEPCO bisher auf 50 Milliarden Dollar. Der Großteil davon – 28 Milliarden USD – fielen 2012 an. Die Zahlungen an TEPCO sind der einzige Grund, weshalb das Unternehmen noch nicht insolvent ist. Sie erklären auch die außergewöhnlich gute Liquidität.

Neben den direkten Zahlungen an das Unternehmen führte TEPCO noch eine Kapitalerhöhung durch. Dabei wurden weitere 10 Milliarden Dollar eingesammelt. Die Aktien wurden ausschließlich vom Katastrophenfonds gezeichnet. Dieser besitzt nun 55% der Aktien. TEPCO ist damit bereits mehrheitlich in staatlicher Hand. Der zweite Blick zeigt schnell, dass es TEPCO als Unternehmen wirklich schlecht geht. Trotz alledem ist das Unternehmen an der Börse noch gut 8 Milliarden Dollar wert. Das klingt relativ viel für ein Unternehmen, welches einen Rekordverlust nach dem nächsten überstehen muss. Anscheinend sehen Investoren einen Hoffnungsschimmer.

Hat TEPCO eine Zukunft?

An dieser Frage scheiden sich die Geister. Und eindeutig ist die Frage auch tatsächlich nicht zu beantworten. Die einen gehen davon aus, dass die Gelder des Katastrophenfonds nicht zurückgezahlt werden müssen. Dann hätte das Unternehmen eine Überlebenschance. Darauf spekulieren wohl auch viele Anleger. Anders ist ein Börsenwert von 8 Milliarden Dollar fast nicht zu erklären. Andere sind der Meinung, dass die gesamte Schuldenlast voll zum Tragen kommt und TEPCO somit keine Chance hat.

Der Gesamtschuldenberg (in der ersten Grafik dargestellt) beträgt knapp 80 Milliarden Dollar. Das sind die Schulden, für die TEPCO Zinsen zahlen muss. In der nächsten Grafik sind die Zinskosten mit eingefügt. Diese betragen momentan nicht einmal 1,5%. Damit fallen derzeit pro Jahr 1,2 Milliarden an Zinszahlungen an. Das ist sehr viel, aber noch verkraftbar. 1998 musste TEPCO über 4 Milliarden jährlich an Zinsen zahlen bei einem Zinssatz von 4,07% und Gesamtschulden von 105 Milliarden. Trotz dieser enormen Belastung schrieb das Unternehmen noch Gewinne. Pro Aktie (EPS) war das ein Gewinn von 100 Yen.

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Aktuell ist der Gewinn pro Aktie massiv negativ. 2011 betrug der Wert -846 Yen. Auch der Buchwert pro Aktie ist nach der Atomkatastrophe beträchtlich gesunken. Der Buchwert lag einmal bei 2.000 Yen pro Aktie. Zuletzt waren es noch 72 Yen. Zum Vergleich: die Aktie steht derzeit bei ca. 500 Yen. Eine solche Differenz bzw. ein solcher Aufschlag lässt sich nur erklären, wenn Investoren davon überzeugt sind, dass viele der Belastungen nur vorübergehend sind. Um das einschätzen zu können, muss man zwei Faktoren berücksichtigen. Der eine bezieht sich auf die noch entstehenden Kosten der Katastrophe. Der andere auf die operative Ertragskraft.

Wie viel die Reaktorkatastrophe am Ende aller Tage wirklich kosten wird weiß keiner. Man kann es aber erahnen. Es gibt dabei drei Kostentreiber. Der erste bezieht sich auf die Kosten des Managements der Reaktoren. 2011 beliefen sich diese Kosten auf 13,15 Milliarden Dollar. 2012 sanken die Kosten bereits auf 400 Mio. Seither fallen pro Quartal weitere 100 Mio. an. Solange also keine Lösung gefunden ist, kann man davon ausgehen, dass TEPCO jährlich 400 Mio. für das Management der Anlage aufbringen muss. Der zweite Kostenfaktor besteht aus Zahlungen an geschädigte Personen und Unternehmen. Im ersten Jahr waren das 25 Milliarden, 2012 noch 11,6 Milliarden und zuletzt noch 230 Mio. für das erste Halbjahr des aktuellen Geschäftsjahres. Diese Kosten werden weiter zurückgehen und in einigen Jahren bei 0 sein. Die Gretchenfrage ist also, was mit dem AKW nun geschieht. Die Stilllegung kann zwischen 10 und 40 Jahren dauern. Allein hier gehen die Schätzungen massiv auseinander. Daher ist es auch sehr schwer abzusehen, wie hoch die Kosten werden. Diese können je nach Dauer zwischen 5 und 20 Milliarden betragen. Zusätzlich schätzt die japanische Regierung, dass die Dekontamination der Region 13 Milliarden Dollar kosten wird. Ob dieser Aufwand zu 100% vom Steuerzahler getragen werden muss ist noch unklar. Im besten Fall kommen auf TEPCO nur noch 5 Milliarden an Kosten zu. Im schlechtesten Fall können es nochmals mehr als 25 Milliarden werden.

Die Unsicherheit bezüglich der noch ausstehenden Kosten ist enorm groß. Es gibt aber noch eine zweite Komponente – und das ist das eigentliche, operative Geschäft. Vor der Katastrophe bezog TEPCO ca. ein Drittel der Energie aus Atomkraft. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Anteile nach Energiequelle. Die Zahlen in den Säulen zeigen an, wie viele kWh aus den einzelnen Quellen stammen (in Milliarden kWh). Der Anteil an Gas explodiert förmlich. Aber auch der Anteil von Öl und Kohle steigt seit 2011 stark an. Erneuerbare Energie macht nur einen minimalen Anteil aus.

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Der Wegfall der Kernenergie ist für Japan ein Problem. Fossile Brennstoffe müssen importiert werden. Die Kosten haben sich dadurch fast verdoppelt. Allein TEPCO verbraucht an die 30 Milliarden an fossilen Brennstoffen pro Jahr. Das erklärt auch, weshalb Japan ein sich so stark ausweitendes Handelsbilanzdefizit hat. Seit 2013 wird keine Energie mehr aus Kernkraft bezogen – von keiner Gesellschaft.

Aufgrund der hohen Kosten der Importe explodierten auch zunächst die Kosten für die Energieproduktion. So schnell konnten die Tarife gar nicht angehoben werden, dass Unternehmen noch hätten Gewinne schreiben können. Entsprechend war auch bei TEPCO das operative Ergebnis (ohne Aufwendungen für die Katastrophe) negativ. Im aktuellen ersten Halbjahr sind die notwendigen Anpassungen soweit durchgeführt, also volle Auslastung der Kraftwerke, Tarifanpassungen etc. TEPCO konnte so vor Sonderbelastungen wieder einen Gewinn schreiben – und das nicht zu knapp. Unterm Strich standen 1,7 Milliarden Dollar in den Büchern.

Jetzt kommen wir so langsam zur zentralen Frage: was ist TEPCO eigentlich wert? Einem Gesamtvermögen von 150 Milliarden stehen Verbindlichkeiten von 138,5 Milliarden (ohne die Gelder des Katastrophenfonds) gegenüber. Das gibt schon mal einen ersten Eindruck, ist aber auch nur eine grobe Momentaufnahme. Viel interessanter und wichtiger ist ja die Frage, was TEPCO in Zukunft wert ist. Eine klassische Methode den Wert zu bestimmen geht über den DCF (Discounted Cash Flow) Ansatz. Hier wird der Wert bestimmt, indem der Barwert der Free Cash Flows mit den Barmitteln und dem Steuervorteil aus Fremdfinanzierung aufsummiert wird. Das ist der Wert des Unternehmens ohne Schulden. Mit der sehr optimistischen Schätzung, dass langfristig ein Free Cash Flow von 2,9 Milliarden generiert werden kann (unter Berücksichtigung von 550 Mio. Dollar Aufwendungen für Fukushima pro Jahr) kommt man zu einem Wert von 188 Milliarden. Dieser Wert kann stark schwanken, abhängig davon, was man als Diskontierungssatz für den Barwert hernimmt und welches Wachstum für den FCF angenommen wird (hier: 2%). Ich habe den risikofreien Zinssatz plus den aktuellen Kreditausfallaufschlag für TEPCOs Schulden verwendet (insgesamt 3,7%). Das ist natürlich schon sehr optimistisch. Die „richtigen“ Diskontierungssatz für einen unendlichen Zahlungsstrom zu finden ist aber nicht ganz leicht. Hier kommt man aber schnell in den Wald... Zieht man nun den Wert der Schulden ab, bleiben zunächst noch knapp 50 Milliarden übrig. Noch nicht berücksichtigt sind die Mittel des Katastrophenfonds. Werden diese noch berücksichtigt, dann ergibt sich ein Unternehmenswert von 11,5 Milliarden. Bei einer aktuellen Bewertung von 8 Milliarden hätte TEPCO ein Aufwertungspotential von über 40%.

Nimmt man an, dass die zukünftigen Kosten nicht dem besten Fall entsprechen sondern mehr auf der schlechteren Seite stehen, dann ergibt sich ganz schnell ein negativer Unternehmenswert. Der Wert TEPCOs steht und fällt mit der Aufteilung der Kosten für die Katastrophe und dem Diskontierungssatz. Würde man einen annähernd realistischen Wert für die geforderte Rendite annehmen, ist das Unternehmen aktuell massiv überbewertet.

Betrachtet man den Chart, kann TEPCO derzeit in beide Richtungen laufen – entweder Aufwertung unter optimistischen Annahmen oder radikale Abwertung unter pessimistischen Annahmen. Rein fundamental ist die Aktie schon eher Schrott (wenn ich mir diese Kurzfassung meiner persönlichen Meinung erlauben darf)- zumindest nach aktuell verfügbaren Informationen. Die Aktie bleibt aber dennoch spannend. Schließlich haben Aktienkurs und Wert nicht immer viel miteinander zu tun und das letzte Wort in der Beseitigung der Schäden ist noch lange nicht gesprochen. Auch werden Möglichkeiten evaluiert TEPCO zu zerschlagen, um so wenigsten einen Teil des Unternehmens profitabel weiterführen zu können. Auf meinem Experten-Desktop verfolge ich die TEPCO Aktie daher weiter: http://go.guidants.com/#c/clemens_schmale

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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