Kommentar
14:52 Uhr, 09.03.2017

Spannendes Wahljahr für Europa: Kommende Woche Auftakt in den Niederlanden

2016 war bereits ein politisch ereignisreiches Jahr, doch 2017 könnte es noch überbieten. Die Wahlen in drei oder sogar vier Kernstaaten könnten richtungsweisend für die Gemeinschaft werden. Populismus und Anti-Globalisierungshaltung sind allerorten auf dem Vormarsch. Die erste Probe aufs Exempel steht am 15. März an: die Parlamentswahlen in den Niederlanden.

Spannendes Wahljahr startet mit den Niederlanden

Am 15. März wird in den Niederlanden gewählt. Diese Wahlen sind die ersten von drei oder sogar vier (falls in diesem Jahr vorgezogene Neuwahlen in Italien stattfinden) in EU-Gründungsstaaten. Im April/Mai wählt Frankreich und im September Deutschland. Wird es auch hier – im Anschluss an das Brexit-Votum sowie den Wahlausgang in den USA – zu einer populistischen Kehrtwende kommen?

In den Niederlanden führt die nationalistische und antieuropäische PVV des Populisten Geert Wilders in den Umfragen und könnte die Wahlen durchaus für sich entscheiden. Zu befürchten steht dann eine weitere Stärkung populistischer und protektionistischer Tendenzen. Diese Dynamik könnte rund einen Monat später bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich Marine Le Pen vom Front National beflügeln.

Gefahr eines „Nexit“ dennoch gering

Die politischen Risiken in Europa bestehen vor allem darin, dass populistische Parteien wie die niederländische PVV oder der französische Front National ein Referendum über EU- und Euro-Mitgliedschaft durchsetzen und gewinnen könnten. Beide Parteien streben einen solchen Volksentscheid an. Dennoch ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Wilders tatsächlich eine Mehrheit in der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments erreicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird seine Partei noch nicht einmal in der neuen Regierung vertreten sein, da die führenden Politiker anderer Parteien, wie der amtierende Premierminister Mark Rutte von der VVD, eine Koalition mit der PVV ausgeschlossen haben.

Insofern ist ein Referendum über die niederländische EU-Mitgliedschaft vorerst unwahrscheinlich. Selbst bei einer gestärkten PVV wäre der Weg zum Referendum mit allerlei politischen Hürden gespickt. Derzeit ist eine konsultative Volksabstimmung nur zu verabschiedeten Gesetzen, die noch nicht in Kraft getreten sind, vorgesehen. Das schließt ein Referendum zur EU-Mitgliedschaft eindeutig aus. Eine konsultative Volksabstimmung würde zudem eine absolute Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments erfordern.

Wahlen in Frankreich – potenziell größere Marktwirkung

Die Wahlen in den Niederlanden dürften sich nicht wesentlich auf die Finanzmärkte auswirken, unabhängig vom Ausgang. Ihre Wirkung besteht eher in der Sogwirkung auf andere Länder, in denen demnächst Wahlen anstehen. Sollte jedoch Le Pen siegreich aus den französischen Präsidentschaftswahlen hervorgehen, hätte das spürbare Folgen für die Märkte. Aktuellen Umfragen zufolge könnte sie die erste Runde für sich entscheiden, während ihre Chancen in der Stichwahl begrenzt sind. Ein Sieg Le Pens ist momentan zwar unwahrscheinlich, aber das wurde im Vorfeld auch über den Brexit und einen Wahlsieg Trumps vermutet. Den Umfragen zufolge hat der gemäßigte Kandidat Emmanuel Macron die besten Chancen, in den Élysée-Palast einzuziehen. Dies gilt umso mehr, als der Konservative François Fillon durch einen Finanzskandal stark angeschlagen ist.

Macron/Schulz-Gespann ausgesprochen europafreundlich

Ein Sieg Macrons wäre wohl für Europa und die Märkte positiv. Noch positiver wäre ein Sieg des SPD-Kandidaten Martin Schulz bei den Bundestagswahlen im September. Der ehemalige EU-Parlamentspräsident ist nun Herausforderer der ewigen Kanzlerin Angela Merkel. Zwar ist auch die CDU klar proeuropäisch eingestellt, aber ein Sieg der Sozialdemokraten würde unter Umständen den Weg in eine stärkere Risiko- und Lastenverteilung in Europa im Gegenzug für deutlichere Strukturreformen in Ländern wie Frankreich und Italien ebnen. Insofern wäre Macron ein passender französischer Partner für Schulz, sollte er Merkel ablösen.

Spread-Entwicklung spiegelt politisches Risiko wider

Wie der Grafik auf Seite 1 zu entnehmen ist, wird die Spread-Entwicklung Bundesanleihen gegenüber zehnjährigen Staatsanleihen der Eurozone von politischen Risiken bestimmt. Von der Peripherie abgesehen, macht sich dies besonders in Frankreich bemerkbar. Seit Oktober hat sich der Spread französischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen bei zehnjährigen Laufzeiten erheblich ausgeweitet. Damit hat sich Frankreich deutlich von anderen Kernländern wie Österreich und den Niederlanden abgesetzt, obwohl wegen der anstehenden Wahlen gerade in den Niederlanden die Spreads im Verhältnis zu Bundesanleihen leicht gestiegen sind. Absolut gesehen ist der Renditeabstand zwischen niederländischen und deutschen Anleihen mit rund zehn Basispunkten aber sehr niedrig und leicht rückläufig, da der Vorsprung von Wilders in Umfragen schmilzt. Auch in Frankreich sind die Spreads zuletzt zurückgegangen, da Macron in den Umfragen führt.

Durchwurschteln kann nicht ewig weitergehen

Wie schon erwähnt bestehen die politischen Risiken in Europa vor allem im möglichen Ausstieg eines EU-Mitgliedstaates aus dem Euro. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Reformschwäche, was die internen Strukturen mancher Länder sowie EU-weite institutionelle Reformen betrifft, ebenfalls eine Gefahr darstellt. Eine solche politische Lähmung könnte eine Negativspirale aus anhaltender wirtschaftlicher Stagnation, niedriger Inflation, steigenden Schuldenlasten und zunehmender politischer Polarisierung auslösen. Ein derartiges Durchwurschteln kann zwar lange, aber nicht ewig andauern. Ab einem bestimmten Punkt käme es wohl zu einem radikalen Umbruch. Entweder könnten sich Kernländer abspalten, weil sie nicht mehr länger bereit sind, wachsende (implizite) Transferleistungen und Risiken zu tragen, ohne dass die Peripherie sich entsprechend um Reformen bemüht. Oder Peripherieländer steigen aus, weil sie sich nicht mehr den durch die Gemeinschaftsregeln auferlegten Beschränkungen beugen wollen. Märkte bzw. die Realwirtschaft preisen diese Risiken nicht immer richtig ein. Sich selbsterfüllende Erwartungen tun ein Übriges: Bei den Staatsanleihen schlägt sich dies in einer erheblichen Spread-Ausweitung nieder und im Bankensektor in einer Kapitalflucht in sichere Euro-Länder. Die Politik muss Lösungen finden, um diese Prozesse auszuschalten.

Wir halten es für wichtig, das die politisch Verantwortliche den gegenwärtigen wirtschaftlichen Aufschwung zu einer euroweiten institutionellen Ausbalancierung zu nutzen. Ob sie dazu in der Lage sind, hängt davon ab, inwieweit sie ihre Wähler besänftigen können. Auch wenn es in dieser Wahlsaison gelingt, den Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss die Eurozone dennoch strukturell gestärkt werden. Sonst könnte sie im nächsten Konjunkturabschwung in arge Nöte kommen.

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