So schlimm ist es doch gar nicht!
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Kaum hat die Euro-Politik die Zugeständnisse für einen weiteren Zeitgewinn in Griechenland ausgehandelt, werden bereits Forderungen nach einer vergleichbaren Lockerung der Konditionen für die Krisenstaaten Portugal und Irland laut. Grundsätzlich dürfte die Euro-Politik ihrer Taktik des Durchwurschtelns treu bleiben und diesen Forderungen 2013 - wenn auch in abgeschwächter Form - nachgeben. Ziel der Politik bleibt der Zeitgewinn, damit sich die Euro-Peripherie erholen kann.
Diesen Zeitgewinn hat man nun auch für Spanien erreicht. Über die direkte Stützung der vier verstaatlichten spanischen Banken durch den Euro-Rettungsschirm mit rund 40 Mrd. Euro entlastet man den klammen spanischen Staat über die Hintertür, der nun für die anstehenden massiven Bankabschreibungen infolge der Entblähung der Immobilienblase nicht mehr aufkommen muss. De facto befindet sich Spanien bereits mit einem Bein unter dem Euro-Rettungsschirm, ohne einen offiziellen Hilfsantrag gestellt zu haben. Diesen zögert man vor dem Hintergrund der erzielten Beruhigung auf dem euroländischen Staatsanleihemarkt zunächst weiter hinaus.
Im Übrigen deutet sich nach dem geplanten Rücktritt des eher als Vermittler auftretenden Chefs der Eurogruppe Juncker an, dass ein Protagonist der „Romanischen Schuldenunion“ sein Nachfolger werden könnte. Die Chancen für den französischen Finanzminister Moscovici stehen nicht schlecht, da die angeschlagenen Euro-Länder in ihm den Garanten für eine weniger strikte Lesart in punkto Spar- und Reformaktivitäten sehen. Bei Herrn Schäuble dagegen scheint die Befürchtung zu bestehen, dass die deutsche Stabilitätskultur an Einfluss gewinnt.
Unternehmensanleihen mit geldpolitischem Rückenwind
Von der reduzierten Risikoaversion in Euroland profitieren neben Staats- auch euroländische Unternehmensanleihen. Seit dem Euro-Rettungsversprechen der EZB Ende Juli ist eine deutliche Entspannung der Risikoaufschläge selbst von höher rentierlichen europäischen Unternehmensanleihen (High Yield) zur Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen erkennbar. Die Bereitschaft, auch bonitätsschwächeren Unternehmen Kapital zur Verfügung zu stellen, hat angesichts der üppigen Liquiditätsausstattung in Euroland offensichtlich wieder zugenommen.
Grafik der Woche: Liquiditätsausstattung im Euro-System und Risikoaufschlag von Euro-Unternehmensanleihen (High Yield) durchschnittlicher Laufzeit zur deutschen Umlaufrendite, in Basispunkten
Der Drang der Unternehmen auf den Kapitalmarkt ist zunächst Konsequenz der Bankenpolitik, die ihre Risikoaktiva und damit auch die Kreditvergabe aus regulatorischen und politischen Gründen weiter reduzieren werden.
Das Hauptargument ist jedoch die vergleichsweise günstigere Refinanzierung der Unternehmen über den Kapitalmarkt, die bereits 2010 zu beobachten war. Der Bankkredit ist gegenüber der Alternative Unternehmensanleihe zu teuer geworden.
Der Arm der EZB ist lang: Auch die sinkenden Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen signalisieren eine allgemeine Krisenberuhigung in Euroland. Diese Entspannung honoriert der euroländische Aktienmarkt - gemessen am Euro Stoxx 50 - mit einem Kursniveau nahe Jahreshöchststand.
Weltkonjunktur besser als erwartet
In China deutet neben dem HSBC Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe nun auch der offizielle mit einem Wert von 50,6 - dem höchsten Stand seit April - auf eine konjunkturelle Stabilisierung hin. So hat die neue chinesische Regierung bereits angekündigt, das Konjunkturwachstum über eine fortgeführte Liberalisierung der Wirtschaft auf breitere Beine zu stellen. Davon profitiert nicht zuletzt auch die deutsche Industrie, die in den letzten Jahren ihren Fokus deutlicher von Europa in die Schwellenländer und speziell China verlagert hat. Grundsätzlich korrespondiert der chinesische Einkaufsmanagerindex deutlich mit den ifo Geschäftserwartungen.
Unterdessen signalisiert in Amerika ein plötzlicher Stimmungseinbruch in der US-Industrie die von der fiscal cliff-Debatte ausgehende Gefahr für die US-Konjunkturerholung. So ist die Neuauftragskomponente des ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe überraschend auf die Expansion anzeigende Schwelle von 50 gefallen. Daneben dürften sich die Auswirkungen von Hurrikan Sandy - z.B. kurzfristige Unterbrechungen der Lieferketten - negativ bemerkbar gemacht haben. Die Schwäche des ISM Index dürfte jedoch die Gefahren für die US-Wirtschaft überzeichnen. Denn der entsprechende Index für das Dienstleistungsgewerbe hat sich weiter stabilisiert.
Grundsätzlich ist von einer Einigung der US-Politik zur Umschiffung der Fiskalklippe zum Jahresende weiterhin auszugehen. Ein double dip-Szenario der US-Wirtschaft - mit dann auch negativen Folgen für die Weltkonjunktur - wird man trotz den zuletzt scharfen Äußerungen von Demokraten und Republikanern nicht riskieren. Amerika wäre nicht Amerika, wenn es diese politische Theatralik nicht zeigen würde. Die Anhebung der US-Schuldenobergrenze zum Jahreswechsel wird aber kommen.
Amerika braucht den New Deal 2.0
Es ist zu hoffen, dass die erneute Schuldenmacherei in den USA schwerpunktmäßig der Etablierung eines neuen Geschäftsmodells dient. Ganz nach dem Vorbild des Baus der Eisenbahn, der Mobilitätsbewegung durch die Automobilindustrie und der IT-Revolution führt an einer Reindustrialisierung Amerikas kein Weg vorbei. Die Vision, bis 2020 von Energieimporten unabhängig zu sein, ist bereits ein erster großer Schritt. Von noch größerer Bedeutung sind jedoch die konsequente Modernisierung und der Ausbau der teils völlig veralteten Infrastruktur sowie die Reetablierung der USA als Exportnation.
In diesem Zusammenhang könnte die Stärkung der volkswirtschaftlichen Nachfrageaggregate Anlageinvestitionen und Nettoexporte - deren Anteil an der US-Wirtschaftsleistung seit 1980 von 17 auf 12 Prozent bzw. von null auf minus drei Prozent gesunken ist - die US-Wirtschaftskraft als veritable Gegengewichte zum alles beherrschenden Konsum stabilisieren. Denn die Abhängigkeit vom Binnenkonsum, dessen Anteil an der US-Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum von gut 60 auf mehr als 70 Prozent angestiegen ist, stellt ein enormes Klumpenrisiko dar. Ohnehin hat aufgrund der Verschuldung der amerikanischen Bevölkerung diese Triebfeder deutlich an Einfluss verloren.
Dabei wird die nötige Schützenhilfe für den verschuldungsfinanzierten Umbau der US-Volkswirtschaft erneut von der Fed kommen müssen. Denn die ausufernde Staatsverschuldung darf zu keinen Kollateralschäden führen. Über ihre extrem lockere Geldpolitik sorgt sie für den Absatz neuer Staatsanleihen und hält die Zinsen niedrig. Bereits heute leistet die US-Notenbank ganze Arbeit. Lag die Staatsverschuldung 1990 bei ca. 3,2 Bill. US-Dollar, so hat sich diese bis heute auf aktuell ca. 16,4 Bill. verfünffacht. Die jährlichen Zinszahlungen - bei Unterstellung der aktuell sehr geringen Renditen von US-Staatsanleihen - haben sich dabei allerdings von rund 250 Mrd. US-Dollar 1990 auf aktuell ca. 81 Mrd. mehr als halbiert.
Und auf was müssen die AnlegerInnen in der nächsten Woche achten?
Der Fokus der Anleger liegt auf den Verhandlungen über das fiscal cliff in den USA. In der nächsten Woche sind noch keine endgültigen Resultate zu erwarten, so dass jederzeit mit Irritationen an den Finanzmärkten zu rechnen ist.
Angesichts der überraschenden Eintrübung des ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe in den USA dürften die Stimmen auf der Zinssitzung der US-Notenbank in punkto Aufstockung des dritten Anleiheaufkaufprogramms wieder lauter werden, zumal Ende des Jahres die „Operation Twist“ ausläuft. Als Ersatz hierfür wäre es vorstellbar, dass Volumen von QE3 zu verdoppeln und insofern neben den hypothekenbesicherten Wertpapieren auch US-Staatsanleihen mit einem monatlichen Volumen von 40 bis 45 Mrd. US-Dollar aufzukaufen.
Unterdessen führen in Euroland die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe die aktuell verhaltene Konjunkturstimmung vor Augen. Allerdings ist ein allmählich rückläufiger Konjunkturpessimismus festzustellen, so dass ein Ende der Rezession in Euroland im zweiten Halbjahr absehbar ist. Der im euroländischen Vergleich ohnehin optimistischere deutsche Einkaufsmanagerindex zeigt sich ebenfall weiter aufwärts gerichtet und untermauert den euroländischen Aufwärtstrend. Zudem ist zu erwarten, dass die im Rahmen der ZEW Konjunkturdaten befragten Finanzanalysten ebenfalls etwas zuversichtlicher in die deutsche Konjunkturzukunft blicken.
Aus charttechnischer Sicht könnte es in der nächsten Woche aufgrund der überkauften Lage im deutschen Leitindex zu einer Korrektur kommen. Der DAX findet in diesem Fall im Bereich zwischen 7513 und 7523 sowie darunter bei 7478 Punkten einen ersten Halt. Die nächsten Absicherungen liegen dann bei 7450 und 7350 Punkten. Darunter verlaufen die nächsten Auffanglinien bei 7250 und 7194 Zählern. Eine darüber hinausgehende Konsolidierung ist aufgrund des positiven saisonalen Musters - die Jahresendrallye - allerdings kaum zu erwarten.
Diese sollte sich weiter fortsetzen, wenn der DAX den Widerstandsbereich zwischen 7513 und 7523 Punkten verteidigen kann. Knapp darüber liegt die nächste Barriere am Vorjahreshoch bei 7600. Sollte auch diese Unterstützung durchbrochen werden, sind Kursgewinne bis zur Marke bei 7800 Punkten wahrscheinlich.
Halvers Woche:
Das euroländische Durchgewurschtel - es funktioniert!
Ich bin auch heute noch ein großer Anhänger von „Asterix und Obelix“. Das bekannteste Zitat dieser Comic-Serie stammt wohl von Obelix, der als Reaktion auf unverständliche Aktionen römischer Legionäre immer ausrief: „Die spinnen, die Römer!“
„Die Eintagsfliege denkt ja auch nicht an Morgen“
Die spinnen, die Euro-Politiker!
Schau ich mir die Darbietungen der eurozonalen Politik an, bin auch ich oft genug geneigt, zu sagen: Die spinnen, die Euro-Politiker. Was wir erst kürzlich beim griechischen Patienten wieder als Beweis für locker aus der Hüfte geschossene Notfallmaßnahmen vernehmen konnten und sich auch schon für andere krisenbefallene Länder wie Spanien abzeichnet, hat mit an den Ursachen der Krankheit ansetzender, solider Schulmedizin nicht mehr viel zu tun. Eine derartige Therapie würde nämlich erst langfristig wirken und zunächst Schmerzen verursachen, die die Patienten zu unkontrollierten Verhaltensweisen mit Folgeschäden auch für die behandelnden Ärzte anstiften könnten. Daher wird der tiefe Schnitt gemieden. Lieber widmet man sich dem Wegschminken der Krankheitssymptome und vor allem der Stimmungsaufhellung der Marke „Alles wird gut“, zumindest bis nach der Wahl. Was in Euroland zählt, ist der Augenblick, das Heute. Die Eintagsfliege denkt ja auch nicht an Morgen.
„Den Nobelpreis für Medizin für Dr. med. fin. Draghi“
Alle Krisen-Räder stehen still, wenn die EZB es will
Aber immerhin scheint die Euro-Politik mit dieser Placebo-Medizin den Stein der Weisen gefunden zu haben. Das Durchwurschteln wurde perfektioniert. In diesem „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“-Behandlungsplan hat die EZB das mühselige Joch der Deutschen Bundesbank abgeworfen und betätigt sich mit ihrem geldpolitischen Breitband-Antibiotikum als Wunderheilerin für die Blessuren der Staatsanleihemärkte und so ganz nebenbei auch der Konjunktur. Damit hat sie die Euro-Krise zwar nicht beendet, aber der Patient ist ansprechbar, er isst, trinkt, kann aufstehen, umhergehen und macht sogar Scherze.
So ist über allen Euro-Gipfeln Ruh. Gegen die geldpolitische Wundermedizin ist kein Kraut gewachsen. Das hat auch die massive Sommerdepression der Finanzmärkte kuriert. Seit Juli ist der Euro von 1,20 bis auf 1,30 gestiegen, die Risikoaufschläge spanischer zu deutschen Staatsanleihen haben sich fast halbiert, die Ausfallprämien von Spanien mehr als halbiert und der DAX legte um ein Viertel zu. Dr. med. fin. Draghi hat die euroländische Intensivstation bestens im Griff. Wenn schon die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhält, hat Dr. Draghi den für Medizin verdient.
„Renditen von Staatstiteln unter der Grasnarbe“
Makrokosmos pfui, Mikrokosmos hui
Deutsche Anleger sollten diese unorthodoxen Therapien als Anlass nehmen, ihre Anlagestrategie zu überdenken. Ja, keine Frage der Makrokosmos verfügt nicht mehr über stabile Leitplanken wie früher. De facto ist die Europäische Stabilitätsunion eingeschläfert und als Romanische Schuldenunion wiedergeboren worden. Dies allerdings als Grund zu nehmen, wieder dem typisch deutschen Fluchtinstinkt zu frönen und schwerpunktmäßig in vermeintlich sicheres Staatsvermögen zu investieren, ist eine anlagepolitischer Falschbehandlung. Die Zinsen bzw. Renditen für neue Staatsschulden sind und werden geldpolitisch gedrückt und sind nach Inflation sogar unter der Grasnarbe. D.h. der Anleger erhält real Negativzinsen, obwohl das Risiko aus der Haftung für unsere euroländischen Blutsbrüder ständig steigt. Aber genau dies ist eben der Preis, den die Gläubiger von Staatspapieren für die Rettung der Eurozone - konkret die Entschuldung des Staates durch persönliche Entreicherung - zahlen müssen. Niemand ist jedoch gezwungen, die Zeche zu zahlen, auch wenn sich der Bundesfinanzminister - das würde ich auch - sehr darüber freut.
„Nutzen Sie die Zeit, die Ihnen die Notenbanken schenken“
Anlegerdämmerung: 2013 das Jahr der Aktie
Im individuellen Mikrokosmos, im eigenen Depot, ist es Zeit für das Großreinmachen zugunsten von Aktien. Wenn die Wirtschaft gestützt wird, alle Probleme in viel Liquidität ersäuft werden, kommt man an dieser inflationstrotzenden Art des Sachkapitals auch 2013 definitiv nicht vorbei.
Nutzen Sie die Zeit, die Ihnen die (Geld-)Politik schenkt für Aktien. Denn eins ist sicher: Auch nach Weihnachten werden geldpolitische Geschenke verteilt. Sollen die Politiker doch weiter spinnen. Wer Sachkapital hat, bleibt normal.
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/
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