Kommentar
13:57 Uhr, 23.11.2012

So schlecht ist die Konjunktur doch gar nicht

Überdeckt von anhaltenden Diskussionen über Rettungsaktionen für Griechenland und über einen Hilfsantrag von Spanien zeichnet sich immer mehr das nächste Sorgenkind Eurolands ab. Aufgrund trüber langfristiger Wachstumsaussichten und wirtschaftlicher Strukturprobleme hat neben S&P nun auch die Rating-Agentur Moody’s Frankreich die Top-Bonität entzogen und um eine Stufe herabgesetzt. Zwar hat Frankreich absolut betrachtet immer noch eine hohe Bonität, aber der Keim des Zweifels ist gesät.

Die Probleme Frankreichs lassen sich eindeutig am Außenhandel ablesen. Denn während die eigentlich üblichen Verdächtigen - die Euro-Problemstaaten Spanien, Italien oder Portugal - laut Schätzungen von Eurostat bereits in diesem Jahr wieder Außenhandelsüberschüsse zeigen - die allerdings noch maßgeblich auf sinkende Importe zurückzuführen sind - weitet sich das französische Außenhandelsdefizit seit 2005 zunehmend aus. Die höchsten europäischen Lohnstückkosten behindern die Wettbewerbsfähigkeit französischer Produkte massiv. Das Quartetto Infernale ist die Folge: Ausbleibende Unternehmensinvestitionen, abgebaute Arbeitsplätze, wenig, wenn überhaupt Wirtschaftswachstum und noch mehr Verschuldung. Setzt sich dieser Prozess fort, sind weitere Herabstufungen - die man dann nicht mehr mit vermeintlich unangemessenen angelsächsischen Dolchstößen entschuldigen kann - die logische Folge.

Übrigens, Deutschland bleibt in punkto Außenhandel der strahlende Stern.

Nicht zuletzt hängt die Stabilität Eurolands auch von der zweitgrößten Volkswirtschaft Frankreich ab. Ansonsten würde das auf unzweifelhaften Bonitätseinschätzungen aufbauende Konstrukt des Euro-Rettungsschirms zunehmend Schaden nehmen und am Ende selbst Rettung benötigen. Deutschland wird als alleiniges großes Triple A-Land diese Aufgabe nicht übernehmen können. Die Rettung Eurolands über den Rettungsschirm geriete zur Farce und würde die Euro-Krise wieder zur vollen Blüte bringen.

Es ist zu hoffen, dass selbst eine, die Sozialpolitik wiederentdeckende neue französische Regierung erkennt, dass an Reformen - zumal Frankreich diese grundsätzlich stemmen könnte - kein Weg vorbeiführt. Noch wird Frankreich an den Staatsanleihemärkten in einem Atemzug mit Deutschland genannt. Die Finanzmärkte werden diese alte Verbindung bei anhaltendem Status Quo jedoch kappen und Frankreich stärker an den Euro-Problemstaaten Spanien und Italien andocken.

Konjunkturängste lassen nach

Davon unabhängig hat sich dennoch der euroländische Konjunkturpessimismus des I. Halbjahrs nach dem Euro-Rettungsversprechen der EZB zurückgebildet. Zwar befindet sich der euroländische Einkaufsmanagerindex mit einem Wert von 46,2 noch deutlich unter der expansiven Schwelle von 50. Doch hat er seinen Abwärtstrend gestoppt und zeigt sich aufwärtsgerichtet. Hierbei liegt Deutschland sogar über dem Euro-Durchschnitt. Offensichtlich hat das Versprechen der EZB, die Eurozone geldpolitisch vor dem Kollaps zu bewahren, auch die Konjunkturskepsis geschmälert.

Das trotz der Krisensymptome in der Eurozone stabile deutsche Konjunkturbild bestätigen auch die letzten Daten vom ifo Geschäftsklimaindex. Alle drei Teilkomponenten - Geschäftsklima, -lage und -erwartungen - sind wieder aufwärtsgerichtet. Insbesondere die auf die Zukunft gerichteten Geschäftserwartungen zeigen sich weniger pessimistisch. Nach einem Seitwärtstrend im letzten Monat deuten sie jetzt wieder eine verbesserte Perspektive an.

Insofern ist kein Weg Deutschlands in die Rezession vorgezeichnet. Dieses Bild spiegelt die ifo Konjunkturmatrix, die Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung setzt, wider. Insgesamt wird die deutsche Wirtschaft - nach einem verhaltenen IV. Quartal 2012 - im nächsten Jahr wieder in einen volkswirtschaftlichen Stabilisierungsprozess übergehen können.

In den deutschen, exportstarken Geschäftserwartungen schlägt sich nicht zuletzt die Stabilisierung der Weltwirtschaft nieder. So liegt in China der HSBC Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe zum ersten Mal seit einem Jahr wieder über der Expansion anzeigenden Schwelle von 50.

Und in Amerika schreitet die Genesung des Immobilienmarktes mit seiner stabilisierenden Wirkung für die US-Gesamtwirtschaft erkennbar voran. Hurrikan Sandy hinterließ im Oktober nahezu keine Bremsspuren am US-Häusermarkt, was seine fundamentale Stärke verdeutlicht. Sowohl Baubeginne als auch -genehmigungen befinden sich aktuell wieder auf dem Niveau vor der Lehman-Pleite 2008. Das von der US-Notenbank auf ein historisches Tief gedrückte Zinsniveau für Hypothekenkredite wirkt dabei zweifellos als Katalysator.

Apropos US-Notenbank, sie wird noch lange, lange, lange nicht ihre geldpolitische Großzügigkeit einstellen. Dazu müsste sich die US-Konjunkturerholung noch breiter insbesondere am US-Arbeitsmarkt niederschlagen. Zuletzt deutete Fed-Chef Bernanke sogar an, die Geldpolitik an bestimmten wirtschaftlichen Daten auszurichten. So könnte er formulieren, dass seine Unterstützung so lange anhält, bis die US-Arbeitslosenquote auf sechs Prozent gefallen ist. Es wäre eine Geldpolitik mit Ansage, ja sie wäre für Investoren planbar, sozusagen zu kalkulieren.

Deutsche Aktien beweisen anhaltend Steherqualitäten

Vor dem Hintergrund einer sich stabilisierenden Konjunktur und zusätzlich gestützt durch die unbeirrt fortgesetzte, lockere internationale Geldpolitik, entwickeln sich deutsche Unternehmensgewinne - gemessen an den MSCI Aktienindices - stabil. Insbesondere deutsche Technologie- und Pharmawerte warten nach dem Schreckensjahr 2009 aktuell wieder mit einer positiven Gewinnentwicklung auf. Auch die deutsche Kernbranche der Industriewerte hat ihren Abwärtstrend gestoppt und beschreibt zumindest einen Seitwärtstrend. Gemessen an der gesamten deutschen Gewinnentwicklung liegen sie trotz aktueller Konjunkturdelle zumindest auf Durchschnittsniveau. Die Versorger haben die Auswirkungen der Energiewende weitestgehend verdaut, so dass sich die Gewinnentwicklung zwar noch schwach, aber bereits wieder aufwärtsgerichtet zeigt. Finanzwerte haben allerdings mit anhaltendem Gegenwind aus der Politik zu kämpfen. Die Gefahr von deutlich zunehmender Regulierung und erhöhten Eigenkapitalvorschriften nehmen die Banken bereits zum Anlass, frühere gewinnträchtige, aber auch risikoreichere Geschäftszweige abzubauen.

Grafik der Woche: Gewinnentwicklung deutscher Branchen, indexiert

Und schließlich rechtfertigen sich mit dem Rückenwind der Konjunktur und der Gewinnentwicklung auch höhere Indexstände beim deutschen Leitindex DAX, der die zukünftig konjunkturell stabilere Entwicklung bereits antizipiert.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Der Fokus der Anleger liegt auch kommende Woche auf der Euro-Politik. In der nächsten Runde der Verhandlungen über die griechischen Finanzhilfen wird man sich auf die konkreten Details der Politik des Durchwurstelns einigen. Höhere deutsche Finanzhilfen sind - in welcher Form auch immer - zu erwarten. Mit nachhaltigen Entscheidungen hat dies zwar nichts zu tun. Aber immerhin lassen sich so erneute Gefahren eines Aufflammens der politischen Euro-Krise mit ihren Ausstrahleffekten auf die Euro-Wirtschaft verhindern. In Spanien dürften nach den katalanischen Regionalwahlen die Spekulationen über einen Euro-Hilfsantrag und damit den Startschuss für das EZB-Anleihenaufkaufprogramm für spanische Staatsanleihen wieder zunehmen.

Unterdessen verdeutlicht die deutsche Binnenwirtschaft ihre stabilisierende Wirkung für die Gesamtwirtschaft. Denn die Lage am Arbeitsmarkt bleibt robust und dem entsprechend positiv fällt auch weiterhin das GfK Verbrauchervertrauen aus.

In Amerika unterstreicht der Expansion anzeigende Chicago Einkaufsmanagerindex die voranschreitende US-Wirtschaftserholung. Allerdings belastet die von der fiscal cliff-Debatte ausgehende Unsicherheit zunächst noch die Ausrüstungsinvestitionen, was die Auftragseingänge vermutlich belegen werden. Im Konjunkturbericht der Fed wird man daher nicht müde werden, auf die konjunkturellen Risiken hinzuweisen.

Ein Ende der Liquiditätshausse durch die Fed ist damit aber eben auch nicht in Sicht.

Aus charttechnischer Sicht geht die Erholung im DAX dann weiter, wenn die nächste Hürde bei 7250 Zählern überschritten wird. Danach nimmt der DAX Kurs auf die Marke bei 7316 Punkten, bevor die nächste Hürde um die 7450 Punkte in Angriff genommen wird.

Fällt der DAX jedoch unter die wichtige Unterstützung bei 7100 Punkten zurück, muss mit weiteren Kursverlusten bis zur Marke bei 7000 und darunter bis zu 6875 Zählern gerechnet werden.

Mit zunehmenden politischen Problemlösungen - wenn wie im Falle Griechenlands auch nur provisorisch - ist eine Jahresend-Rallye immer noch zu erwarten.

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