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15:50 Uhr, 20.03.2024

Schnabel sieht Gründe für höheren Gleichgewichtszins

DJ EZB/Schnabel sieht Gründe für höheren Gleichgewichtszins

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones) - EZB-Direktorin Isabel Schnabel sieht gute sachliche Gründe dafür, dass der so genannte Gleichgewichtszins in den vergangenen zwei Jahren gestiegen ist. In der Konferenz "The ECB and its Watchers" in Frankfurt wies Schnabel zugleich auf die Möglichkeit hin, dass dieser Zinsanstieg von den Zentralbanken ausgelöst wurde, deren Erwartungen die Finanzmärkte herauszufinden versuchten. Deshalb sollten Zentralbanken ihrerseits nicht zu viel auf Markterwartungen hinsichtlich der Zinsentwicklung geben. Der kurzfristige Gleichgewichtszins r* ist der Zins, der sich einstellen würde, wenn das Wirtschaftswachstum dem Potenzial und die Inflation ihrem Zielwert entspräche.

"Der außergewöhnliche Investitionsbedarf, der sich aus den strukturellen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der digitalen Transformation und den geopolitischen Verschiebungen ergibt, könnte sich dauerhaft positiv auf den natürlichen Zinssatz auswirken", sagte Schnabel laut veröffentlichtem Redetext. Ob die Erwartung dieses Investitionsbedarfs die realen Zinssätze in den vergangenen Jahren direkt nach oben getrieben habe oder ob die Geldpolitik ein Katalysator für die Preisanpassung gewesen sei, bleibt Gegenstand der Diskussion.

"Es ist jedoch möglich, dass die entschlossene geldpolitische Reaktion auf den Inflationsschub die Überzeugungen der Marktteilnehmer in Bezug auf r* verändert und damit eine Rückkehr der säkularen Stagnation weniger wahrscheinlich gemacht hat", erläuterte Schnabel. Das würde bedeuten, dass nach der Verarbeitung der jüngsten Schocks dauerhaft ein höheres Zinsniveau als vor der Pandemie herrschen würde. Das hätte auch Folgen für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Die Ungewissheit darüber, wie sich die Maßnahmen und die Kommunikation der Zentralbank auf die realen langfristigen Zinssätze auswirken, legt Schnabel zufolge jedoch nahe, dass die politischen Entscheidungsträger vorsichtig vorgehen müssen. "Anstatt auf die Finanzmärkte zu schauen, die nur ein Spiegel unserer selbst sein könnten, müssen wir gründlich prüfen, ob sich die grundlegenden Kräfte, die die Wirtschaft langfristig antreiben, verändert haben, und diese Ansichten umsichtig kommunizieren", sagte sie.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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