Kommentar
12:49 Uhr, 28.09.2016

Schadet die Geldpolitik mehr als sie nutzt?

Die Sommermonate waren angesichts der wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen und Schocks, mit denen wir uns in der ersten Hälfte des Jahres 2016 konfrontiert sahen, eindeutig durch Unsicherheit und Volatilität gekennzeichnet. Doch im Großen und Ganzen blieb es an den globalen Märkten relativ ruhig, da die Liquiditätsspritzen der Zentralbanken in das Finanzsystem die Anleger weiterhin zuversichtlich stimmten und die Bewertungen von Vermögenswerten stützten.

Den meisten Marktbeobachtern ist jedoch klar, dass die Anreizmaßnahmen der Zentralbanken und insbesondere das Anleihenkaufprogramm der EZB an den globalen Märkten zu Verzerrungen führen. Wir sind uns durchaus bewusst, was dies für die globalen Zinssätze und darüber hinaus für die Defizite von Pensionsplänen, die Unternehmensgewinne und relativen Bewertungen bedeutet. Es ist zweifelhaft, ob die Konjunktur mit diesem geldpolitischen Kurs wirklich angekurbelt wird. Eine der zentralen Fragen ist nun, ob wir – vor allem in Großbritannien und Europa – in eine Lage geraten, in der die Behandlungsmethode schädlicher sein könnte als die Krankheit selbst.

Ohne quantitative Lockerung würden die Renditen von Anleihen aus Kernländern sicherlich steigen. Schwieriger abzuschätzen ist dagegen, welche Entwicklung ohne quantitative Lockerung mit Blick auf das hohe globale Schuldenniveau sowie die Schwäche und Anfälligkeit des Finanzsystems zu erwarten wäre. Ohne die Maßnahmen der Zentralbanken wäre die Lage vermutlich noch misslicher. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass die geldpolitischen Anreize zu einer Verzerrung der Bewertungen von Vermögenswerten geführt haben.

So war in den letzten Wochen insbesondere an den Rentenmärkten eine bemerkenswerte Entwicklung zu beobachten, sowohl bei Unternehmens- als auch bei Staatsanleihen. Europäische Hochzinsanleihen legten kräftig zu und erreichten ein Niveau, das uns früher zu einer Verringerung unseres Engagements veranlasst hätte. Britische Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten verzeichneten seit dem britischen Referendum zur EU-Mitgliedschaft ein Plus von mehr als 30 % und ließen damit die Aktienmärkte weit hinter sich. Diese Entwicklung ging natürlich weitgehend mit einem Einbruch der Renditen einher.

Aufgrund der kräftigen Rally von Unternehmensanleihen haben wir unsere Position in europäischen Anleihen mit Investment-Grade-Rating (IG) und im Hochzinssegment überprüft, daraufhin jedoch beschlossen, an unserer Allokation festzuhalten. Insgesamt sind wir in Unternehmensanleihen neutral positioniert. Wir bevorzugen Hochzinsanleihen gegenüber IG-Anleihen, in denen wir leicht negativ positioniert sind, da der Kreditzyklus schon weit fortgeschritten ist und wir mit schwachem Wachstum sowie sinkender Rentabilität rechnen.

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass sich spätzyklische Aktivitäten wie fremdfinanzierte Fusionen und Übernahmen oder Aktienrückkäufe eher negativ auf die Anlageklasse auswirken, während die in ganz Europa anhaltend lockere Geldpolitik die Kreditkosten weiter reduzieren wird. Hinzu kommt, dass die Bewertungen inzwischen angemessen sind, nachdem sie Anfang des Jahres noch günstig erschienen.

Die Volatilität an den Aktienmärkten war in letzter Zeit äußerst gering, obwohl mit beträchtlichen Risiken zu rechnen ist. In diesem Umfeld sinkender Volatilität richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf kritische politische Ereignisse wie die anstehenden US-Wahlen und das Referendum in Italien sowie auf andere Negativfaktoren wie einen möglichen Anstieg des britischen Pfunds (der auf GBP lautende Fonds belasten würde) oder eine Dollar-Rally (die erneut die Schwellenländer, aber auch die globalen Märkte unter Druck setzen würde). Das Bankensystem ist weiterhin anfällig, und vor allem in den Peripherieländern werden noch erhebliche Kapitalspritzen nötig sein. Der Brexit hat höchstwahrscheinlich zu einer gewissen Destabilisierung der Europäischen Union geführt und Angela Merkels Macht bröckeln lassen, sodass die Zukunft der EU mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist. All diese Faktoren verstärken die an den Märkten spürbare allgemeine Unsicherheit, was zum Teil erklärt, warum veröffentlichte Konjunkturdaten oder Bekanntgaben der Zentralbanken nun größere Beachtung finden und die Reaktionen darauf entsprechend ausfallen.

In diesem Umfeld ist unser Engagement an den Aktien- und Anleihemärkten zurückhaltend und wir behalten die Renditen stets im Auge. An unserem Allokationsmodell haben wir jedoch keine wesentlichen Veränderungen vorgenommen. Unser zentrales Szenario geht weiterhin von schwachem Wachstum, geringer Inflation und niedrigen Zinsen aus. Dieser Ausblick gilt selbst dann, wenn wieder fiskalpolitische Maßnahmen ergriffen werden, was jedoch abzuwarten bleibt.

Niedrigere Zinsen können die Nachfrage nur in Verbindung mit einer expansiven Haushaltspolitik ankurbeln. Die gegenwärtige Situation wird somit immer inakzeptabler, wenn die Regierungen nicht dazu übergehen, den durch die niedrigen Zinsen geschaffenen Spielraum für höhere Haushaltsausgaben zu nutzen. So wurde Europa bereits dafür kritisiert, trotz niedriger Zinsen einen Sparkurs zu verfolgen und damit das Wirkungsgefüge zwischen Zins- und Fiskalpolitik zu gefährden.

Es gibt jedoch erste Anzeichen, dass zumindest in den USA fiskalpolitische Maßnahmen anstehen könnten. Beide Präsidentschaftskandidaten haben sich im Wahlkampf entsprechend geäußert. Außerdem haben bei früheren Wahlen manche Kandidaten, die zuvor für ein niedrigeres Haushaltsdefizit plädierten, schließlich doch eine expansive Haushaltspolitik verfolgt. Die Pläne von Clinton und Trump hinsichtlich der Umsetzung einer expansiven Haushaltspolitik weichen zwar voneinander ab, doch höhere Infrastrukturausgaben werden sicherlich dazuzählen.

Autor: Mark Burgess, CIO EMEA und Global Head of Equities bei Columbia Threadneedle Investments

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