Kommentar
16:33 Uhr, 28.10.2010

QE2: Die chinesische Sichtweise

Politische Instabilität und hohe Inflation: Das sieht Andy Xie auf uns zukommen. Der im Jahr 1962 geborene und heute unabhängige Volkswirt ist für seine antizyklischen und provokativen Ansichten bekannt. Er verließ im Oktober 2006 abrupt seinen damaligen Arbeitgeber Morgan Stanley, nachdem eine interne E-Mail, die er geschrieben hat, plötzlich im Internet aufgetaucht war. Xie bezeichnete darin Singapur als eine Stätte zur Geldwäsche für Indonesien und den ASEAN-Wirtschaftsverband als einen Fehlschlag.

„Die Welt steht in einer Rauchwolke, ein Weltwährungskrieg beginnt“, schreibt Xie in seinem neusten Kommentar. Die bevorzugte Waffe sei die quantitative Lockerung. „Wenn ihr eine Billion druckt, drucken wir auch eine Billion. Keine Änderung der Zinsen nach einer Billion? Lasst es uns erneut versuchen: QE2!“ Leute wie US-Finanzminister Timothy Geithner würden eine extrem negative Stimmung verbreiten. Nachdem man ihnen zugehört habe, muss man annehmen, dass morgen die Welt unterginge. Reiche Leute können es sich leisten, Gold zu kaufen, um ihre Seele ein bisschen zu beruhigen. „Wenn der Weltwährungskrieg den Wert der Währungen mit quantitativen Lockerungen zerstört, dann haben zumindest die Reichen das Gold, um reich zu bleiben“, schreibt Xie weiter.

In den Augen von US-Politikern, Experten und Fernsehmoderatoren liege die Schuld für die Misere ausschließlich bei China. Xie gesteht ein, dass China alles andere als perfekt sei. Die Währungspolitik Chinas sei definitiv nicht perfekt. Sie ist aber nicht der Grund für die Misere, in der wir uns befinden, klagt Xie. Die USA seien mit Abstand der maßgebliche Auslöser der Unsicherheit und des QE-Kriegs. Die US-Elite hätte die größte Spekulationsblase seit 1929 kreiert und habe sogar den politischen Rahmen geschaffen, um sie entstehen zu lassen. Die US-Wirtschaft liege jetzt nach ihrem Platzen in Trümmern. „Die gleichen Leute wollen eine schnelle Lösung, um an der Macht zu bleiben. Unglücklicherweise gibt es aber keine schnelle Lösung“, warnt Xie.

In den USA habe sich das Haushaltsdefizit auf 10% des Bruttoinlandsprodukts erhöht. Die Zinsen sind auf null gefallen. Trotzdem – nach ein paar Quartalen mit starkem Wachstum drehe die US-Wirtschaft wieder nach unten. Die Arbeitslosenquote verharrt nahe 10%. Sie wäre so hoch wie in Spanien – bei 20% - würde man wie in Spanien auch in den USA Geringbeschäftigte und all jene mit dazu zählen, die es aufgegeben haben, eine Arbeit zu suchen.

„Der Stimulus ist fehlgeschlagen“, davon ist Xie überzeugt. Er nennt drei Interpretationen, die jetzt genannt werden, als Erklärung dafür, warum der Stimulus fehlgeschlagen ist.

1) Würde man so denken wie Paul Krugman, so müsste man sagen, es wurde noch nicht genug getan. „Klar, wenn 20% Defizitquote im US-Haushalt und eine weitere Runde QE immer noch nicht funktionieren, würde er immer noch sagen, dass es noch nicht genug war. Sie können Krugman niemals widerlegen. So ein schlauer Kerl.“
2) Die zweite Interpretation ist, dass es eine Zeit lang dauern wird, bis sich die Wirtschaft von der schweren Krise erholt haben wird. Keine Volkswirtschaft könne sich so schnell erholen von einer Spekulationsblase, die so riesig gewesen sei, wie diese. Während der zeitlich so ausgedehnten Spekulationsblase seien die Ressourcen in der Wirtschaft derart falsch verteilt worden, dass es eine Zeit lang dauern werde, diese neu zu ordnen. Das gelte auch für den Arbeitsmarkt, der ebenfalls in einer Schieflage sei, und auch nicht von heute auf morgen repariert werden könne. Wenn eine Wirtschaft derart falsch verortet sei, könne ein Stimulus das Wachstum kurzfristig beschleunigen, aber nicht zu anhaltendem Wachstum führen.
3) Last but not least wird auch China als Grund genannt. Die Volksrepublik exportiere zu viele Güter in die USA. Indirekt bedeute dies nichts anderes, als dass der Stimulus aus den USA direkt nach China gewandert sei. „Doch wessen Schuld ist das? Apple fertigt alle iPhones in China, weil dort die Stückkosten bei nur 20 Dollar liegen, auch nach den massiven Lohnsteigerungen für die Arbeiter. Apples Bruttomargen liegen um den Faktor 30 über den Fertigungskosten in China“, schreibt Xie weiter. Im Schnitt liege der Einzelhandelspreis in den USA für chinesische Güter um den Faktor drei bis vier über den Fabrikpreisen in der Volksrepublik. Amerikanische Unternehmen wünschen es, so Xie weiter, dass die Produkte in China gefertigt werden, sodass sie den Stimulus-induzierten Nachfrageanstieg im eigenen Land befriedigen können.

China solle seine Währung aufwerten, hieße es aus den USA. Die implizite, dahinter stehende Forderung sei, dass dadurch Unternehmen aus den USA dazu motiviert werden sollten, ihre Fabriken zurück in die USA zu verlagern. „Ich glaube das ist es, wie diese ganze Idee um die Yuan-Aufwertung funktionieren soll“, erläutert Xie weiter. „Aber, zu welchem Wechselkurs würden die amerikanischen Unternehmen das tun wollen? Die amerikanischen Löhne liegen um den Faktor zehn über den chinesischen. „Soll China seine Währung um den Faktor zehn aufwerten?“

Nach Ansicht Xies sei die chinesische Währung überbewertet. Der Immobiliensektor sei doppelt so hoch bewertet, wie er eigentlich sein dürfte, besonders der Zustrom an „heißem Geld“ aus dem Ausland und die Ersparnisse der Chinesen würden in den Immobilienmarkt strömen. Auch der Schwarzmarkt, den Xie in China auf 10% des BIPs schätzt, sei ein großes Problem. Auch von dort strömen große Mengen Kapital in den Immobilienmarkt. Außerdem sei die Geldmenge in China in den vergangenen zehn Jahren explodiert, von 12 auf 70 Billionen Yuan. All das spreche in den Augen Xies für eine weitere Abwertung des Yuan.

„Was richtig wäre, interessiert aber derzeit niemanden“, schimpft Xie. „Es scheint als würde keiner aufwerten wollen.“ Die meisten großen Nationen werden irgendetwas unternehmen, um ihre Währung unten zu halten. Das ist eine Pattsituation für die USA. Ohne die Vorteile für den Exportmarkt, die aus einer Abwertung resultieren würden, führt QE einfach zu höherer Inflation, was mit steigenden Ölpreisen beginnen wird.“ Amerikas Bürger leiden unter einem schwachen Immobilienmarkt und einer persistent hohen Arbeitslosigkeit. „Wenn sich die Benzinpreise verdoppeln, könnte das Land nicht mehr stabil sein. Wie würde die Elite reagieren? Wahrscheinlich mit noch mehr (Stimulus).“

Die Welt bewege sich in Richtung hoher Inflation und politischer Unsicherheit. Eine weitere globale Krise ist in den Augen Xies nur noch eine Frage der Zeit. Das erste Zeichen wäre ein kollabierender Anleihenmarkt. Die Fed kontrolliert die Renditekurve mit QE. Es wäre nach Ansicht Xies irrational für Investoren, sich dagegen zu stellen. Dennoch sei auch der einzige Grund, im Anleihenmarkt investiert zu bleiben, der Glaube, dass die Fed den Markt daran hindern wird, zu fallen. Die zu Grunde liegenden Werte würden aber untergraben durch das steigende Geldangebot und die daraus resultierenden inflationären Tendenzen. „Wenn alle Investoren das realisieren, werden sie alle gleichzeitig zum Ausgang rennen. Die Fed wird diese Massenbewegung nicht stoppen können. Wenn sie genug Geld drucken um den gesamten Markt zu übernehmen, werden die Leute die neu gedruckten Dollars gegen Sachwerte tauschen. Der Dollar würde dann auch einbrechen.

„Die Welt steht vor einer weiteren Krise im Jahr 2012.“

Autor: Jochen Stanzl - Chefredakteur Finanznachrichtenredaktion BoerseGo.de

BoerseGo.de ist ein Service der BörseGo AG : http://www.boerse-go.ag

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets
Follower
Folgen

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

Mehr über Jochen Stanzl
Mehr Experten