Analyse
12:27 Uhr, 17.07.2008

Mittelfristiges Umfeld bleibt belastet

Externe Quelle: Unicredit

Fallende Frühindikatoren dürften das mittelfristige Umfeld für den Aktienmarkt weiter belasten. Die zunehmenden Anzeichen für eine deutlichere Wachstumsverlangsamung in Europa belegen derzeit unser Bild eines voranschreitenden konjunkturellen Abschwungs. Nachdem die Abschwächung in den letzten Monaten auf eine langsam an Fahrt gewinnende Eintrübung der Frühindikatoren begrenzt blieb, deuten inzwischen auch die harten Daten klar auf eine Verlangsamung hin. So lag die Industrieproduktion des Euroraums im Mai erstmals seit 2003 wieder unter dem Vorjahresniveau. Zwar war diese Entwicklung durch inzwischen leicht unter ihren langjährigen Durchschnitten liegende Frühindikatoren absehbar. Das stark rückläufige Wachstum der Geldmenge M1 deutet jedoch für die nächsten Monate klar auf einen weiteren Rückgang der Geschäftserwartungen hin. Solange die an unteren Wendepunkten typischerweise gesehenen Niveaus (Erwartungskomponente des ifo Geschäftsklimas bei 90 oder darunter) noch nicht erreicht sind, dürften weiter fallende Frühindikatoren den Ausblick für Aktien noch länger belasten.

Die Berichtssaison für Q2 dürfte per saldo ein gespaltenes Bild zeichnen. Bei den bisher veröffentlichten Quartalsberichten hat sich bislang noch kein klares Bild für die Q2-Berichtssaison ergeben. Zwar bestehen durchaus Chancen, dass sich die Profitabilität des Nicht-Finanzsektors weiterhin nur graduell eintrübt. Dafür spricht beispielsweise, dass bislang noch kaum Unternehmen eine Gewinnwarnung veröffentlicht haben, womit in der Anfangsphase der Veröffentlichungen üblicherweise zu rechnen wäre. Auch haben sich die Frühindikatoren für den Nicht-Finanzbereich bislang auf vergleichsweise hohen Niveaus gehalten, z. B. lag der ISM Manufacturing zuletzt wieder über der Expansionsmarke von 50 Punkten. Allerdings ist zu erwarten, dass sich die deutlicher werdenden konjunkturellen Risiken in zunehmend verhaltener werdenden Ausblicken niederschlagen dürften. Vor diesem Hintergrund sehen wir insbesondere mit Blick auf 2009 die Notwendigkeit deutlicher Abwärtsrevisionen in den Gewinnschätzungen. So liegen die geschätzten Wachstumsraten für 2009 weiterhin im klar zweistelligen Bereich, obwohl sich in den globalen BIP-Wachstumsschätzungen zunehmend das Bild durchsetzt, dass die Aussichten für 2009 noch verhaltener sind als für dieses Jahr. So implizieren etwa die Konsensschätzungen für die S&P 500 Quartalsgewinne eine massive Erholung der Unternehmensgewinne in H2/08, die bis Q1/09 neue Rekordgewinne bedeuten würde, obwohl sich eine Lösung für die Probleme im Finanzsektor und eine Aufhellung in den Frühindikatoren bislang nicht abzeichnet. Wir erwarten daher weiterhin, dass die 12M FWD Gewinne in 2008 um rund 10% fallen werden (in Europa liegt der Rückgang YTD bei 3,4%).

Der Entwicklung des Ölpreises kommt in den nächsten Monaten unter Bewertungsgesichtspunkten eine zentrale Rolle für den weiteren Aktienmarktausblick zu. Der trotz fallender Frühindikatoren in den letzten Monaten deutlich weiter steigende Ölpreis ist wesentlich für die aufgekommene Stagflationsdebatte mit verantwortlich. Sollte es deshalb zu einer nachhaltigen Entspannung in diesem Inputfaktor kommen, würde die günstige Bewertung der Aktienmärkte ein deutlich stärkeres Gewicht entfalten können als dies zuletzt der Fall war. Mit Blick auf den Zusammenhang zwischen Bewertungsgrößen und der Inflationsentwicklung während der Stagflationsphase der 70er Jahre wird klar, dass im Umfeld steigender Inflationsraten derzeit kaum an eine nachhaltige Bewertungsausdehnung zu denken ist.

Allerdings kam es z. B. 1975 trotz der übergeordneten Stagflationsumfelds zu einer deutlichen Zwischenerholung des Aktienmarktes als die Inflationsraten sich zwischenzeitlich wieder halbiert haben. Dies könnte durch eine Seitwärts-/Abwärtsbewegung des Ölpreises ausgelöst werden, da die Kerninflationsraten weiterhin sehr moderat sind (Euroraum: 1,8%, USA: 2,4%). Der Ölpreis ist damit als derzeit wohl einziger exogener Faktor anzusehen, von dem eine positive Überraschung ausgehen könnte.

Das Einpreisen einer niedrigeren Gewinnbasis sowie die Gefahr eines strukturellen KGV-Abschlags im Falle eines Stagflationsszenarios bewirken derzeit einen „Double Whammy“ für die Bewertungsseite. Zwar suggerieren Bewertungen auf den aktuellen Niveaus, dass ein Großteil der drohenden Gewinnrevisionen bereits eingepreist ist. So liegen zyklisch bereinigte KGV’s beispielsweise bei 11 für den Euroraum und bei 13 für den S&P 500. Die Unsicherheit über das letztliche Ausmaß der Kreditkrise sowie der negative Impuls von Seiten der anhaltenden Stagflationstendenzen (siehe oben) unterminieren jedoch weiterhin die Unterstützung durch die günstige Bewertung. Vor dem Hintergrund dieser doppelten Belastung, die die Bewertungsgrößen derzeit zu verdauen haben, und angesichts der angeschlagenen mittelfristigen Chartsituation in den globalen Aktienindizes halten wir an unserer defensiven Grundeinstellung fest. Unsere Kursziele befinden sich weiterhin „Under Review“ und wir werden sie nach unten anpassen sobald sich die Volatilität an den Finanzmärkten gelegt hat.

Kurzfristig bestehen Chancen auf eine Erholung in einem intakten Abwärtstrend. Nach den starken Kursrückgängen der letzten zwei Monate ist demnächst mit dem Einsetzen einer technischen Erholung zu rechnen. Auch wenn es bislang noch keine überzeugenden Kapitulationsanzeichen gibt, weist das gestrige Kurssignal an der Wall Street (Aufschlag von mehr als 250 Punkten im Dow) Parallelen mit der Situation Mitte März auf. Auch die für die Entwicklung des Gesamtmarktes entscheidenden Finanzwerte befinden sich inzwischen in kurzfristig deutlich überverkauftem Terrain. So liegt der STOXX Financials inzwischen ca. 15% unter seiner 40-Tagelinie, was in den letzten 10 Jahre nur selten und unwesentlich übertroffen wurde. Solange sich eine nachhaltige Lösung für den Finanzbereich weiter nicht abzeichnet sehen wir die Risiken jedoch weiterhin dominieren, zumal die für Fannie Mae und Freddie Mac notwendig gewordenen Unterstützungspläne verdeutlichen, dass die Probleme am US-Immobilienmarkt zunehmend auch sehr gute Bonitäten erfassen und Altaktionäre notleidend gewordener Finanzinstitute keinen Bailout erwarten können.

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Über den Experten

Alexander Paulus
Alexander Paulus
Technischer Analyst und Trader

Alexander Paulus kam zunächst über Börsenspiele in der Schule mit der Börse in Kontakt. 1997 kaufte er sich seine erste Aktie. Nach einigen Glückstreffern schmolz aber in der Asienkrise 1998 der Depotbestand auf Null. Da ihm das nicht noch einmal passieren sollte, beschäftigte er sich mit der klassischen Charttechnik und veröffentlichte seine Analysen in verschiedenen Foren. Über eine Zwischenstation kam er im April 2004 zur stock3 AG (damals BörseGo AG) und veröffentlicht seitdem seine Analysen auf stock3.com (ehemals GodmodeTrader.de)

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