Machen Sie nicht den CRV-Fehler!
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Erwähnte Instrumente
- DAX - WKN: 846900 - ISIN: DE0008469008 - Kurs: 12.770,12 Pkt (XETRA)
Sofern Sie als Trader aktiv werden wollen, gehen Sie im Vorfeld eine ganze Reihe von Fragen durch. Bei der Beurteilung einer Tradingchance schauen viele private Anleger gerne auf das sogenannte Chance-Risiko-Verhältnis (CRV). Im Rahmen dessen wird das Risiko als die Differenz zwischen dem aktuellen (geplanten) Einstiegspreis und dem gesetzten Stopploss definiert. Parallel dazu ergibt sich die Chance als Differenz vom geplanten Kursziel bis zum aktuellen (geplanten) Einstiegspreis. In der Literatur ist immer wieder zu lesen, dass idealerweise nur Trades einzugehen sind, die ein CRV größer/gleich zwei oder drei mit sich bringen.
Der Gedanke hinter dieser Regel ist relativ klar. Es sollen möglichst nur Trades eingegangen werden, die einen für das in Kauf genommene Risiko entsprechend entschädigen. So logisch diese Anforderung auch klingt, so problematisch ist sie leider auch, denn es gibt einige Dinge die im Rahmen der CRV-Betrachtung ignoriert werden.
Träumen darf ein jeder!
Der erste kritische Punkt im Rahmen der CRV-Analyse besteht darin, dass der Trader bei der Wahl seiner Kursziele freie Hand hat. Im Grunde kann der Trader seinen Träumen und Hoffnungen bei der Wahl der Chance freien Lauf lassen. Dies wird sogar von den realen Bewegungen, die man an den Märkten sieht, unterstützt und gefördert. Wenn sie nämlich genau hinschauen, schafft es eigentlich nicht ein einziger Trade auf ein vernünftiges CRV, denn meist liegen die nächsten Widerstände/Unterstützungen oder allgemein formuliert Entscheidungsmarken relativ dicht am aktuellen Kursgeschehen. Setzt ein Trader dieses minimale Kursziel an, weil an solchen Bereichen immer auch ein Richtungswechsel stattfinden kann, sind die Potenziale meist begrenzt, was wiederum das CRV in den Keller drückt. Ergo wird der Trader schon von der Natur der Kursbewegungen aus dazu „gezwungen“, in etwas größeren Dimensionen zu denken. Schauen sich dazu einmal den folgenden Chart an, der die Problematik recht anschaulich darstellt.
In der Deutschen Telekom bildete sich in diesem Jahr eine ansteigende Dreiecksformation aus. Dieses Kursmuster ließ einen Ausbruch nach oben erwarten, wobei die Nackenlinie/Triggermarke bei 16,63 EUR zu finden war. Ein Ausbruch darüber hätte gehandelt werden können, womit sich die Frage nach der Absicherung stellt. Geht man logisch vor, ist das Kaufsignal, sofern es ausgelöst wurde, so lange intakt, solange die Dreiecksformation nicht wieder komplett in Gegenrichtung durchwandert wird. In diesem Fall hätte der Stopp also unterhalb von 16, eventuell sogar unterhalb von 15,62 EUR platziert werden müssen. Ausgehend vom Einstiegspreis bei ca. 16,63 EUR ergibt sich damit ein Risiko von 0,63 EUR bzw. 1,01 EUR.
Auf der anderen Seite wird schnell sichtbar, dass der nächste Widerstandsbereich bereits um 17,62 EUR wartet. Zudem liegt dort auch ein rechnerisches Kursziel aus der Formation selbst, in dem die Formationshöhe an das Ausbruchsniveau angelegt wird. Mit Blick auf den Einstiegspreis bei 16,63 EUR und dem Ziel von 17,62 EUR kommt der Trader gerade mal auf ein CRV von 1, sofern der große Stopploss angesetzt wird bzw. 1,57 beim Stopploss von 0,63 EUR je Aktie. Beide Größen sind weit von den geforderten Mindestmaßen entfernt.
Worauf ist wirklich zu achten?
So sehr das CRV auch immer wieder medientechnisch in den Vordergrund gerückt wird, für die Bewertung eines Trades ist es in meinen Augen relativ unbrauchbar. Nimmt man es genau, wird es kaum interessante Trades geben oder aber der Trader wird gezwungen, Potenziale zu überschätzen bzw. Entscheidungsmarken bewusst zu ignorieren. Dies führt automatisch dazu, dass das CRV seinen Sinn und Zweck im Trading verliert. Zudem nützt das beste CRV nichts, wenn man mit seinen Ideen zu oft daneben liegt.
Wesentlich aussagekräftiger als das Chance-Risiko-Verhältnis ist der Erwartungswert. In diesem Fall wird nämlich nicht nur auf das Verhältnis von Risiko und Potenzial geachtet, sondern dieses mit der Eintrittswahrscheinlichkeit verknüpft. Der Erwartungswert errechnet sich dabei wie folgt:
EW = TQ * Potential – (1-TQ) * Risiko
EW = Erwartungswert
TQ = Trefferquote / Eintrittswahrscheinlichkeit
Potential = anvisierter Gewinn je Aktie ( absolute Differenz aus Einstiegspreis und Ziel)
Risiko = anvisierter Verlust je Aktie (absolute Differenz aus Einstiegspreis und Stoploss)
Bezogen auf unserem unser Beispiel in der Deutschen-Telekom-Aktie können wir folgende Werte für den Erwartungswert festhalten. Dabei greifen wir hinsichtlich der Trefferquote auf eine Statistik aus dem Buch „Enzyklopädie der Chartmuster“ von Bulkowski zurück:
EW (aggressives SL) = 0,68 * 0,99 EUR – 0,32 * 0,63 EUR = 0,4716 EUR
EW (defensives SL) = 0,68 * 0,99 EUR – 0,32 * 1,01 EUR = 0,35 EUR
Interpretationen
Wichtig bei der Betrachtung des Erwartungswertes ist zunächst, dass natürlich nur dann Trades durchzuführen sind, wenn der Erwartungswert positiv ist. Dabei drückt der Erwartungswert den Gewinn je Trade und Aktie aus, den man erwarten kann, wenn man das gleiche Kursmuster in den gleichen Relationen mehrfach handelt. Dabei wird es Trades geben, die am Ziel beendet werden können, während andere am Stopploss geschlossen werden müssen.
In der Summe dieser ergibt sich das eigentliche Tradingergebnis. Unterstellen wir, dass bei jedem Trade die gleiche Positionsgröße von beispielsweise 100 Aktien gehandelt wird und es beispielsweise das absolut identische Muster in den nächsten Jahren zwanzigmal gehandelt werden kann, dann ergibt sich ein zu erwartende Gewinn (vor Kosten) von:
EW (aggressives SL) = 100 Aktien * 20 Trades * 0,4716 EUR = 943,20 EUR
EW (defensives SL) = 100 Aktien * 20 Trades * 0,35 EUR = 700 EUR
Kritische Betrachtung des Erwartungswertes
Bei der Bewertung von Handelsgeschäften stell der Erwartungswert gegenüber dem klassischen CRV eine spürbare Verbesserung dar, da er nicht nur Potenziale und Risiken auf Euro-Basis in Relation zueinander setzt, sondern diese auch mit den Wahrscheinlichkeiten kombiniert. Ein hohes Chance-Risiko-Verhältnis bringt einem Trader und Anleger herzlich wenig, wenn die meisten Trades nach hinten losgehen und so in Summe kein Gewinn übrig bleibt.
Gänzlich unproblematisch ist aber auch der Erwartungswert nicht. Ohne Zweifel können mit ihm Trades unterschiedlichster Art und Weise miteinander verglichen werden. Je höher der Erwartungswert ist, desto besser ist der Trade. Das Geschäft mit dem höheren (höchsten) Erwartungswert ist aus rationaler Sicht immer zu favorisieren. Leider aber fließen auch in den Erwartungswert zwei unsichere Variablen hinein. Zum einen unterliegt der Erwartungswert den gleichen prognostischen Problemen wie das CRV selbst, schließlich ist das CRV ein Bestandteil der Erwartungswert-Formel. Hinzu kommt noch das Problem, dass vom Trader die Wahrscheinlichkeiten zu schätzen sind. Auch bezüglich dieser Größe gibt es keine Sicherheit an den Märkten, sondern nur Orientierungen und Erfahrungswerte des Trader. Selbst wenn eine Strategie über die letzten Jahre hin getestet wurde und damit eine gewisse Aussage zur Trefferquote gemacht werden kann, wird man feststellen, dass diese Trefferquote im Zeitablauf schwankte und dies auch zukünftig tun wird. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass sich die zukünftigen Wahrscheinlichkeiten deutlich von denen in der Vergangenheit unterscheiden werden, womit auch der Erwartungswert quasi „falsche“ Ergebnisse liefert.
Dieser Risiken muss man sich bei der Anwendung des Erwartungswertes bewusst sein. Trotz dieser Stolpersteine ist er meiner Meinung nach immer noch ein besseres Kriterium als das CRV. Beim nächsten Trade fragen Sie sich also bitte nicht mehr nur nach dem CRV, sondern am besten nach dem möglichen Erwartungswert, auch wenn die einzelnen Bestandteile dessen ebenfalls nur geschätzt werden können. In diesem Sinne
Viel Erfolg
Rene Berteit
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