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13:10 Uhr, 20.03.2024

Lindner sieht "Aufruf zum Umsteuern" bei deutschen Staatsfinanzen

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat strukturelle Reformen und eine wirtschaftliche Wende gefordert, um künftig die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu sichern und eine explodierende Staatsverschuldung zu verhindern. "Ohne strukturelle Reformen und ohne Wende in unserer wirtschaftlichen Entwicklung wird uns die Belastung in den nächsten Jahrzehnten zunehmend die Luft zum Atmen nehmen", erklärte Lindner in einem Statement zum von seinem Ministerium veröffentlichten neuen Tragfähigkeitsbericht. "Die Realität dieses Tragfähigkeitsberichts zeigt eine Verschlechterung der langfristigen Perspektive an."

Der Bericht, in dem das Ministerium ein Mal pro Legislaturperiode über die langfristige Entwicklung der öffentlichen Finanzen informiert, sei "ein Arbeitsauftrag, heute schon an morgen zu denken". Er zeige, dass es einen Handlungsbedarf gebe. "Im ungünstigsten Szenario würde im Jahr 2070 die Staatsverschuldung unseres Landes 345 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entsprechen", warnte der Finanzminister. Dies sei allerdings nur ein Szenario, das unter ungünstigen Rahmenbedingungen eintreffen könnte. Der sechste Tragfähigkeitsbericht sei deshalb "ein Aufruf zum Handeln, ein Aufruf zum Umsteuern".

Lindner bekräftigte sein Festhalten an der Schuldenbremse. Nötig seien "klare Fiskalregeln, die die Schuldenaufnahme unseres Landes begrenzen". Der Tragfähigkeitsbericht unterstreiche die Bedeutung der Schuldenbremse - die 345 Prozent Staatsverschuldung im ungünstigsten Szenario setzten voraus, dass die Schuldenbremse nicht mehr beachtet werde. "Wir brauchen strukturelle Reformen im Bereich unserer Sozialversicherungen, damit der demografische Wandel nicht zu einer Überforderung der öffentlichen Finanzen oder der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler führt", forderte Lindner weiter. Nötig sei zudem "eine neue Wachstumsagenda für unser Land", eine "Wirtschaftswende hin zu mehr Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit".

   Reformen in allen relevanten Bereichen nötig 

Die Ergebnisse seien ein Appell an die Politik, Strukturreformen in allen relevanten Politikbereichen anzustoßen. "Die aktuelle Ausgestaltung der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung ist in ihrer jetzigen Form langfristig nicht finanzierbar", sagte Lindner. Bei der Rentenversicherung habe man mit dem Generationenkapital bereits einen ersten Schritt gemacht. "Wir sind gefordert, auch in anderen Bereichen Reformen auf den Weg zu bringen", betonte er aber. "Für den Arbeitsmarkt müssen wir vorhandene Potenziale aktivieren und zusätzlich Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen." Fundament für einen zukunftsfesten Sozialstaat sei eine starke Wirtschaft. Nötig seien unter anderem weniger Bürokratie, ein wettbewerbsfähiges Steuersystem und eine moderne Infrastruktur.

Die Projektionen schreiben laut Lindners Ministerium die demografiebedingten Ausgaben des gesamtstaatlichen Haushalts unter verschiedenen Annahmen fort. Der Bericht zeige, dass der demografische Wandel unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zunehmend beeinträchtige. Die alterungsbedingten öffentlichen Ausgaben könnten bis zum Jahr 2070 unter ungünstigen Bedingungen auf 36,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 27,3 Prozent im Jahr 2022 steigen. Unter günstigen Bedingungen liegen sie laut den Angaben bis zum Jahr 2070 bei 30,8 Prozent des BIP.

Die steigenden Ausgaben würden zu einem Anstieg der gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizite führen. Unter günstigen Annahmen könnte der Schuldenstand nach den Projektionen bis zum Jahr 2070 auf rund 140 Prozent des BIP steigen. Die fiskalische Tragfähigkeit habe sich damit im Vergleich zum vorangegangenen Bericht aus dem Jahr 2020 "trotz günstigerer Bevölkerungsvorausberechnung verschlechtert". Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sei "kein Selbstläufer". Es gelte nun, die notwendigen Reformen anzustoßen, die die Entwicklung der öffentlichen Finanzen positiv beeinflussten. "Wir haben jetzt die Chance, mit den richtigen Stellschrauben die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen langfristig zu sichern", sagte Lindner.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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