Kommentar
13:30 Uhr, 06.05.2014

Lektion im höflichen Zahlungsausfall: Kontrolle exzessiver Verschuldung von Industrienationen

Die Märkte scheinen den Peripherieländern ihre früheren fiskalischen Sünden bereits vergeben zu haben. Aber was ist mit den USA, Großbritannien und vor allem Japan? Diese Länder stehen vor scheinbar unlösbaren Schuldenproblemen. Sie gehören zu den weltweit größten Gläubigern und scheinen ihre Konsumfreude nicht zügeln zu können, aber dennoch sind und bleiben ihre Anleihemärkte Horte der Stabilität. Kann dies tragfähig sein? Können die Schuldenprobleme dieser Länder gelöst werden?

Die Schulden dieser Volkswirtschaften sind tatsächlich zu hoch, werden aber wahrscheinlich eher zu langsamerem Wachstum führen, nicht zu einer Krise. Eine Vielzahl an Untersuchungen haben eine Verbindung zwischen hoher Schuldenlast und Wachstum aufgezeigt. Für Länder mit einer Staatsschuldenquote von über 100 % wird zum Beispiel prognostiziert, dass ihr jährliches Wachstumspotenzial um 0,75 % bis 1,25 % zurückgeht. Die Rückzahlungsfähigkeit ist jedoch selten gefährdet. Dies gilt insbesondere für ausstehende Schulden in Lokalwährung. Die USA, Großbritannien und Japan verfügen über zahlreiche Instrumente, um gegen das Schuldenproblem anzugehen, und sie haben gerade erst damit angefangen, diese Instrumente auch einzusetzen.

Japan ist seit langer Zeit der Inbegriff einer laxen Einstellung zu Schulden. Mit einer Staatsschuldenquote von über 200 % und einer tickenden demografischen Zeitbombe wird es oft als Land angeführt, bei dem sich die nächste Krise anbahnt. Doch in Wirklichkeit zeigt sich darin nur mangelndes Verständnis dafür, wie sich Krisen entwickeln. Tatsächlich erträgt Japan seit mehr als zwei Jahrzehnten seine ganz eigene Form der Schuldenkrise. In einer Krise werden nicht unbedingt Feuerwerkskörper gezündet, und es muss auch keine Panik herrschen. Eine Krise kann auch eine langwierige Phase mit suboptimalem Wachstum und Wertverlust bei Vermögenswerten sein. Dies ist die Lektion einer übermäßigen Schuldenlast.

Höflicher Zahlungsausfall

Die Unfähigkeit zur Rückzahlung der Schulden – oder eine Restrukturierung der Schulden – ist die dramatischste Form einer Schuldenkrise. Dies ist einfach keine realistische Option für die meisten westlichen Länder. Abgesehen von unzulänglicher Geldpolitik gibt es keinerlei Grund, warum diese fatalste aller Möglichkeiten anzustreben wäre. In Japan zum Beispiel werden mehr als 85 % der Staatsanleihen von inländischen Gläubigern gehalten. Die Bank of Japan kann Geld in unbegrenzter Menge drucken und damit japanische Staatsanleihen kaufen. Dadurch wird einem Zahlungsausfall vorgebeugt, aber die Nebenwirkungen könnten eine deutlich höhere Inflation oder eine erheblich schwächere Währung sein.

Übermäßige Schulden müssen letztlich in irgendeiner Art und Weise abgebaut werden. Ein tatsächlicher Zahlungsausfall ist dabei jedoch nur eine von vielen Optionen und dürfte hauptsächlich bei Ländern mit hohen Fremdwährungsschulden eintreten. Andere Möglichkeiten sind unten in Abbildung 1 zusammengefasst. Die Auswirkungen mancher dieser Möglichkeiten sind zwar weniger schlimm als die eines Zahlungsausfalls, ähneln ihnen aber dennoch.

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Da es so viele vernünftige Möglichkeiten zum Schuldenabbau gibt und kein Ausfallrisiko besteht, ist klar, dass scheinbar unlösbare Schuldenlasten meist zu niedrigeren und nicht zu höheren Renditen führen.

Schulden verringern sowohl das Wachstum als auch den Preisdruck. Gleichzeitig können sie, wie das Beispiel Japan zeigt, paradoxerweise die weltweit niedrigsten Anleiherenditen in der weltweit am höchsten verschuldeten Volkswirtschaft hervorbringen. Das ist auch ein Grund dafür, warum die Anleihen von Peripherieländern der Eurozone einen so steilen Höhenflug verzeichnet haben. Nachdem die EZB das Ausfallrisiko ausgeschlossen hat, sind übermäßig hohe reale Zinsen unter dem Gewicht von schwachem Wachstum und niedriger Inflation eingebrochen.

Verschiedene Länder werden verschiedene Möglichkeiten verfolgen. Die meisten werden eine Kombination von Strategien einsetzen. Laut einer gängigen Theorie wird eine äußerst expansive Geldpolitik verfolgt werden, um „die Schulden wegzuinflationieren“. Dies ist jedoch unwahrscheinlich und nur dann möglich, wenn die Politik die Märkte immer wieder überrascht. Wenn die Märkte eine solche List vermuten, dürften die Zinsen sofort einen abnormal hohen Risikoaufschlag widerspiegeln. Die Kreditkosten würden dann auf ein Niveau steigen, das eine deflationäre Abkühlung nach sich ziehen würde. Großbritannien ist angesichts der sehr langen durchschnittlichen Laufzeit der ausstehenden Schulden vielleicht das einzige Land, das diese Möglichkeit in Erwägung ziehen könnte. Aufgrund der exorbitant hohen Kosten rechnen wir jedoch nicht damit, dass dies eintritt.

Lässt sich das Schuldenproblem lösen?

Die letzte Runde ist noch lange nicht eingeläutet. Ja, viele Länder sind überschuldet, aber dank der niedrigen Zinsen ist die Schuldenlast gut unter Kontrolle. Unserer Einschätzung nach werden die Zinsen im nächsten Jahr aus zyklischen Gründen steigen, die strukturellen Faktoren, die für niedrige Zinsen sprechen, bleiben jedoch intakt. Die Fundamentaldaten für die Tragfähigkeit der Schuldenlast verbessern sich bereits deutlich.

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Die Tragfähigkeit des Schuldenstands wird schwierig abzuschätzen bleiben. In den kommenden Jahren werden die Staatsschuldenquoten steigen, selbst im Fall einer Konjunkturerholung. Beim derzeitigen Zinsniveau müssen die USA zum Beispiel nominal um 4,5 % wachsen, nur um den Status quo bewahren zu können. Die Märkte sollten aber nicht in Trübsinn verfallen. Im Vergleich zu vor 18 Monaten ist dies bereits eine atemberaubende Verbesserung. Damals tendierten die Staatsschuldenquoten hin zu einem Niveau über 100 %, jetzt scheinen 70-80 % machbar. Außerdem herrscht mehr Klarheit bezüglich der verfügbaren Möglichkeiten. In den USA sind die Kosten für das Gesundheitswesen die ewigen „Haushaltskiller“. Nach aktuellen Prognosen werden sie jährlich um 5,8 % zulegen. Schon eine Senkung dieses Anstiegs auf 2-3 % würde ausreichen, um die Schuldenquote in den nächsten 15 Jahren auf 40 % des BIP zu drücken. Auch Großbritannien stehen zahlreiche Möglichkeiten offen. Wenn es der Politik gelingt, die Kreditkosten in den nächsten vier bis sechs Jahren um 1,5 % unter der Inflationsrate zu halten – und in letzter Zeit hat sie sich als dazu fähig gezeigt –, dann rückt die Tragfähigkeit des Schuldenstands in Reichweite. Japan muss eine schwierigere Aufgabe meistern, hier sind BIP-Wachstum und strukturelle Reformen nötig.

Es wird sich zeigen, ob diese Möglichkeiten praktikabel sind. Niemand sollte die Entschlossenheit der Politiker anzweifeln, und niemand sollte unterschätzen, wie flexibel sie in ihren Möglichkeiten noch sind. Wenn diese Möglichkeiten fehlschlagen, dann gibt es immer noch die Option, den Einsatz zu verdoppeln. Japan spielt diese Möglichkeit gerade durch.

Staatsanleihen sollten auch niemals mit Unternehmensanleihen verwechselt werden. Länder spielen nach eigenen Regeln. Wenn ein Land eine eigene Zentralbank und eine eigene Währung hat, Steuern erheben kann und die Schulden hauptsächlich von inländischen Gläubigern gehalten werden und/oder auf Lokalwährung lauten, dann kann eine Kreditkrise viel flexibler vermieden werden als allgemein angenommen. Regierungen können ökonomische Regeln jedoch nicht ganz außer Kraft setzen, und die schweren Schuldenlasten werden das Wachstum noch viele Jahre lang bremsen.

Was bedeutet das für die Zinsen? In den massiven Zinsanhebungen des Jahres 2013 zeigte sich unseres Erachtens die Zurückführung der extremen Marktverzerrungen, die die quantitativen Lockerungsmaßnahmen ausgelöst hatten. Die nächste Phase wird unserer Einschätzung nach im zweiten Halbjahr 2014 einsetzen. Dann dürften die Zinsen aufgrund eines konjunkturbedingt besseren Ausblicks steigen. Allerdings werden sie kaum sprunghaft nach oben gehen, und die Gefahr einer Schuldenkrise liegt nach wie vor in weiter Ferne. Es ist wahrscheinlicher, dass die Schuldenlast lustloses Wachstum, niedrige Inflation und eine anhaltend expansive Geldpolitik mit sich bringen wird.

Autor: Jim Cielinski, Leiter Anleihen bei Threadneedle

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