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13:21 Uhr, 08.12.2023

Klingbeil: Schuldenbremse ist "Wohlstandsrisiko" für Deutschland

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones) - Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil hat die Schuldenbremse auf dem SPD-Parteitag als "Wohlstandsrisiko" für Deutschland bezeichnet. Er forderte eine Reform, denn man dürfe nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts die notwendigen Investitionen in die Zukunft nicht ausspielen gegen die notwendige Unterstützung für die Ukraine und Sozialausgaben. Andere Länder investierten aktuell massiv in die Transformation. Deutschland dürfe hier nicht zurückfallen, sagte er in einer kämpferischen Rede in Berlin. Gleichzeitig warf er der Union vor, eine Politik mit Rezepten aus der Vergangenheit zu betreiben. Der AfD attestierte er, Deutschland ins Verderben führen zu wollen.

"Wir kämpfen an der Seite der Unternehmen, der Beschäftigten für eine starke Industrie in Deutschland. Wir wollen, dass hier in die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen. Wir kämpfen um jeden Industriearbeitsplatz, liebe Genossinnen und Genossen. Das ist unsere Aufgabe", sagte Klingbeil in seiner Bewerbungsrede um die Wiederwahl als Parteivorsitzender. "Das wird alles nur funktionieren, wenn wir massiv investieren."

Dabei gehe es um private Investitionen, aber auch um öffentliche Investitionen in Netze, in Infrastruktur, in die Jobs der Zukunft. China, die USA, Südkorea und Indien hätten den Bedarf erkannt und investierten hunderte Milliarden. "Während andere den Turbo anzünden, ziehen wir hier in Deutschland die Handbremse. Unser Land ist ein wirtschaftlicher Riese, aber wir legen uns Fesseln an. Weil wir abbremsen bei Zukunftsinvestitionen, Investitionen in Wohlstand, in Wachstum, in die Jobs der Zukunft", kritisierte Klingbeil. "Die Schuldenbremse ist ein Wohlstandsrisiko geworden. Und deswegen müssen wir sie verändern."

Er wies zudem Kritik von Unternehmen zurück, die forderten, dass sich der Staat mehr aus der Wirtschaft heraushalten sollte. "Der Markt alleine wird es nicht regeln", so Klingbeil. Der Markt rette nicht das Klima, er schaff keinen Frieden, er sichere keine fairen Löhne, er stärke nicht den Zusammenhalt und die Demokratie.

   Haushaltsdebatte braucht mehr Realitätssinn 

Mit Blick auf den aktuellen Koalitionsstreit aufgrund des durch das Haushaltsurteil entstandenen Milliardenlochs im Haushalt forderte Klingbeil mehr Realitätssinn. "Anstatt, dass man mit vielen Worten darüber philosophiert, ob wir eine ganze, eine halbe oder gar keine (Haushalts-)Notlage haben, hilft es doch vielleicht einfach mal die Augen aufzumachen, liebe Genossinnen und Genossen", sagte Klingbeil. Zwei Flugstunden von hier entfernt stehe eine Atommacht an den Grenzen Europas, zwinge die Ukraine in einen völkerrechtswidrigen Krieg. Die Unterstützung für die Ukraine müsse weitergehen. Da dürfe es doch "kein Wackeln" geben.

"Ich will nicht, dass wir in Deutschland in eine Situation kommen, wo wir entscheiden müssen zwischen der Unterstützung der Ukraine, zwischen der Frage, ob wir soziale Absicherung für die Bürgerinnen und Bürger hier im Land gewährleisten und ob wir weiter Klimainvestitionen ermöglichen. Nein, liebe Genossinnen und Genossen. Alles drei muss möglich sein", forderte der Sozialdemokrat.

Bislang hat die Koalition trotz wochenlanger Verhandlungen noch keinen Kompromiss gefunden, wie die Haushaltslücke in einer zweistelligen Milliardenhöhe im kommenden Jahr geschlossen werden kann. Die Grünen und SPD fordern ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse, was durch das Erklären einer Haushaltsnotlage möglich wäre. Die FDP fordert hingegen Kürzungen, besonders im Sozialen.

   Attacke auf Merz und AfD 

In seiner Rede warf Klingbeil der Union vor, mitverantwortlich zu sein für die "neoliberale" Politik der letzten Jahre, die die kaputten Brücken, Schulen, die schlechte Bahninfrastruktur und eine schlecht ausgestattete Bundeswehr zu verantworten habe. Mit China, den USA, Südkorea und Indien investierten die größten Volkswirtschaften dieser Welt massiv in die klimaneutrale und in digitale Modernisierung ihrer Länder. Da gehe es um Arbeitsplätze und Innovationen, Standards und Technologien der Zukunft.

"Es geht um Wohlstand und Sicherheit", so Klingbeil. "Und dann erlebe ich Friedrich Merz, der von der Wirtschaftspolitik der 90er-Jahre schwärmt. Dabei hat die Welt sich doch längst weitergedreht...Friedrich von gestern wird niemals die Zukunft unseres Landes sein. Die Zukunft dieses Landes ist ein Staat der investiert, ein Staat, der Sicherheit gibt, ein Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger schützt."

Mit Blick auf die AfD betonte Klingbeil, dass die SPD die Partei inhaltlich stellen müsse. "Die AfD führt ins Verderben", sagte er. Die AfD stehe für weniger Rechte für Arbeitnehmer, schlechtere Löhne, weniger Mitbestimmung. Sie führe Kulturkämpfe und hetze gegen Menschen mit anderem Glauben. "Die AfD ist eine arbeiterfeindliche Partei. Und: Sie hasst nichts so sehr wie den Rechtsstaat und unsere Demokratie", sagte Klingbeil.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

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