Keine Angst vor der Zinswende
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Trotz Querschlägern gibt es auch hoffnungsvolle Anzeichen für eine Stabilisierung der Weltkonjunktur. Setzt man im II. Quartal 2013 gemäß ifo Institut die Einschätzung der Geschäftslage und der Geschäftserwartungen der Unternehmen des globalen Verarbeitenden Gewerbes zueinander in Bezug, so befindet sich die Weltwirtschaft weiter im Aufschwung. Während sich die Geschäftserwartungen stabil darstellen, hat sich die Beurteilung der Geschäftslage verbessert. Die Konjunkturerholung schreitet insofern in Trippelschritten voran. Die Dynamik der Weltwirtschaft stammt insbesondere aus Asien, wo selbst die japanische Volkswirtschaft im I. Quartal 2013 solide - das Wirtschaftswachstum konnte um 0,9 Prozent zum Vorquartal zulegen - ins Jahr startete.
Der neuralgische Punkt der Weltkonjunktur bleibt die Eurozone. Das Wachstum ist dort im abgelaufenen I. Quartal 2013 erneut um minus 0,2 Prozent zum Vorquartal geschrumpft. Als besonders prekär stellt sich die Konjunktur in der zweitgrößten Volkswirtschaft Frankreich dar. Sie befindet sich nun das dritte Mal in vier Jahren in der Rezession. Damit entfernt sich das Land zunehmend aus der Bel Étage der starken Euro-Länder. Ein weiteres Abdriften in Richtung Euro-Peripherie - in Italien und Spanien ist die Wirtschaft zuletzt um minus 0,5 Prozent zum Vorquartal geschrumpft - scheint nicht zuletzt aufgrund der französischen Reformrenitenz unausweichlich. Noch hält die starke politische Achse Berlin-Paris unseren westlichen Nachbarn davon ab, auch an den Staatsanleihemärkten in die zweite Reihe abzurutschen.
Doch auch wenn die Konjunkturstimmung zunächst verhalten bleibt, scheint Euroland insgesamt immerhin den Tiefpunkt erreicht zu haben. Der Geldpolitik der EZB und dem Ende der Austeritätspolitik sei Dank. Für Deutschland schätzen die vom ZEW befragten Analysten - die im Vergleich zu den vom ifo Institut befragten Unternehmen typischerweise kritischer sind - die aktuelle Konjunkturlage als auch die -erwartungen zum Vormonat immerhin unverändert ein. Eine Stabilisierungstendenz ist damit bereits erkennbar. Das bestätigen auch die deutschen Wachstumszahlen für das abgelaufene I. Quartal 2013. So konnte die deutsche Wirtschaft die Wachstumsdelle im IV. Quartal 2012 - minus 0,7 Prozent zum Vorquartal - mit plus 0,1 Prozent im I. Quarta 2013l, wenn auch nur schwach, hinter sich lassen.
Happy Hour der Geldpolitik hält an
Angesichts der insgesamt fragilen Konjunkturerholung werden die internationalen Notenbanken ihre geldpolitische Rückendeckung für die Weltwirtschaft aufrechterhalten müssen. Neben einer EZB, die eine erneute Zinssenkung nicht ausschließt und laut über negative Einlagenzinsen und den Aufkauf verbriefter Unternehmenskredite nachdenkt, wird auch die US-Notenbank ihren geldpolitischen Doppelschlag aus niedrigen Notenbankzinsen und einer massiven Liquiditätsoffensive zur Konjunkturstabilisierung unbeirrt fortsetzen.
Damit geht auch dem US-Aktienmarkt noch für lange Zeit nicht der Treibstoff aus. Allein die Erwartungshaltung der Finanzinvestoren auf eine Aufrechterhaltung der ultralockeren US-Geldpolitik begünstigt die im Trend rückläufige Risikoaversion bei Aktien. Verdeutlicht wird dies nicht zuletzt vom hohen Investoreninteresse an kreditfinanzierten Aktienengagements und einer sinkenden Aktienmarktvolatilität.
Grafik der Woche: Wertpapierkredite an der New York Stock Exchange (NYSE), in Mrd. US-Dollar und US-Aktienmarktvolatilität (VIX)
Frühwarnsystem für den US-Aktienmarkt
Eine Entschleunigung der Geldpolitik in Form auch nur der geringsten Ankündigung einer Zinswende seitens der Fed würde sich frühzeitig in diesen beiden Effekten, also sinkenden Wertpapierkrediten und steigender Aktienmarktvolatilität zeigen. Diese Effekte ließen sich bereits zum Ende der zwei ersten Aufkaufprogramme der US-Notenbank - das sogenannte Quantitative Easing - deutlich beobachten. Diese Kennzahlen würden insofern als Frühwarnsystem für den US-Aktienmarkt fungieren. Vorerst ist mit derartigen Entwicklungen jedoch nicht zu rechnen.
Japanische Geldpolitik als Stützpfeiler für euroländische Aktien
Als Stützpfeiler für die Aktienmärkte fungiert ebenso die beispiellose Liquiditätsoffensive der Bank of Japan, die mit ihren zinsdrückenden Anleiheaufkäufen im Volumen von monatlich umgerechnet rund 70 Mrd. US-Dollar der US-Notenbank in nichts nachsteht. Diese den Außenwert des Yens abschwächende Geldpolitik hat zu einer Renaissance der Yen-Euro-Carry Trades - also die zinsgünstige Geldaufnahme in Yen und Geldanlage in Euro - geführt, deren Niederschlag u.a. an den Staatsanleihe- und Aktienmärkten der Euro-Südzone zu beobachten ist.
Und da die Abschwächung der Sparpolitik weit oben auf der To Do-Liste der Euro-Politik steht, um für dringend nötige Wachstumsimpulse zu sorgen, gibt es zusätzliche Gründe, mit japanischem Geld in euroländische Aktien zu investieren. So profitiert der italienische Aktienmarkt eindeutig von den Kapitalströmen aus Fernost.
Aktien fundamental gut unterfüttert
Die Liquiditätsoffensive der internationalen Notenbanken führt zu deutlichen Kurssteigerungen bei Aktien. Dennoch kann von einer Blase an den Aktienmärkten nicht gesprochen werden.
So sind US-Aktien trotz der neuen Allzeitshochs laut Ertragsbewertung - gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des MSCI United States Index - im historischen Vergleich nach wie vor nicht überbewertet. Konkret beläuft sich das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf 14,1. Beim letzten Allzeithoch im Jahr 2007 lag das KGV bei 15,4. Entspannung ergibt sich auch auf Basis der Substanzbewertung: US-Aktien sind von dem Bewertungsniveau von vor der Lehman-Pleite weit entfernt.
Gegen eine Blasenbildung am deutschen Aktienmarkt spricht die Gewinnrendite. Diese befindet sich nach Abzug der Inflation mit gut sieben Prozent weit über der seit Ende 2011 real negativen Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen.
Berichtsaison als fundamentale Stütze
Fundamentale Unterstützung für Aktien kommt nicht zuletzt von der Berichtsaison für das I. Quartal 2013. Insgesamt konnten 63 Prozent der Unternehmen aus dem DAX die Gewinnerwartungen der vom Informationsdienst Bloomberg befragten Analysten übertreffen.
Die Deutsche Post konnte dank eines positiven Paketversands sowie starken internationalen Expressgeschäfts ihr operatives Ergebnis um 2,9 Prozent zum Vorjahr steigern. K+S erzielte durch das witterungsbedingt starke Geschäft mit Auftausalzen einen um 12,5 Prozent höheren operativen Gewinn als im Vorjahr. Der positive Jahresausblick wurde von beiden Unternehmen bestätigt. Merck konnte u.a. aufgrund eines soliden Flüssigkristallgeschäfts einen Gewinnzuwachs von 53 Prozent zum Vorjahr erzielen. Nach dem positiven Start in das Jahr 2013 überzeugt auch der Ausblick.
RWE konnte Einbußen bei der konventionellen Stromerzeugung durch das laufende Sparprogramm und verbesserte Konditionen beim Gaseinkauf weitgehend ausgleichen, den Nettogewinn leicht zum Vorjahr steigern und den Ausblick bestätigen. ThyssenKrupp bekommt allerdings den konjunkturellen Gegenwind aus Europa sowie diverse negative Sondereffekte deutlich zu spüren. Der Ausblick fällt negativ aus.
Und was passiert in der nächsten Woche?
In den USA bleibt abzuwarten, ob der Einkaufsmanagerindex der Chicago Fed Hinweise auf eine Stabilisierung der US-Konjunktur gibt. Die Auftragseingänge für langlebige Güter dürften sich vom Einbruch im März erholt haben, aber an Schwung vermissen lassen. Vor diesem Hintergrund dürfte das Protokoll der letzten Zinssitzung der US-Notenbank verdeutlichen, dass ein Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik keine Option ist.
Angesichts zuletzt kaum noch negativer Meldungen bezüglich der politischen Euro-Krise richtet sich der Anlegerfokus in Euroland auf den konjunkturellen Stimmungstest. Es ist zu erwarten, dass die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe in Euroland wieder leicht angestiegen sind. Der deutsche Einkaufsmanagerindex und insbesondere die bedeutenden ifo Geschäftsklimadaten dürften ebenfalls zumindest auf eine Stabilisierung der deutschen Wirtschaft hinweisen. Dies spräche dafür, dass sich die euroländische Konjunktur insgesamt weiter - wenn auch nur langsam - aus der Rezession herausarbeitet.
Aus charttechnischer Sicht erhält der DAX eine erste Unterstützung an den Marken bei 8200, 8151 sowie 8074 Punkten. Darunter bieten die Linien bei 7953 und 7872 Punkten weiteren Halt. Als maximales Korrekturniveau bietet sich die Marke bei 7750 Punkten an.
Auch wenn die allgemein positive Aktienstimmung als Kontraindikator für zwischenzeitliche Konsolidierungen dient, dürften die Aktienmärkte weiter Höhenluft schnuppern.
Zinswende oder die Vertreibung aus dem Paradies
Die Notenbanken sind zu den Mundschenken in unserem Finanzsystem geworden. Die USA haben ja schon immer, bei jeder Krise, am süßen Wein der Geldpolitik genippt. Wer Sorgen hat, hat eben auch Likör.
Und in Euroland? Ob Spanien Reformen oder Reförmchen macht, ob Italien von einer knallbunten Regierung von Gnaden Berlusconis heimgesucht wird oder ob Frankreich erfolglos versucht, Marktwirtschaft mit Sozialismus zu kreuzen, egal, auch bei uns sorgt die EZB für bedingungslose Erquickung.
Mittlerweile hat man sich an die Instabilitätsorgien, nennen wir es die finanzpolitische Zechprellerei mit Bezahlung des Deckels durch die Notenbanken, gewöhnt. Wie würden wir deutschen Stabilitätsanhänger wohl reagieren, wenn wir ähnlich wie Dornröschen im Mai 2008 in den Schlaf gefallen wären, heute nach fünf Jahren wachgeküsst würden und unsere Finanzwelt mit dem Wissen von damals betrachten würden. Vermutlich wären alle Sauerstoffzelte überbelegt.
Wann ist genug genug?
Wie auch immer, wie weit will man, kann man oder muss man die weltweite Happy Hour der Notenbanken noch treiben? Die Beantwortung ist äußerst schwierig, weil es für dieses Experiment mit dem Namen „Die Geldpolitik rettet die Welt“ keine historische Blaupause gibt. Fed, EZB & Co. befinden sich in einem großen Dilemma: Wie lange müssen sie düngen, um blühende Landschaften zu erzeugen? Und wann sollten sie zur Heckenschere greifen, um Wildwuchs zu bekämpfen, ohne jedoch einen Rückfall in die Rezessionswüste zu riskieren?
Aktuell sehen einen sich selbst tragenden US-Aufschwung nur unerschütterliche Optimisten. Und die Wirtschaft der Eurozone hinkt nicht nur, sie fährt bereits seit sechs Quartalen im Rollstuhl. Geldpolitisch muss weiter gedüngt werden, es muss geklotzt, nicht nur gekleckert werden. Ohnehin frage ich mich, wie manches Euro-Land, Japan, England oder die USA jemals wieder normale Zinsen auf ihre biblischen Überschuldungen stemmen wollen, ohne öffentliche Parkanlagen zu Streuobstwiesen verkommen zu lassen, die Straßenbeleuchtung nur noch an Nationalfeiertagen einzuschalten oder das Militär zur Landesverteidigung mit Mistgabeln auszustatten?
Zu Risiken und Nebenwirkungen der Geldpolitik fragen Sie ihren Gärtner
Im Gegensatz zur Konjunktur reagieren die Aktienmärkte auf den grünen Daumen der Notenbanken wie im Garten Eden. Hier wachsen prächtige Mammutbäume heran. Tatsächlich lässt sich nachweisen, dass der Anstieg US-amerikanischer Aktienindices zu 85 Prozent mit dem Wachstum der Bilanz der US-Notenbank - Konsequenz ihrer Liquiditätsoffensive - zusammenhängt.
Spätestens hier sind wir beim finanzwirtschaftlichen Fluch der guten geldpolitischen Tat. Die konjunkturell an sich gebotene Perma-Düngung führt wie im Gemüse- und Blumenbeet zu unerwünschten Nebeneffekten. Denn diese Wohltat kommt auch dem Unkraut zugute. Unkraut auf den Finanzmärkten, das nennt man Blasen. Diese sind im Moment auf den Aktienmärkten zwar noch nicht zu beobachten. Da die fleißigen Gärtner der EZB aber offensichtlich nicht gewerkschaftlich organisiert sind und unbezahlte Überstunden machen, werden früher oder später auch die Aktienmärkte versuchen, wie Kletterpflanzen in den Himmel zu wachsen.
Wie geht man mit Blasen um?
Die Finanzgeschichte zeigt deutlich, dass platzende Blasen auch die Realwirtschaft schonungslos in Mithaftung nehmen. So war es schon beim Einbruch des Neuen Markts 2000 und erst recht beim Bersten der Immobilienblase 2008. Insofern müsste die Geldpolitik jetzt den Anfängen von Blasen wehren. Eigentlich sollte man die Finanzmärkte nun ganz vorsichtig auf ein irgendwann stattfindendes, sehr behutsames Ende der Gartenkultivierung einstimmen.
Wenn es denn so einfach wäre. Die Börsen haben sich längst an den Kunstdünger gewöhnt. Auf den Entzug würden sie wie Drogenabhängige überreagieren. Denn auch nur das geringste Anzeichen einer Zinswende würde als Beginn einer lang andauernden Trockenperiode eingeschätzt. Finanzmärkte sind eben nicht nur durch die konkrete geldpolitische Aktion gesteuert, nein, deren Erwartungshaltung ist entscheidend.
Die Angst vor der sich wiederholenden Geschichte
Und dann erleben wir das, was wir schon nach der Pleite der Lehman-Bank erleiden mussten, allerdings aufgrund des heute professionellen Hochfrequenzhandels und der algorithmischen Handelsprogramme mit vermutlich deutlich mehr Schmackes. Alle wollen gleichzeitig durch die gleiche Tür, jede Form von Risikokapital verkaufen und sich in Sicherheit begeben. Die Kurse von völlig übertrieben bewerteten Unternehmensanleihen brächen ein, Firmenfinanzierungen würden so dramatisch erschwert, auch weil Banken Risikoengagements meiden werden. Ohnehin haben sie dann schon genug Abschreibungen zu stemmen. Sinkende Aktienpreise würden die Konsumstimmung auf Moll setzten und insgesamt sprächen wir sogar von Deflation. Das arme Konjunkturpflänzchen, das doch jede Hilfe braucht, käme unter den Turbo-Rasenmäher.
Ein Konjunktureinbruch mindestens wie 2009 - das annus horribilis der Weltwirtschaft - wäre die Folge. Und dann? Womit rettet die Geldpolitik dann noch unser Wirtschaftssystem, wo doch die Zinsen bereits bei Null angekommen sind? Würde man sich dann nicht wünschen, niemals das Wort Zinswende in den Mund genommen zu haben?
Meine Damen und Herren, ich wage einmal die Prognose, dass die Damen und Herren Notenbanker aus Angst vor dem Platzen der Blase die Blase weiter aufblähen werden. Sie werden sich stets daran erinnern, dass es ihre Zinserhöhungen waren, die die früheren Blasen angestochen haben. Und wer will heutzutage schon an der endgültigen Vertreibung aus dem Garten Eden Schuld sein?
Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick
Kapitalmarkt auf einen Blick
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.