Analyse
12:54 Uhr, 19.07.2006

K: Mehr Realitätssinn, bitte! - Der Bundeshaushaltsplan 2007

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Externe Quelle: Deutsche Bank Research

Mehr Realitätssinn, bitte! - Der Bundeshaushaltsplan 2007

Mit der Kabinettvorlage des Bundeshaushaltsplans 2007 von Anfang Juli hat Bundesfinanzminister Steinbrück erstmals seit 2001 einen Haushaltsplan vorgelegt, der sowohl die Regelgrenze des Art. 115 GG als auch das Maastricht-Defizitkriterium einhalten soll. Das ist sehr zu begrüßen. Die Nettokreditaufnahme (NKA) soll – insbesondere aufgrund der Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie der Kürzung bzw. vollkommenen Streichung von einzelnen steuerlichen Ausnahmetatbeständen – auf EUR 22 Mrd. zurückgeführt werden. Die Investitionen sollen bei EUR 23,5 Mrd. stabilisiert werden. Das Maastricht-Kriterium würde mit einem Haushaltsdefizit von 2,5% des BIP erfüllt. Mit einer um jährlich EUR 500 Mio. zurückgeführten NKA beabsichtigt der Bundesfinanzminister beide Kriterien auch in den folgenden drei Jahren bis 2010 einzuhalten.

Das Anfang des dritten Jahrtausends gegebene Versprechen vom damaligen Finanzminister Eichel, 2006 erstmals wieder einen Bundeshaushalt ohne Nettoneuverschuldung vorzulegen, ist längst dem Blick für nüchterne Realitäten gewichen – könnte man meinen. Ein Blick in den Haushaltsplan 2007 lässt allerdings allein für den Bereich Arbeit und Soziales erhebliche Risiken erkennen. Vor dem Hintergrund der Ausgabenexplosion bei Hartz IV seit Anfang 2005 ist der im Haushaltsplan zum Ausdruck kommende Optimismus bemerkenswert:

1. Die Kosten für das Arbeitslosengeld II (ALG II) werden nach einem Soll von EUR 24,4 Mrd. in 2006 für 2007 mit EUR 21,4 Mrd. angesetzt. Dies erscheint deutlich zu optimistisch. Für 2005 lagen zwischen Soll und Ist EUR 10,4 Mrd. oder 71% – statt der geplanten EUR 14,6 Mrd. wurden tatsächlich EUR 25 Mrd. ausgegeben. Auch der Ansatz für 2006 droht erneut überschritten zu werden, denn mit ALG II-Ausgaben in Höhe von EUR 11,53 Mrd. zwischen Januar und Mai 2006 liegen die Ist-Ausgaben nicht nur 13,3% über denen des Vorjahres, sondern auch bei einem sehr stabilen Monatszuwachs von EUR 2,3 Mrd. Auch wenn sich eine lineare Fortschreibung verbietet, erscheint eine Überschreitung des Ansatzes 2006 sehr wahrscheinlich. Die vorsorgliche Haushaltssperre für EUR 1,1 Mrd. oder 17% aus dem Eingliederungstitel zur Deckung der Mehrausgaben beim ALG II dürfte nach derzeitiger Lage nicht ausreichen, um das Defizit aufzufangen.

Die Ausgabenentwicklung ist nicht verwunderlich, denn der Rückgang der Arbeitslosenzahlen um nahezu 400.000 binnen Jahresfrist verschleiert die Entwicklung bei den Langzeitarbeitslosen und erst recht bei den Hartz IV-Leistungsempfängern. Im Juni 2006 waren 1.200 mehr Menschen langzeitarbeitslos als im Juni 2005. Bei den ALG II-Leistungsempfängern sah es mit einem Anstieg um rd. 500.000 noch verheerender aus. Mut macht hier noch nicht einmal die Entwicklung in den vergangenen beiden Monaten, in denen zwar die Kurzzeitarbeitslosigkeit deutlich abgebaut, bei den ALG II-Beziehern der Trend steigender Zahlen aber nicht gestoppt werden konnte. Es scheint mehr als fraglich, ob die dringend erforderliche Trendumkehr mit Blick auf 2007 unter dem derzeitigen Hartz IV-Regime erreicht werden kann. Die insbesondere mit dem SGB II-Fortentwicklungsgesetz beschlossenen Maßnahmen dürften dazu nicht ausreichen.

Dass das BMF dem Ansatz von EUR 21,4 Mrd. für 2007 selbst nicht traut, zeigt der Deckungsvermerk von den Eingliederungsleistungen in Höhe von EUR 6,5 Mrd. zum ALG II. Mit dieser schon im Voraus in Aussicht genommenen Einsparung aktiver Leistungen zur Integration Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt zu Gunsten von Mehrausgaben bei den passiven Geldleistungen wird der Grundgedanke von Hartz IV ad absurdum geführt, auch wenn das Kabinett in letzter Minute die Deckungssumme auf EUR 1 Mrd. begrenzt hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Pro-Kopf-Eingliederungsmittel wegen der um rd. 50% gegenüber den ursprünglichen Schätzungen gestiegenen Empfängerzahlen faktisch ohnehin schon drastisch reduziert worden sind. Das "Fördern" muss offensichtlich bei einem auf Kante genähten Haushalt warten.

2. Bei den Ausgaben des Bundes für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) ist der geplante Haushaltsansatz noch erstaunlicher. Gegenüber dem Soll 2006 sieht der Ansatz 2007 eine Kürzung um EUR 1,6 Mrd. oder rd. 45% vor. Bei den KdU liegen die Ist-Ausgaben zwischen Januar und Mai 2006 sogar um 23,3% über den Ausgaben des Vorjahres. Auch bei diesem Posten dürfte es in 2006 – ähnlich wie in 2005 – zu Mehrausgaben in dreistelliger Millionenhöhe gegenüber dem Soll von EUR 3,6 Mrd. kommen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die KdU im Rahmen von Hartz IV grundsätzlich von den Kommunen zu tragen sind. Wegen der Zusage des Bundes an die Kommunen, durch Hartz IV netto in Höhe von EUR 2,5 Mrd. entlastet zu werden, beteiligt sich der Bund aber in den Jahren 2005 und 2006 zu rd. 29% an diesen Kosten. Die Hauptleidtragenden der für 2006 zu erwartenden Mehrausgaben bei den KdU in Höhe von bis zu EUR 2 Mrd. werden demnach die Kommunen sein.

Mit der geplanten Kürzung des Bundesanteils an den KdU um mindestens EUR 1,6 Mrd. geht die Bundesregierung auf Konfliktkurs mit den Ländern und Kommunen und gibt einen Vorgeschmack auf die anstehenden, ohnehin sehr schwierigen Verhandlungen zu einem gänzlich neuen KdU-Finanzierungssystem für 2007. Die Tatsache, dass sich die kommunalen Steuereinnahmen deutlich dynamischer entwickeln als bei Bund und Ländern, verleitet das BMF offensichtlich dazu, den Kommunen an anderer Stelle zu Gunsten des Bundeshaushalts Mittel entziehen zu wollen.

3. Schließlich enthält der Haushaltsplan 2007 gegenüber 2006 auch eine Erhöhung des Ansatzes für den sog. Aussteuerungsbetrag um EUR 1,1 Mrd. auf EUR 5,1 Mrd. Was Steinbrück noch vor gut einem Monat nicht durchsetzen konnte, um die aus dem Ruder laufenden ALG II-Kosten zumindest teilweise aufzufangen, versucht er jetzt auf andere Weise.

Gemäß §46 Abs. 4 SGB II ist die BA verpflichtet, für alle Personen, die innerhalb von drei Monaten nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld einen Anspruch auf ALG II erwerben, einen Aussteuerungsbetrag an den Bund zu zahlen. Im Haushaltsansatz für 2007 ist vorgesehen, diese „Strafzahlung“ auch auf die sog. Aufstocker auszuweiten, also Personen, deren Arbeitslosengeld-Anspruch zu niedrig ist, um den Bedarf in Höhe des ALG II zu decken. Die Aufstocker erhalten dann ergänzendes ALG II. Die Absicht Steinbrücks ist durchaus gesetzeskonform, so weit der Aussteuerungsbetrag für die Aufstocker erst nach endgültigem Übergang dieses Personenkreises in die Transferleistung ALG II anfällt – wenn sie also nicht mehr Aufstocker sind. Die Zahlung allerdings bereits zum Zeitpunkt des nur ergänzenden ALG II-Bezugs zu verlangen, wäre systemwidrig. Derzeit stocken 160.000-180.000 Personen ihr Arbeitslosengeld durch ALG II auf.

Ungeachtet der Tatsache, dass man durchaus kontrovers über den Aussteuerungsbetrag als solchen diskutieren mag, liegt das Problem des Haushaltsansatzes nicht im Einbezug der Aufstocker, sondern in der geplanten Höhe des Postens. Bereits 2005 wurden von der BA nicht die erwarteten EUR 6,72 Mrd. an den Bundeshaushalt abgeführt, sondern lediglich EUR 4,56 Mrd. Der für 2006 auf EUR 4 Mrd. reduzierte Haushaltsansatz dürfte erneut deutlich unterschritten werden. Im 1. Quartal überwies die BA lediglich EUR 780 Mio. an den Bund, EUR 440 Mio. weniger als erwartet. Allein die drei genannten Haushaltsposten zeigen die beträchtlichen Risiken auf, die der vom Bundesfinanzminister unterbreiteten Vorlage innewohnen. Sie summieren sich auf mindestens EUR 5 Mrd. Der Weg zu weiteren Steuererhöhungen in dieser Legislaturperiode ist versperrt. Einen Ausweg bietet daher nur eine entschlossene Generalrevision des Hartz IV-Gesetzes, damit sich die grundsätzlich sinnvolle Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht als Fass ohne Boden erweist. Die jetzt anstehenden Haushaltsberatungen bieten dafür die beste Gelegenheit.

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Über den Experten

Alexander Paulus
Alexander Paulus
Technischer Analyst und Trader

Alexander Paulus kam zunächst über Börsenspiele in der Schule mit der Börse in Kontakt. 1997 kaufte er sich seine erste Aktie. Nach einigen Glückstreffern schmolz aber in der Asienkrise 1998 der Depotbestand auf Null. Da ihm das nicht noch einmal passieren sollte, beschäftigte er sich mit der klassischen Charttechnik und veröffentlichte seine Analysen in verschiedenen Foren. Über eine Zwischenstation kam er im April 2004 zur stock3 AG (damals BörseGo AG) und veröffentlicht seitdem seine Analysen auf stock3.com (ehemals GodmodeTrader.de)

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