Analyse
12:56 Uhr, 09.05.2006

K: Der Aufschwung geht (nicht) am Arbeitsmarkt vorbei

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Externe Quelle: Deutsche Bank Research

Autor: Norbert Walter

Der Aufschwung geht (nicht) am Arbeitsmarkt vorbei

Seit der Korrektur auf all die Übertreibungen der Neuen Ökonomie um die Jahrhundertwende gab es vielerorts – auch in den USA – Unkenrufe, die konjunkturelle Besserung würde am Arbeitsmarkt vorbei gehen. Das Schlagwort vom "jobless recovery" machte erneut – wie in den frühen 90er Jahren – die Runde. Ebenso wie damals wissen wir inzwischen, dass diese Skepsis für die USA unbegründet war. Seit Mitte 2003 hat die US-Wirtschaft über 5 Millionen zusätzliche Jobs bereitgestellt und damit mehr neue Jobs geschaffen als Deutschland offiziell Arbeitslose zählt. Nun, woran liegt es, dass der Arbeitsmarkt am Beginn der konjunkturellen Erholung noch keine Besserungstendenzen aufweist? Zuerst einmal daran, dass zu Beginn des Aufschwungs Beschäftigungsreserven genutzt werden – zunächst sinkt die Unterbeschäftigung im Betrieb (Kurzarbeit fällt weg, Überstunden nehmen zu). Aber am Anfang gibt es auch Produktivitätsreserven, die man (leicht) heben kann. Bleibt die Konjunktur aufwärtsgerichtet und nimmt zudem das Vertrauen in einen anhaltenden Trend zu, so steigt entsprechend die Bereitschaft, zusätzliche Mitarbeiter einzustellen. Dass es länger dauert, bis die wirtschaftliche Besserung den Arbeitsmarkt erreicht, hat aber auch mit einer statistischen Besonderheit zu tun. Neue Jobs entstehen weltweit immer öfter in kleinen und kleinsten Betrieben und zwar in Dienstleistungsbereichen, die es zuvor noch, oder noch nicht so gab. Diese "sonstigen Dienstleistungen" entziehen sich – zumindest anfangs – der statistischen Erfassung. Und so kommt es, dass die konjunkturelle Besserung ihre Spuren in der Beschäftigungsstatistik typischerweise erst mit Verzögerung hinterlässt.

Wenn das so ist: Brauchen wir uns also wegen der bislang ausbleibenden Beschäftigungsbesserung in Deutschland nicht sorgen, auch wenn die jüngste Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit auch für den März noch keine Zunahme der Arbeitsmöglichkeiten gezeigt hat? Aber allzu große Sorglosigkeit verbietet sich, haben wir doch in dem Zeitraum (seit Mitte 2003), in dem die USA über 5 Millionen neue Arbeitsplätze bereitstellten, aus unserem Arbeitsmarkt fast eine Million sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer herausgedrängt. Und wir haben der jüngst veröffentlichten Frühjahrsprojektion der Bundesregierung entnommen, dass zwar die Wachstumsprognose für 2006 angehoben wurde, die Prognose für die Reduzierung der Arbeitslosigkeit allerdings nahezu halbiert wurde. Gibt es also doch gravierende Probleme am deutschen Arbeitsmarkt und nicht nur die übliche Wirkungsverzögerung?

Unbestritten ist: Die Konjunkturindikatoren in Deutschland sind atemberaubend gut. Insbesondere der ifo-Index erinnert an wirklich gute Zeiten. Aber auch die Auftragseingänge sehen nicht mehr nach zufälliger, oder ausschließlich exportgetriebener Besserung aus. Und die Produktivitätsreserven in den Betrieben sind vielfach wirklich „ausgelutscht“. Zudem sind in einigen Regionen Arbeitskräfte bereits heute - und wegen der demografischen Entwicklung - allemal perspektivisch knapp. Das ändert das Einstellungsverhalten von Betrieben, und zwar bald und nicht nur selektiv. Für junge, gut ausgebildete Mitarbeiter sollte deshalb die Leidenszeit ohne berufliche Perspektive bald zu Ende sein. Aber wird die Arbeitsmarktperspektive allgemein besser werden? Werden auch benachteiligte Gruppen von der Besserung erreicht? Wird die günstige Entwicklung genügend lange anhalten, um auch den Trend am Arbeitsmarkt zu drehen? Und werden wir lohn- und wirtschaftspolitische Fehler vermeiden, um diese Besserung nicht zu gefährden? All diese Fragen sind berechtigt. Da wurde gerade ein Lohnabschluß in der Metallindustrie unterschrieben, der bereits wieder ein Stück Zukunft verfrühstückt. Besser wäre es gewesen die Einmalzahlung der jetzt günstigen Situation gemäß (differenziert nach Tarifgruppen und Geschäftslage der Unternehmen) stärker anzuheben, nicht aber das ohnehin hohe Tariflohnniveau um weitere 3 Prozent anzuheben. So bleiben Standortverlagerungen auf der Agenda, etwa für Autobauer und Zulieferer.

Natürlich kommt es in einem Land mit hoher Steuer- und vor allem Abgabenbelastung darauf an, diese Last zu senken, um den seit Jahren abwärts gerichteten Trend bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu stoppen und schließlich umzukehren. Die sozialen Sicherungssysteme ächzen bereits jetzt ob des Verlustes von nahezu zwei Millionen dieser Arbeitsplätze binnen der vergangenen zehn Jahre. Wer zur Defizitbegrenzung die Mehrwertsteuer erhöht und nicht gleichzeitig die Lohnzusatzkosten entsprechend senkt und wer die Steuerbelastung für Unternehmen nicht auf internationales Niveau reduziert, statt dessen aber – um Koalitionskompromisse zu ermöglichen – Elterngeld für 14 statt für 12 Monate zahlt, der gefährdet perspektivisch den Investitions- und Beschäftigungsstandort Deutschland.

Es ist offenkundig, dass es in unserer Hand liegt, die Abwärtsspirale bei Stimmung und wirtschaftlicher Entwicklung zu durchbrechen. Der fortgesetzt von uns zelebrierte Pessimismus ist offenkundig eher Teil unserer Kultur als Widerspiegelung unserer wirtschaftlichen Situation. Den Zipfel der Hoffnung haben wir bereits in der Hand. Zuversicht keimt. Mit der Ermunterung der Freunde, die uns in den nächsten Wochen zur Fußballweltmeisterschaft besuchen kommen und durch die noch viel größere Zahl von Zuschauern, die uns durch das Fernsehfenster beobacht, sollte es gelingen, unsere Nabelschau zu überwinden und unsere international anerkannten Stärken zu nutzen. Durch den Investitionsschwung sollte Modernität zurückkehren und durch politische Führung sollte sozialistischer Mehltau auch unter sehr schwierigen Bedingungen bekämpfbar sein.

Seit der Korrektur auf all die Übertreibungen der Neuen Ökonomie um die Jahrhundertwende gab es vielerorts – auch in den USA – Unkenrufe, die konjunkturelle Besserung würde am Arbeitsmarkt vorbei gehen. Das Schlagwort vom "jobless recovery" machte erneut – wie in den frühen 90er Jahren – die Runde. Ebenso wie damals wissen wir inzwischen, dass diese Skepsis für die USA unbegründet war. Seit Mitte 2003 hat die US-Wirtschaft über 5 Millionen zusätzliche Jobs bereitgestellt und damit mehr neue Jobs geschaffen als Deutschland offiziell Arbeitslose zählt. Nun, woran liegt es, dass der Arbeitsmarkt am Beginn der konjunkturellen Erholung noch keine Besserungstendenzen aufweist? Zuerst einmal daran, dass zu Beginn des Aufschwungs Beschäftigungsreserven genutzt werden – zunächst sinkt die Unterbeschäftigung im Betrieb (Kurzarbeit fällt weg, Überstunden nehmen zu). Aber am Anfang gibt es auch Produktivitätsreserven, die man (leicht) heben kann. Bleibt die Konjunktur aufwärtsgerichtet und nimmt zudem das Vertrauen in einen anhaltenden Trend zu, so steigt entsprechend die Bereitschaft, zusätzliche Mitarbeiter einzustellen. Dass es länger dauert, bis die wirtschaftliche Besserung den Arbeitsmarkt erreicht, hat aber auch mit einer statistischen Besonderheit zu tun. Neue Jobs entstehen weltweit immer öfter in kleinen und kleinsten Betrieben und zwar in Dienstleistungsbereichen, die es zuvor noch, oder noch nicht so gab. Diese "sonstigen Dienstleistungen" entziehen sich – zumindest anfangs – der statistischen Erfassung. Und so kommt es, dass die konjunkturelle Besserung ihre Spuren in der Beschäftigungsstatistik typischerweise erst mit Verzögerung hinterlässt.

Wenn das so ist: Brauchen wir uns also wegen der bislang ausbleibenden Beschäftigungsbesserung in Deutschland nicht sorgen, auch wenn die jüngste Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit auch für den März noch keine Zunahme der Arbeitsmöglichkeiten gezeigt hat? Aber allzu große Sorglosigkeit verbietet sich, haben wir doch in dem Zeitraum (seit Mitte 2003), in dem die USA über 5 Millionen neue Arbeitsplätze bereitstellten, aus unserem Arbeitsmarkt fast eine Million sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer herausgedrängt. Und wir haben der jüngst veröffentlichten Frühjahrsprojektion der Bundesregierung entnommen, dass zwar die Wachstumsprognose für 2006 angehoben wurde, die Prognose für die Reduzierung der Arbeitslosigkeit allerdings nahezu halbiert wurde. Gibt es also doch gravierende Probleme am deutschen Arbeitsmarkt und nicht nur die übliche Wirkungsverzögerung?

Unbestritten ist: Die Konjunkturindikatoren in Deutschland sind atemberaubend gut. Insbesondere der ifo-Index erinnert an wirklich gute Zeiten. Aber auch die Auftragseingänge sehen nicht mehr nach zufälliger, oder ausschließlich exportgetriebener Besserung aus. Und die Produktivitätsreserven in den Betrieben sind vielfach wirklich „ausgelutscht“. Zudem sind in einigen Regionen Arbeitskräfte bereits heute - und wegen der demografischen Entwicklung - allemal perspektivisch knapp. Das ändert das Einstellungsverhalten von Betrieben, und zwar bald und nicht nur selektiv. Für junge, gut ausgebildete Mitarbeiter sollte deshalb die Leidenszeit ohne berufliche Perspektive bald zu Ende sein. Aber wird die Arbeitsmarktperspektive allgemein besser werden? Werden auch benachteiligte Gruppen von der Besserung erreicht? Wird die günstige Entwicklung genügend lange anhalten, um auch den Trend am Arbeitsmarkt zu drehen? Und werden wir lohn- und wirtschaftspolitische Fehler vermeiden, um diese Besserung nicht zu gefährden? All diese Fragen sind berechtigt. Da wurde gerade ein Lohnabschluß in der Metallindustrie unterschrieben, der bereits wieder ein Stück Zukunft verfrühstückt. Besser wäre es gewesen die Einmalzahlung der jetzt günstigen Situation gemäß (differenziert nach Tarifgruppen und Geschäftslage der Unternehmen) stärker anzuheben, nicht aber das ohnehin hohe Tariflohnniveau um weitere 3 Prozent anzuheben. So bleiben Standortverlagerungen auf der Agenda, etwa für Autobauer und Zulieferer.

Natürlich kommt es in einem Land mit hoher Steuer- und vor allem Abgabenbelastung darauf an, diese Last zu senken, um den seit Jahren abwärts gerichteten Trend bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu stoppen und schließlich umzukehren. Die sozialen Sicherungssysteme ächzen bereits jetzt ob des Verlustes von nahezu zwei Millionen dieser Arbeitsplätze binnen der vergangenen zehn Jahre. Wer zur Defizitbegrenzung die Mehrwertsteuer erhöht und nicht gleichzeitig die Lohnzusatzkosten entsprechend senkt und wer die Steuerbelastung für Unternehmen nicht auf internationales Niveau reduziert, statt dessen aber – um Koalitionskompromisse zu ermöglichen – Elterngeld für 14 statt für 12 Monate zahlt, der gefährdet perspektivisch den Investitions- und Beschäftigungsstandort Deutschland.

Es ist offenkundig, dass es in unserer Hand liegt, die Abwärtsspirale bei Stimmung und wirtschaftlicher Entwicklung zu durchbrechen. Der fortgesetzt von uns zelebrierte Pessimismus ist offenkundig eher Teil unserer Kultur als Widerspiegelung unserer wirtschaftlichen Situation. Den Zipfel der Hoffnung haben wir bereits in der Hand. Zuversicht keimt. Mit der Ermunterung der Freunde, die uns in den nächsten Wochen zur Fußballweltmeisterschaft besuchen kommen und durch die noch viel größere Zahl von Zuschauern, die uns durch das Fernsehfenster beobacht, sollte es gelingen, unsere Nabelschau zu überwinden und unsere international anerkannten Stärken zu nutzen. Durch den Investitionsschwung sollte Modernität zurückkehren und durch politische Führung sollte sozialistischer Mehltau auch unter sehr schwierigen Bedingungen bekämpfbar sein.

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Über den Experten

Alexander Paulus
Alexander Paulus
Technischer Analyst und Trader

Alexander Paulus kam zunächst über Börsenspiele in der Schule mit der Börse in Kontakt. 1997 kaufte er sich seine erste Aktie. Nach einigen Glückstreffern schmolz aber in der Asienkrise 1998 der Depotbestand auf Null. Da ihm das nicht noch einmal passieren sollte, beschäftigte er sich mit der klassischen Charttechnik und veröffentlichte seine Analysen in verschiedenen Foren. Über eine Zwischenstation kam er im April 2004 zur stock3 AG (damals BörseGo AG) und veröffentlicht seitdem seine Analysen auf stock3.com (ehemals GodmodeTrader.de)

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