Kommentar
09:40 Uhr, 08.12.2017

Ist die Jahresend-Rallye bereits verfrühstückt?

Mit Steuersenkungen wird die US-Wirtschaft deutlich entlastet. Vor allem die Unternehmensseite profitiert. Über Umsatz- und Gewinnsteigerungen gewinnt damit der Fundamentalismus an Aktieneinfluss. Aber war die Steuerreform nicht bereits erwartet worden? Ist sie also schon in den Kursen eingepreist? Überhaupt, könnte ein steuersenkungsbedingt höheres Wirtschaftswachstum die US-Notenbank auf den Plan rufen, die dann über eine restriktivere Zinspolitik die Aktienstimmung stark drückt? Und droht den US-Finanzmärkten ähnlich wie 2011 Ungemach aufgrund des sich zuspitzenden Haushaltsstreits zwischen Demokraten und Republikanern mit der Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit Amerikas?

Allein die vorerst bis 2025 begrenzten steuerlichen Entlastungen der privaten Haushalte von 1 Bill. US-Dollar sind bereits ein Stabilisator für die Binnenwirtschaft und schlagen sich in einer Befestigung von US-Konsumaktien nieder. Vor allem aber will die Trump-Regierung mit der permanenten und markanten Senkung der Unternehmenssteuern von 35 auf 20 Prozent die Wettbewerbsfähigkeit des amerikanischen Wirtschaftsstandorts verbessern. Die Zeiten der USA als Hochsteuerland sollen beendet werden. In der Tat, nach der Steuerreform liegt der Steuersatz für Unternehmen im Vergleich zu anderen großen Industrieländern fast auf dem niedrigsten Niveau. Auch auf die Chancen der industriellen Revolution 4.0, der Digitalisierung, will man standortseitig gut vorbereitet sein. Mit um die Hälfte höheren Unternehmenssteuern ergibt sich dann für den Industriekonkurrenten Deutschland ein Wettbewerbsnachteil, der zu Investitions- und Steuerverlagerungen der innovativen deutschen Unternehmen in die USA führen wird.

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Das Gewinnargument für US-Aktien gewinnt an Kraft

Über die Unternehmenssteuersenkung dürfte sich die bislang schon stabile Neuauftragslage in der US-Industrie gemäß ISM Index weiter verbessern. Damit ist 2018 ein noch dynamischeres Gewinnwachstum der Unternehmen zu erwarten, das historisch mit einer zeitlichen Verzögerung von sechs Monaten auf die Entwicklung dieses Frühindikators reagiert. Laut Analysteneinschätzungen sollen die Unternehmensgewinne 2018 um bis zu 20 Prozent zulegen.

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Steigende Gewinne entspannen nicht zuletzt die aktuell sportlichen Aktienbewertungen gemäß KGV-Methode.

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Wird die US-Notenbank zum Aktien-Handicap?

Es stellt sich jetzt die Frage, ob eine Konjunkturbeschleunigung in den USA über die Steuerreform zu einem erhöhten Inflationsschub führt, auf den die US-Notenbank mit mehr Zinserhöhungen reagieren müsste. Auf Branchenebene wird dieses Szenario durchaus gespielt. Während prinzipiell hoch bewertete IT-Aktien auch aufgrund der Finanzierung ihrer umfangreichen Investitionsbudgets von höheren Zinsen eher negativ betroffen sind, kommen Banken in den Genuss höherer Zinsmargen.

Sicherlich ist im Durchschnitt mit einem erhöhten Wirtschaftswachstum in Amerika zu rechnen. Der allgemein schwache Preissteigerungstrend dürfte sich jedoch fortsetzen, da globaler Wettbewerbsdruck, digitalisierungsbedingt schwacher Lohnauftrieb und verhaltene Rohstoffpreise nachhaltig markante Bremswirkung entfalten.

Dies spricht für die Beibehaltung einer verhaltenen Zinserhöhungsagenda. Das kommt auch in den durchschnittlichen Erwartungen der Finanzmarktteilnehmer zum Ausdruck, die nach einer Zinserhöhung im Restjahr 2017 für 2018 weiterhin nur zwei Leitzinserhöhungen erwarten. Trotz der Steuersenkungsreform sind die Zinserhöhungserwartungen zuletzt sogar wieder gefallen.

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Neue Fiskalklippe in den USA?

In den USA ist das Schuldenlimit bereits wieder erreicht und muss daher umgehend erhöht werden. Drohen ähnlich wie 2011 erneut politische Scharmützel, weil sich Republikaner und Demokraten nicht auf die Erhöhung einer neuen Schuldengrenze einigen können? Im Extremfall wären die USA zumindest technisch bankrott mit allen negativen Kollateralschäden für staatliche Investitionen, also für die Konjunktur, jedoch auch für die Anleihe- und Aktienmärkte.

So weit wird es nicht kommen. Nach einer Zwischenfinanzierung wird man sich in zwar öffentlich zur Schau getragenen, theatralischen Auseinandersetzungen dennoch bis 22. Dezember auf einen neuen Budgetplan für 2018 geeinigt haben. Die Zustimmung der Demokraten wird mit republikanischen Zugeständnissen in puncto Gesundheitssystem und Katastrophenschutz gesichtswahrend erkauft. Außerdem werden die Demokraten den Republikanern angesichts der 2018 anstehenden Kongresswahlen nicht das Wahlargument schenken, sie seien Staatsbankrotteure. Ein Szenario wie im August 2011, als der US-Aktienmarkt (S&P 500) innerhalb von gut zwei Wochen um ca. 17 Prozent einbrach, ist daher nicht zu erwarten.

Im Vergleich zu 2011 halten sich heute die politischen Befürchtungen arg in Grenzen. Das kommt deutlich in einer klar gesunkenen (wirtschafts-)politischen Unsicherheit gemäß US Economic Policy Uncertainty Index - er misst die wirtschaftspolitische Unsicherheit in den USA anhand der Häufigkeit von entsprechenden Medienbeiträgen - zum Ausdruck. In der Konsequenz halten sich ebenso die politisch bedingten Kursschwankungen der US-Aktienmärkte zurück.


GRAFIK DER WOCHE

Economic Policy Uncertainty Index und Volatilität am US-Aktienmarkt

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Marktstimmung und Charttechnik - War es das für 2017?

Grundsätzlich fällt die Datenlage pro Aktien aus. Allerdings scheint sie bereits stark in den Kursen eingepreist zu sein. Auch sind die großen Vermögensverwalter mit der Performance für das laufende Jahr so zufrieden, dass sie abseits einer soliden Aktienbefestigung keine ungebremste Fortsetzung der frühen Jahresend-Rallye erwarten. Zugleich sind aber größere Aktienrisiken ebenso nicht zu befürchten.

Charttechnisch verlaufen beim DAX auf dem Weg nach oben die ersten Widerstände bei 13.098 und 13.145 Punkten. Darüber nimmt der Index Kurs auf die Barrieren bei 13.187, 13.229 und 13.342. Werden auch diese Widerstände überschritten, folgen weitere bei 13.431 und 13.489. Dagegen verlaufen im Falle von neuerlichen Kursrücksetzern erste Unterstützungen bei 13.033 und 12.969. Bei Unterschreitung ist mit Kursverlusten bis zur Unterstützung bei 12.951 und schließlich 12.921, 12.909 und 12.829 Punkten zu rechnen.


Der Wochenausblick für die KW 50 - Die Notenbanken verhalten sich erwartungsgemäß

In China vermitteln die Einzelhandelsumsätze und die Industrieproduktion im November ein stabiles Konjunkturbild. In Japan deutet der von der Notenbank veröffentlichte Tankan Index der Großindustrie auf eine verbesserte Konjunktursituation hin, der aber alle preistreibenden Kräfte fehlen.

In den USA zeigen sich die hard facts zu Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätzen im November wieder robuster. Die Fed wird die allgemein erwartete Leitzinserhöhung um 25 Basispunkte vollziehen. Die Aufmerksamkeit der Anleger gilt jedoch den Konjunktur- und Inflationsprognosen sowie der Pressekonferenz, auf der die Fed ein weiterhin gemächliches Zinserhöhungstempo in Aussicht stellen wird.

In der Eurozone deuten die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor auf weitere konjunkturelle Nachholeffekte hin. Die EZB bleibt auf ihrer bevorstehenden Sitzung - auch aufgrund fehlenden Inflationsdrucks - bei ihren geldpolitisch taubenhaften Tönen.

In Deutschland unterstreichen verbesserte ZEW Konjunkturerwartungen die solide Konjunktursituation.


HALVERS KOLUMNE

Während Amerika schon ernsthaft Standortpolitik betreibt, geht es in Europa noch sehr lustig zu

Trump kann doch noch mehr als tweeten. Er hat eine Steuerreform durchgepaukt, die mit der Senkung von Unternehmenssteuern von bislang 35 Richtung 20 Prozent ordentlich „Schmackes“ hat.

Mit dann reduzierten unter dem Durchschnitt der großen Industriestaaten liegenden Steuersätzen wird der US-Wirtschaftsstandort noch attraktiver. Bleibt vom Brutto mehr Netto übrig, wird das amerikanische Firmen animieren, mehr im Heimat- und weniger im Ausland zu investieren.


Steuern runter macht die Wirtschaft munter

Doch auch europäische Unternehmen hören die amerikanischen Steuer-Signale. Heute bereits werden sie von regulierungsfreundlichen und reformfeindlichen Politikern an der kurzen Leine gehalten. Kommt jetzt noch das amerikanische Steuer-Zückerchen hinzu, wird das Standort-Fremdgehen für Unternehmen des alten Kontinents über den großen Teich noch reizvoller. Sollten linksatlantische rechtsatlantischen Investitionen vorgezogen werden, kommt Amerika auch mit Hilfe Europas in den Genuss eines Investitionsbooms und erhält Zugang zu deutschem Industrie-Know How. Unsere Unternehmen bauen qualitativ hochwertige Arbeitsplätze in Amerika auf und bei uns ab.

Europa schmollt. Die bösen Amerikaner werden des protektionistischen Steuer-Dumpings bezichtigt. Allerdings ist „America First“-Politik keine Erfindung von Trump. Schon seinem Vorgänger Obama war das Hemd näher als der Rock. Jedoch wusste Mr. Nice Guy im Gegensatz zum finsteren Captain Ahab, an welchen Stellen er sein sympathisches Lächeln einsetzen musste, um US-Interessen freundlicher aussehen zu lassen.


Europäische Schuldenpolitik ist kein Ersatz für gute europäische Standortpolitik

Da die schützende Hand Amerikas über Europa zum Damokles-Schwert wird, will der neue starke Mann Europas, Emmanuel Macron, als Gegenmaßnahme mehr Europäische Integration wagen. Konkret träumt er von den VSE, den Vereinigten Schuldenstaaten von Europa. Nicht mehr nur die Nationalstaaten, sondern immer mehr die höhere europäische Ebene soll Schulden machen und mit dem Gießkannenprinzip wirtschaftlich blühende Landschaften in Europa bewirken. So ganz nebenbei kann man dann auch keinen Einzelstaat mehr an den Schuldenpranger stellen.

Für diese kollektiven Euro-Schulden müssen alle Euro-Länder wie bei einer Autoversicherung haften, selbst wenn sie national keine machen. Und hat man erst einmal dieser Kredit-Versicherung auf Gegenseitigkeit zugestimmt, gehen die Tore der Schulden-Hölle so richtig auf.

So wird in der EU diskutiert, jene Länder vom Reformhaken zu lassen, die angeschlagen sind oder bei denen zu strikte Sparmaßnahmen die konjunkturelle Genesung angeblich erschweren würden, z.B. Italien. Hallo? Diese Staaten sind in die Schuldenfalle getappt, weil sie keine Reform-Hausaufgaben gemacht haben und so mit weniger oder keinem Wachstum die eigene Schuldentragfähigkeit torpedierten. Kommt es zu einer Hausaufgabenbefreiung zu Lasten der Allgemeinheit, werden sie zukünftig gar keine Reformanreize mehr haben, dafür aber mehr Schulden zum wirtschaftlichen Überleben brauchen. Ein Teufelskreis!

Selbst das heiligste aller Maastricht-Stabilitätskriterien ist keine heilige Kuh mehr. So sollen der französische Währungskommissar Pierre Moscovici - sicher kein im Fell gefärbter Anhänger von Stabilität, sondern ihr Weichspüler - aber auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude eine fixe Idee haben. Nicht mehr jedes Euro-Land einzeln soll das Haushaltsdefizit von maximal drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung einhalten, sondern die Eurozone als Schuldenunion insgesamt.

Tatsächlich hat die Eurozone insgesamt nur ein Defizit von knapp über einem Prozent. Während Frankreich und Italien bei Schulden kräftig zulangen, machen Länder wie Deutschland und die Niederlande Haushaltsüberschüsse. Wenn unsereins die orthodoxen Verschuldungskriterien mustergültig einhält, werden die anderen also mit unorthodox höheren Neuverschuldungsquoten belohnt? Wer braucht da noch Verbesserungen der Standortqualität. Und wundert es da wirklich noch, dass viele Stabilitätsgegner in Europa Macrons europäischer Schuldenintegration hinterherlaufen wie Hunde dem Briefträger?

Man wird diese absurden Gedankenspiele zur Transferunion zunächst zurückziehen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Europa ist „lernfähig“. Erst sind Vorschläge absurd, dann überlegenswert und am Ende alternativlos. Europa ist „lernf��hig“.

Ich bin nicht Europa-feindlich, im Gegenteil! Ich war schon Europa-freundlich, als der junge Macron noch unter der Regie seiner späteren Ehefrau Theater spielte.


Wirtschaftskriege wurden noch nie mit Wattebällchen geführt

Doch einen europäischen Zusammenhalt über Schuldengläubigkeit bei gleichzeitiger Reformungläubigkeit schaffen zu wollen, macht Europa nicht fit für einen global immer brutaleren Wettbewerb, sondern behäbig wie eine Couch Potatoe. Die Lage am Arbeitsmarkt wird bestimmt nicht besser.

Nur ein gegenüber Amerika reformorientierter und damit konkurrenzfähiger europäischer Standort lässt Unternehmen bei uns investieren. Dazu gehören auch attraktive Unternehmenssteuern. Das mag wie eine Kapitulation vor den „Heuschrecken“ der Wirtschaft klingen. Aber ist es nicht sinnvoll, Firmen dann mit Steuererleichterungen auf erwirtschaftete Gewinne entgegenzukommen, wenn sie diese nicht an die Eigentümer ausschütten, sondern in Europa reinvestieren? Erst dann entstehen Arbeitsplätze und damit ein Wohlgefühl von Europas Bürgern gegenüber der europäischen Idee.

Amerika mag zwar vom grimmigen Captain Ahab navigiert werden. Aber die derzeitigen Seefahrer in Europa der Marke Käpt’n Iglo sind auch nicht besser.


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Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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