Kommentar
14:34 Uhr, 19.05.2016

Ist die Fed ins Hintertreffen geraten?

Eine vermeintlich aufgehellte US-Volkswirtschaft und eine gemäß Protokoll der letzten Notenbanksitzung „falkenhaftere“ Fed machen das Thema US-Zinserhöhung offensichtlich wieder akut. Aber fallen die harten Konjunkturdaten wirklich so gut aus, dass sich daraus Zinssteigerungsgründe ableiten? Oder machen sich einige Fed-Mitglieder eher das Zitat von Gorbatschow „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ zu Eigen? Wenn eine Zinserhöhung auf der nächsten Notenbanksitzung im Juni ausbleibt, könnte sich das Zeitfenster für restriktive Zinspolitik aufgrund der geldpolitischen Unabhängigkeit im kommenden heißen US-Präsidentschaftswahlkampf erst wieder im Dezember öffnen. Auf zwischenzeitliche Entwicklungen in puncto Arbeitsmarkt, Wachstum und Inflation könnte die Fed dann nicht reagieren und damit an Glaubwürdigkeit verlieren.

Nur wer die rosarote Brille aufsetzt, kann die US-Konjunktur als rosig bezeichnen. Eine verbesserte Industrieproduktion im April kann mit einem leichten Zuwachs von 0,7 zum Vormonat die schwache Entwicklung im März nicht ausgleichen. Im Trend seit Anfang 2015 bleibt auch die Stimmung der US-Kleinunternehmen - sie sind für die Hälfte des privaten US-Wirtschaftswachstums außerhalb der Landwirtschaft verantwortlich - eingetrübt: Lediglich 25 Prozent von ihnen planen auf Sicht der nächsten drei bis sechs Monate Neuinvestitionen.

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Auch der US-Konsum zeichnet kein freundliches Bild. Die vom Conference Board ermittelten US-Verbrauchererwartungen haben sich im Trend ebenfalls verschlechtert. Insbesondere die Beobachtung alltäglicher und damit verlässlicher Konsumgewohnheiten bestätigt diese negative Einschätzung. So sind die Umsatzerwartungen von US-Restaurants seit März 2015 kräftig eingebrochen. Die Sinnhaftigkeit einer Fortsetzung der US-Zinswende ist nicht zu erkennen.

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Selbst der US-Immobilienmarkt hat zuletzt deutlich an Dynamik verloren. Bereits die minimale Zinserhöhung der Fed um nur 25 Basispunkte im Dezember 2015 hat dazu beigetragen, dass Baubeginne und -genehmigungen von ihren Hoch-Ständen nach der Immobilienkrise im Juni 2015 in einen Seitwärtstrend übergegangen sind. Frühere noch deutlich höhere Indexstände, die das Abbild einer robusten US-Konjunktur zeigen, scheinen unerreichbar zu sein. Weitere Zinsanhebungen wären dem US-Immobiliensektor als historisch starkem Stützpfeiler der Konjunktur sicherlich nicht zuträglich.

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Selbst der leichte Anstieg der US-Inflation im April von zuvor 0,9 auf aktuell 1,1 Prozent liefert wenig Argumente für Zinserhöhungen. Denn die drastisch gefallenen prospektiven 5-jährigen Inflationserwartungen für die kommenden fünf Jahre rechtfertigen auch zukünftig keine Fortsetzung der US-Leitzinswende.

GRAFIK DER WOCHE
5-jährige Inflationserwartungen in fünf Jahren und US-Notenbankzins

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Laut letztem Fed-Protokoll halten „die meisten Fed-Mitglieder eine Zinserhöhung im Juni für wahrscheinlich, wenn die Wirtschaft dies erlaubt“. Was für eine epochale Aussage! Dabei ist sie so selbstverständlich wie „Wenn der Frühling kommt, summen die Bienen“. Aber sehr geehrte Fed-Mitglieder, vielen Dank! Denn wenn es um die von der Fed immer hoch gelobte „Datenabhängigkeit“ ihrer Geldpolitik geht, muss man feststellen, dass eben genau diese Daten keine Munition für eine restriktive Zinspolitik liefern. Vom jetzigen konjunkturellen Standpunkt aus betrachtet ist die Datenlage zinserhöhungs-unkritisch.

Wird die Fed dennoch zum Spielverderber?
Grundsätzlich bietet die kurz nach der nächsten Notenbanksitzung stattfindende Abstimmung der Briten am 23. Juni 2016 über den Verbleib in der EU der Fed ein gutes Alibi, um mit dem Verweis auf mögliche politische und finanzwirtschaftliche Kollateralschäden eine Zinserhöhung zu verschieben.

Werden die Zinsen im Juni dennoch angehoben, geschieht dies aus Glaubwürdigkeitsgründen. Notenbankpräsidentin Yellen hat mit ihrer irritierenden „Ich erhöhe die Zinsen, ich erhöhe sie nicht"-Politik der Reputation der Fed an den Finanzmärkten sicherlich nicht genutzt. Das spräche dafür, sich im Juni wieder als Herrin des geldpolitischen Verfahrens zu zeigen.

Dann allerdings wird sie auf der anschließenden Pressekonferenz einem hohen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sein. Sie muss erläutern, wodurch sich denn die Stärke der US-Volkswirtschaft auszeichnet. Daneben wird sie auf die weltkonjunkturellen Gefahren einer erneuten Kapitalflucht aus den Schwellenländern in die USA eingehen müssen, für die aufgrund erhöhter US-Zinsen, verbunden mit einer US-Dollar-Aufwertung gute Argumente sprechen.

In jedem Fall wird Frau Yellen - käme es zu diesem der Glaubwürdigkeit geschuldeten Zinserhöhungsschritt im Juni - sehr deutlich machen, dass die künftige Zinspolitik homöopathisch ablaufen wird. Ansonsten könnte sich das Schadenspotenzial eines massiven Zinserhöhungsschocks ähnlich dem zwischen 2004 und 2006 wiederholen. Denn wenn die immer noch umfangreichen Wertpapierkredite zinserhöhungsbedingt zurückgeführt werden, brechen zunächst die Aktien- und schließlich die realwirtschaftlichen Märkte ein.

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Grundsätzlich haben die US-Aktienmärkte keine große Zinsangst. So setzt sich am Aktien-Terminmarkt der Anstieg der spekulativen Netto-Long-Positionen fort.

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Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Wir haben das Gröbste hinter uns
Während die Geldpolitik der Fed also nicht für nachhaltige Irritationen sorgt, fehlt es den US-Aktien allerdings an fundamentaler Substanz. Das Gewinnwachstum der US-Unternehmen ist weiterhin schwach und zeigt noch keine Anzeichen einer klaren Erholung. Immerhin sorgt aber die Stabilisierung der Rohölpreise für ein Ende der Gewinnschwäche im bedeutenden US-Energiesektor.

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Die Preiserholung bei Rohöl wird durch Angebotsunterbrechungen in Folge unkontrollierter Waldbrände in der kanadischen Ölprovinz Alberta sowie wegen Anschlägen auf Ölförderanlagen in Nigeria unterstützt. Potenzial für eine Preiskorrektur ist zwar vorhanden, wenn diese Handicaps beseitigt sind. Aufgrund einer mittlerweile spürbar rückläufigen US-Ölproduktion und einer im weiteren Jahresverlauf stabilisierten Wirtschaftslage in den Emerging Markets ist jedoch eine Wiederholung der markanten Rohstoffschwäche zu Beginn des Jahres nicht zu erwarten.

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Ohnehin, der vergleichsweise hohe Anteil der Pessimisten am US-Aktienmarkt, der knapp über der unteren Begrenzung der ersten Standardabweichung liegt, liefert als Kontraindikator grundsätzlich Argumente für Aktienerholungen in den USA.

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Nicht zuletzt gewöhnen sich die Finanzmärkte allmählich an das „New Normal“ der chinesischen Wirtschaftsentwicklung und reagieren vergleichsweise gelassen auf zwischenzeitlich schwächere Konjunkturdaten. Denn auch in China gilt mittlerweile das Motto: Wo die konjunkturelle Not am größten, ist die stützende Geldpolitik am nächsten.

Allerdings dürften die Aktienmärkte vor Klarheit in der Brexit-Frage nicht aus ihrer augenblicklichen Zurückhaltung entkommen. Die mangelnde geschichtliche Blaupause eines Austritts eines Landes aus einer Wirtschaftsgemeinschaft und dessen nicht abschätzbare politische und finanzwirtschaftliche Folgen sind ein Alibi für Anleger, bis zum 23. Juni abzuwarten.

Sollte aber der Kelch des Brexit an uns vorübergehen, werden die bislang zurückgehaltenen, positiven Aktien-Argumente - zu denen nach wie vor die unattraktive Anlagealternative Zinsvermögen gehört - die Oberhand gewinnen und die europäischen Aktienmärkte und vor allem der DAX kräftig ansteigen

Ohnehin ist von keiner neuerlichen Stabilitätskrise in der Eurozone auszugehen, die die politischen Zersetzungserscheinungen in Europa weiter beflügeln würde. Denn nach einer „pragmatischen“ Lösung für die Schuldenprobleme Griechenlands wird es auch einen wachsweichen Umgang der EU-Kommission mit den Stabilitätssündern Spanien und Portugal geben.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Die Nervosität behält die Oberhand
Aus charttechnischer Sicht liegen im DAX die ersten Widerstände bei 9.892, 9.993 und darüber bei 10.080 Punkten. Schließlich besteht eine weitere Barriere bei 10.128. Die mittelfristig bedeutendste Hürde wartet bei 10.505 Punkten. Wird dagegen die Marke bei 9.700 signifikant durchbrochen, muss mit weiteren Verlusten bis zur Unterstützung bei 9.531 gerechnet werden. Bei 9.338 und 9.160 Punkten bestehen weitere Auffanglinien.

Werden im Euro Stoxx 50 auf dem Weg nach oben die Widerstandszonen zwischen 2.930 und 2.950 sowie zwischen 2.990 und 3.000 Punkten durchbrochen, treten weitere Barrieren bei 3.062 und 3.106 in den Vordergrund. Weitere Hürden liegen darüber zwischen 3.137 und 3.156 und bei 3.169 Punkten. Auf der Unterseite verlaufen Unterstützungen bei 2.860, 2.800 und 2.756 Punkten.

Simmungsdaten von ifo und ZEW wohl eher blutarm

Der Wochenausblick für die KW 21 - Konjunkturstimmungs-Check in der Eurozone
In China dürften erneut rückläufige Industriegewinne den Trend einer sich normalisierenden Volkswirtschaft fortschreiben. Japan leidet weiterhin unter verhaltenen Exportzahlen und Deflationsdruck.

In den USA deuten erneut schwächere Auftragseingänge für langlebige Güter und eine Seitwärtsbewegung bei Neubauverkäufen auf keine Konjunkturlage hin, die eine Zinserhöhung rechtfertigt.

In der Eurozone spiegeln die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe eine stabile, aber wenig dynamische Konjunkturentwicklung wider. Das gilt ebenso für die deutsche Wirtschaft, die sich zwar mit stabilen, aber insgesamt noch eher blutarmen Stimmungsdaten von ifo und ZEW der verhaltenen weltkonjunkturellen Entwicklung nicht entziehen kann. Im Gegensatz dazu unterstreichen ein erneut freundlicherer GfK Konsumklimaindex und stabilisierte Einzelhandelsumsätze die große Bedeutung der Binnenwirtschaft als wichtiges Konjunkturstandbein in Deutschland.

HALVERS WOCHE
Die Freiheit der Bürger wird auch an der Bargeldfront verteidigt
Die Bargeldabschaffung ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Denn eine starke „Koalition der Willigen“ feiert bereits große Erfolge. So gibt es in Italien und Frankreich Obergrenzen für Bargeldbezahlung. Auch die Gesamt-EU überlegt, Obergrenzen für Klimpergeld und Scheine einzuführen. In Schweden kann man seine Spende nach dem Kirchgang mit Kreditkarte bezahlen. Und der 500-Euro-Schein sieht auch seinem Ende entgegen.

Auf den ersten Blick sind die Argumente der Bargeldgegner überzeugend, oder?
Politiker weltweit würden wohl lieber heute als morgen das Bargeld abschaffen. Und mit treuen Augen - die an das süße Bambi von Disney erinnern - schauen sie uns an und können gar nicht verstehen, dass ihre Bürger die Bargeldabschaffung nicht wollen.

Zunächst ist Bargeld doch eklig unhygienisch. Wer weiß, welche Horrorkeime auf ihnen wuchern. Geld ist doch im wahrsten Sinne des Wortes schmutzig.

Überhaupt, ohne Bargeld würde der Zahlungsverkehr revolutioniert, radikal vereinfacht. Was spart sich die Volkswirtschaft nicht alles an Aufwand, wenn das Vollkornbrötchen beim Bäcker, der Müsliriegel im Supermarkt oder die Tageszeitung am Kiosk statt mit Scheinen und Hartgeld innovativ und flächendeckend mit EC- oder Kreditkarte bezahlt werden. In der virtuellen Geldwelt sind teure Sicherungssysteme für Bargeld oder gefährliche Geldtransporte nicht mehr nötig. Diebstahl scheitert mangels Masse.

Und ist erst einmal die Bargeld-vegane Zeit angebrochen, hat man der Steuerhinterziehung, der Schwarzarbeit und Drogenkriminalität auch vermeintlich das Wasser abgegraben. Die sich hartnäckig haltenden Gerüchte von handwerklichen Leistungen für die Gegenleistungen von DIN A5-Umschlägen mit bestimmten „Inhalten“ wären dann ein für alle Mal Geschichte. Eine alternative Tauschwirtschaft - z.B. das Bad fliesen lassen gegen eine Arztbehandlung, Lebensmittel oder Gutscheine ist schon aus logistischen und rechtlichen Gründen sehr schwer umsetzbar.

Man könnte sogar argumentieren, dass ein Land ohne Bargeld weniger Polizei braucht. Und auch weniger Steuerfahnder, denn wenn alles auf Rechnung geht, käme Vater Steuer-Staat aus dem Grinsen wie ein Honigkuchenpferd gar nicht mehr heraus.

Auf den zweiten Blick ist die Bargeldabschaffung überhaupt nicht mehr attraktiv
Na, wenn das keine überzeugenden Argumente sind, Bargeld fremdzugehen und sich lustvoll an den Vorteilen von Plastikgeld zu erfreuen. Aber ist es wirklich alternativlos, Bargeld in die ewigen geldpolitischen Jagdgründe eingehen zu lassen? Nein, ich finde, die Nachteile einer Bargeldverabschiedung wiegen schwerer.

Zunächst kann ich den Hygieneaspekt nicht gelten lassen. Mit zweierlei Maß messen, geht nicht. Auch jede Geldkarte ist ein Tummelgelände für Keime.

Und ist Drogenhandel oder Steuerhinterziehung bei Bargeldlosigkeit wirklich im Keim erstickt? Nein, diese Delikte ließen sich auch mit Gold und Silber darstellen. Will man uns also auch noch Edelmetalle verbieten wie beim Goldverbot damals in den USA? Eigentlich schon, denn wer das physische Bargeld abschafft, muss auch die naheliegende Alternative physisches Gold beseitigen. Wer A sagt, muss auch B sagen.

Und was ist mit Datensicherheit in der virtuellen Zahlungswelt? Wenn selbst US-Ministerien, Großkonzerne oder das Smartphone von Angela Merkel - das geht wohl doch unter Freunden - gehackt werden, wie kann man da sicher sein, dass das Geld auf unseren Girokonten sicher ist? Kommt eine Überweisung von A nach B auch wirklich bei B an?

Doch durch diese Zweifel lassen sich die Anbieter von Zahlungssystemen ihre Freude nicht trüben. Solange das rechtssichere, öffentliche Gut Bargeld existiert, ist die Bezahlung von Gütern und Dienstleitungen an sich kostenfrei, ohne Gebühren möglich. Aber wer sagt uns denn, dass virtuelle Zahlungsanbieter für ihre virtuellen Dienstleistungen - ist erst einmal das Bargeld verschwunden - nicht die Hand aufhalten? Wer arbeitet schon umsonst?

Wenn der große Daten-Staubsauger ausgepackt wird
Unendliche Freuanfälle würden aber vor allem bei den vielen e-Commerce-Unternehmen ausgelöst. Ist erst einmal das Bargeld verabschiedet, beginnt die große Willkommenskultur des gläsernen Kunden. Wenn alle Zahlungen nur noch virtuell per Karte abgewickelt werden, hinterlassen wir digitale Spuren wie Wölfe im Schnee mit dem Unterschied, dass unsere Spuren selbst bei Schneeschmelze nicht verschwinden werden. Zahlungsleistende und -empfänger sind mit ihren Kauf- und Verkaufsentscheidungen so transparent wie eingemachte Birnen im Glas früher bei meiner Oma.

Nicht zuletzt, wer persönliche Identifikationsmerkmale aus den Händen gibt, verliert auch die Kontrolle über seine Daten. Das Ganze ist eine Einladung an Social Media-Firmen, unsere früher noch geheimen Konsumgewohnheiten heute mit hochintelligenten Algorithmen auszuspionieren und uns mit passenden Angeboten per Smartphone und Internet ungefragt zuzumüllen: Wer z.B. auf den Schlagerpop von Helene Fischer steht, wird bei Neuerscheinung einer CD darüber sofort ausführlich und euphorisch informiert. Wir werden sozusagen einen Bar Code auf unserer Stirn tragen. Die Menschen werden zu ablesbaren, psychologisch steuerbaren Datensätzen, die an Markenunternehmen der Konsum- und Dienstleistungsbranche wie Handelswaren verkauft werden.

Die EZB kann alles, aber keinen Konjunkturaufschwung
Aus Sicht der (Geld-)Politik spricht für diese schöne, neue „heile“ virtuelle Geldwelt aber noch ein weiteres wichtiges Argument. Es geht um Konjunkturstützung. Seit 2008 hat die internationale Geldpolitik zwar alles versucht, der Konjunktur über billiges und viel Geld goldene Brücken zu bauen.

Das Problem ist nur, dass die Konsumenten diese Brücke nicht betreten. Sie geben ihr Geld trotz Zins- und Rendite-Diät nicht aus sondern legen weiter massiv in Zinsanlagen an: In der Eurozone liegen 6,6 Bill. Euro auf der hohen Kante. Angstsparen spielt hier wohl auch eine große Rolle. Die lockerste und zarteste geldpolitische Versuchung seit es Notenbanken gibt, vermag es nicht, die Konsumenten herzhaft in die konjunkturelle Schokolade beißen zu lassen.

Ans Kreuz mit ihm, dem Bargeld? Nein, es geht um seine Wiederauferstehung!
Wenn aber unser Bargeldsystem das entscheidende Hindernis ist, flächendeckend negative Zinsen einzuführen, muss es eben abgeschafft werden. Dann ließen sich Negativzinsen auch ohne Fluchtmöglichkeiten und die Gefahr eines Bank Runs durchsetzen.

Statt klassisch zu sparen, würde man zum Geld ausgeben gedrängt wie eine willenlose Konsummaschine. Das wäre dann die perfekte staatliche Finanzrepression, um die Konjunktur gezwungenermaßen zu beleben.

Zwar gäbe es auch die Alternative einer vernünftigen Wirtschaftspolitik, die mit Reformen und Wettbewerbsfähigkeit Unternehmen veranlasst, in Europa zu investieren, Menschen einzustellen, die dann konsumieren und Steuern zahlen. Diesen volkswirtschaftlichen Königsweg will man in der Eurozone aber weder den Wählern noch sich selbst mit Blick auf die eigene Wiederwahl zumuten. Entschuldigung, das ist aber nicht mein Problem.

Freiheitsrechte im Jahr 2016 ff. bedeuten für mich auch, dass mündige Konsumenten nicht zu gläsernen Aufziehpuppen degradiert werden. Es geht niemanden etwas an, was ich mir kaufe, egal ob Holz für den Kamin, einen Kasten Bier oder Kaugummi. Daher bin ich ein Anhänger von Bargeld und werde es immer bleiben.

Aus Bargeld als einem freiheitlich-demokratischen Eigentumsrecht darf nicht virtuelles Plastikgeld als perfektes Kontrollinstrument werden. Den Fluch der vermeintlich „guten“ Bargeldabschaffungs-Tat erspare ich mir.

Es wird sicherlich auch nicht die ohnehin gebeutelte Zustimmung zu Europa stärken, wenn Europa das Bargeld abschafft.

Bargeld ist geprägte Freiheit. Die Freiheit nehm‘ ich mir!

3 Kommentare

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  • Unbedingt
    Unbedingt

    Das Statement ist engagiert und überzeugend geschrieben. In der Grafik "Wertpapierkredite" meine ich aber zu sehen, dass die Kredite zumindest in der Vergangenheit bei Zinserhöhungen nicht zurückgefahren wurden sondern aufgestockt. (Diesmal ist vielleicht alles anders?) Darüber hinaus würde mich interessieren: Könnte man den Effekt der Bargeldabschaffung nicht irgendwie durch Gebühren für Barzahlungen und Rabatte für Kartengeschäfte adaptieren, ohne dass wir alle wie die Birnen im Einmachglas ausschauen?

    09:22 Uhr, 20.05.2016
  • es-jay
    es-jay

    Klasse Artikel!

    16:06 Uhr, 19.05.2016
  • watuffli
    watuffli

    Voll und ganz d'accord !

    15:11 Uhr, 19.05.2016