Kommentar
09:00 Uhr, 13.05.2000

Indische Rupie am Scheideweg

Die indische Rupie (INR) ist zuletzt unter deutlichen Abgabedruck geraten. Verzeichnete sie im Jahresverlauf 2007 noch Kursgewinne von über zehn Prozent gegenüber dem US-Dollar, so hat sich das Szenario im laufenden Jahr umgekehrt. Nach nicht einmal fünf Monaten sind bereits Kursverluste der Rupie von über 7,00 % im Vergleich zum Greenback zu verzeichnen. Nach einer längeren Konsolidierung in der Kursregion von 39,00 bis 40,50 gewann der Kurs von USD/INR zuletzt deutlich an Fahrt und beschleunigte seinen Kursanstieg nach Überwinden der 40,50er-Marke massiv. Zum Wochenauftakt wurde ein neues Jahreshoch von 42,0550 erreicht. Gegenüber dem Euro fallen die Kursverluste von Indiens Valuta noch deutlicher aus und liegen für das laufende Jahr bereits im zweistelligen Bereich. Seit dem 1. Januar 2008 ist EUR/INR von der 58er-Marke auf ein Jahreshoch von 64,8760 gestiegen und hat damit bereits über 11 % verloren.

Ein Hauptgrund für den fortgesetzten Kursverfall der indischen Rupie liegt darin, dass die Wirtschaft des Landes vom steigenden Ölpreis immer mehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein mittlerweile oberhalb der 120-USD-Marke verharrender Ölpreis trifft das Land, das 70 % seines Rohölbedarfs durch Importe decken muss, sehr hart. Auf der Importseite steigen durch die hohen Energie- und Rohstoffpreise die Ausgaben deutlich, während sich das Exportwachstum abschwächt.

Wie stark Indiens Wirtschaft bereits von den jüngsten Entwicklungen beeinträchtigt wird, wurde den Investoren durch die jüngsten Zahlen zur Industrieproduktion vor Augen geführt. Mit einem Plus von 3,0 % im März brach diese gegenüber dem Vormonatswert von 8,6 % geradezu ein. Im gleichen Vorjahresmonat wurde noch ein Plus von 14,8 % erzielt. Eine merkliche Verlangsamung des heimischen Wirtschaftswachstums scheint unvermeidlich, wobei bereits im vierten Quartal 2007 eine Reduzierung des BIP-Anstiegs von 8,9 % auf 8,4 % festzustellen war. Für das laufende Jahr kalkuliert die indische Zentralbank mit einem Wachstumsplus von 8,0 % bis 8,5 % - eine Schätzung, die sich als zu optimistisch erweisen dürfte.

Zusätzliche Probleme entstehen durch das ausufernde indische Leistungsbilanzdefizit, das sich im vierten Quartal 2007 von 4,7 Milliarden USD auf 5,4 Milliarden USD erhöht hat. Hier schlägt sich nieder, dass im Zuge der globalen Finanzmarktturbulenzen die Kapitalströme an den indischen Aktienmarkt deutlich abgenommen haben. Mittlerweile hat hier sogar eine Trendumkehr zu Netto-Kapitalabflüssen stattgefunden. Ausländische Investoren zogen im laufenden Jahr bislang 2,7 Milliarden USD vom indischen Aktienmarkt ab, während sie im Vorjahr noch insgesamt 17 Milliarden USD in indische Wertpapiere pumpten.

Die kräftigen Kursverluste der Rupie haben zuletzt zahlreiche Investoren auf dem falschen Fuß erwischt, die tendenziell mit einer Aufwertung der indischen Valuta gerechnet hatten. Denn nach deutlich zulegenden Inflationszahlen hatten die Erwartungen, dass die indische Notenbank bald zu neuen Zinsanhebungen greifen werde, erheblich zugenommen.

Die indische Inflationsrate, die durch den sogenannten Großhandelspreisindex (WPI) gemessen wird, ist in der Woche zum 26. April auf ein 42-Monats-Hoch von 7,61 % geklettert. Zuletzt lag die Teuerung im November 2004 derart hoch, in der Vorwoche hatte der Inflationsanstieg noch 7,57 % betragen. Angesichts eines nicht absehbaren Endes des Anstiegs der Rohölpreise ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Auch die steigenden Löhne treiben die indischen Verbraucherpreise nach oben. Eine Teuerung über der 8 %-Marke scheint unvermeidbar, das Inflationsziel der indischen Notenbank von 5,5 % wird bereits seit mehreren Monaten deutlich verfehlt.

Bei ihrem letzten geldpolitischen Treffen am 29. April beließ die „Reserve Bank of India“ (RBI) jedoch ihren Leitzins unverändert bei 7,75 %, obwohl die Mehrheit der Analysten mit einer Erhöhung um 25 Basispunkte auf 8,00 % kalkuliert hatte. In ihrem Begleitstatement betonte die RBI ihre derzeit neutrale Haltung und hob hervor, es sei ihr vor allem daran gelegen, den Wechselkurs der heimischen Valuta stabil zu halten. Damit trat sie Spekulationen entgegen, sie wolle die steigende Teuerung durch einen geduldeten Kursanstieg der heimischen Rupie bekämpfen, wie viele Marktteilnehmer erwartet hatten. Trotz des hohen Inflationsanstiegs signalisierte die RBI somit keine Bereitschaft zu neuen Zinserhöhungen. Auch der stellvertretende indische Finanzminister Pawan Kumar Bansal sagte in der vergangenen Woche, der Leitzins werde kurzfristig weiter unverändert bleiben. Man hoffe, die für den jüngsten Inflationsanstieg mitverantwortlichen Lebensmittelpreise zu bändigen und rechne auf Sicht von zwei bis drei Monaten mit wieder sinkenden Verbraucherpreisen, so Bansal weiter.

Die sich verflüchtigende Zinsfantasie führte in der Konsequenz zur Auflösung spekulativer Longpositionen in der Rupie. Shorteindeckungen trieben den Kurs von USD/INR noch über die 42er-Marke nach oben, hinzu kamen der momentan schwache indische Aktienmarkt sowie die steigende USD-Nachfrage inländischer Banken und Ölgesellschaften. Die Geschwindigkeit der jüngsten Kursverluste der indischen Rupie hat dabei zahlreiche Marktteilnehmer überrascht. Trotzdem ist mittelfristig mit einer Fortsetzung der Aufwärtsbewegung von USD/INR zu rechnen, zumal die asiatischen Emerging-Markets-Währungen im Zuge einer generellen Erholung des US-Dollar ohnehin unter Druck kommen dürften. Die Kombination von rückläufigen Kapitalzuflüssen, einer sich abschwächenden Wirtschaft sowie einem ungebremsten Inflationsanstieg sollte dafür sorgen, dass USD/INR bis zum Jahresende die 44er-Marke sehen wird.

Volker Zenk
FXresearch

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen