Kommentar
14:06 Uhr, 31.08.2012

Ich kenne keine Fundamentaldaten mehr, ich kenne nur noch Geldpolitik

In der Euro-Politik werden wieder Mutter Theresa-Qualitäten gelebt. Insbesondere die Rhetorik gegenüber Griechenland wird sanfter. Im für den Oktober anstehenden Troika-Bericht über die Spar- und Reformfortschritte des Landes ist die Gefahr groß, dass man wieder nur mahnend den Zeigefinger heben und ansonsten die Lage schönreden wird und sogar mit der aufgehübschten Vision weiterer Sparbemühungen die Auszahlung der nächsten Hilfskredittranche über 31,5 Mrd. Euro gutheißen könnte. Denn spätestens Mitte Oktober braucht Hellas wieder Geld.

Die Last der bis voraussichtlich 2016 verlängerten Sparfrist wird dabei von den Euro-Geberländern - und damit auch von den deutschen Steuerzahlern - geschultert werden müssen. Das gilt im Übrigen auch für den zweiten, volkswirtschaftlich unausweichlichen griechischen Schuldenschnitt, bei dem dann allerdings schwerpunktmäßig öffentliche Schuldner finanzielle Einbußen hinnehmen müssten. Die privaten Investoren haben sich großflächig von griechischen Anlagen getrennt. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Euro-Politik noch zögert, bei der Causa Griechenland den vernünftigen Schritt des kontrollierten Austritts zu vollziehen. Die entscheidenden Hemmnisse dafür sind nach Gutheißen des europäischen Rettungsschirms ESM durch das Bundesverfassungsgericht am 12. September und der gleichzeitigen Parlamentswahl in den Niederlanden sowie mit dem Finanzministertreffen am 14. und 15. September aber aus dem Weg geräumt. Beim offiziellen EU-Gipfel am 18. und 19. Oktober können dann Tatsachen geschaffen werden.

In Euroland bleibt es beim Prinzip Hoffnung

Auch bei den anderen Euro-Krisenländern bleibt es vorerst beim Versuch der Sparbemühungen. Die einzige Ausnahme bleibt Irland, dass bereits jetzt das gesamte Jahresziel für 2012 übererfüllt hat. Im Gegensatz dazu verzeichnet Italien nur minimale Sparfortschritte und auch Portugal verfehlt sein Ziel dramatisch. Regelrecht versagt hat Spanien, dessen Verschuldung sogar zugenommen hat. Hintergrund ist die verheerende finanzielle Lage der Regionen Katalonien und Valencia, die beim Zentralstaat zusammen Finanzhilfen von knapp 10 Mrd. Euro beantragt haben. Weitere Regionen werden folgen. Insgesamt ist mit einem Hilfsantrag Spaniens beim Rettungsschirm im Oktober zu rechnen.

Problematisch ist das schwindende Vertrauen der Bevölkerung insbesondere in die Zukunft Spaniens. Eine Kapitalflucht hat bereits eingesetzt, was sich in einer schrumpfenden Geldmenge M3 zeigt. Konkret ziehen die Spanier Spareinlagen ab. In Italien dagegen hat sich das Vertrauen stabilisiert. Verheerend bleibt die Lage in Griechenland. Mit einer anhaltend massiven Kapitalflucht weisen die Griechen selbst auf ihre pessimistische Haltung zur finanziellen Situation des Landes hin.

Mit aller Kraft der EZB gegen die Konjunkturflaute in Euroland

Mittlerweile bekommt auch die deutsche Wirtschaft den Gegenwind der Euroland-Krise zu spüren. So zeichnet die Befragung deutscher Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes gemäß ifo Geschäftsklima ein an Dynamik verlierendes Stimmungsbild. Neben schwächeren ifo Geschäftserwartungen sorgt insbesondere die nachgebende Beurteilung der aktuellen Geschäftslage für eine bis dato ähnliche Entwicklung wie im Jahr 2008, als sich allmählich das Annus Horribilis 2009 abzeichnete.

Immerhin bleibt die deutsche Binnenkonjunktur ein wichtiger Stabilisator für die Gesamtwirtschaft. Die solide Lage auf dem Arbeitsmarkt in Verbindung mit positiven Tarifabschlüssen tragen laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zu robusten Einkommenserwartungen bei. Das hat eine Anschaffungsneigung zur Folge, die zuletzt zwar leicht nachgegeben hat, sich aber noch immer auf einem hohen Niveau befindet. Zudem herrschen bei den deutschen Verbrauchern mit Blick auf die Krise in Euroland weiterhin Vorbehalte, Geld in Kapitalanlagen zu investieren. Man spart weniger und gibt das Geld aus. Nutznießer ist die deutsche Binnenkonjunktur.

Die Euro-Politik weiß natürlich, dass eine ähnlich schwere Rezession 2013 die deutsche Wirtschaft und - viel gravierender - die Eurozone in ihrer Existenz gefährden würde. Denn konnten sich die Euro-Länder ab 2009 noch durch neue Schulden den Weg aus der Wirtschaftsmisere bahnen, so ist dieser Weg wegen zu hoher Zinsen und dramatischer Schuldenstände verbaut.

Es gibt insofern aktuell keine andere Alternative, als sich der Schützenhilfe der EZB zu bedienen. Vor dem Hintergrund der Euroland-Krise mit halbherzigen Lösungsversuchen der Euro-Politik gibt es keine Alternative zur Schützenhilfe der EZB. Ihr wird die eigentlich in ihrem Hausaufgaben-Tableau nicht vorgesehene Rolle noch stärker zufallen, durch künstliche Befruchtung den traditionellen Wirtschaftszyklus mit seinem jetzt anstehenden Abschwung deutlich zu verkürzen und einen volkswirtschaftlichen Erholungsprozess im Jahr 2013 zu initiieren.

Unbeeindruckt von dem seit Mai 2012 abwärts geneigten ifo Geschäftsklimaindex zeigt sich der deutsche Aktienmarkt. Normalerweise müsste der DAX - schon aufgrund seiner Beinhaltung konjunktursensibler Einzeltitel - im Einklang mit schlechteren Konjunkturindikatoren fallen. Doch während der ifo Index fällt, steigt der DAX. Die Erwartung der Finanzmärkte einer markant fortgesetzten geldpolitischen Offensive der EZB scheint diesen traditionellen Zusammenhang überzukompensieren. Obwohl der ifo Geschäftsklimaindex seit Mai fällt, ist der DAX seit dem um gut zehn Prozent gestiegen. Die Liquiditätsphantasie bleibt der entscheidende Treiber für die Aktienmärkte.

Die internationalen Notenbanken als Bruderschaft der offensiven Geldpolitik

Auch in Amerika blicken die Finanzmärkte gespannt auf das Treffen der internationalen Zentralbanken in Jackson Hole, Wyoming. Man verspricht sich klare Hinweise auf eine erneute Liquiditätsoffensive der Fed. Zwar verläuft die US-Konjunkturerholung schleppend - die US-Wirtschaft ist im II. Quartal lediglich um 1,7 Prozent gewachsen - und eine klare Belebung des US-Arbeitsmarktes ist ebenfalls noch nicht erkennbar. Trotz zuletzt positiver Daten schwächt sich laut Konjunkturbericht der regionalen US-Notenbanken (Beige Book) zudem die Industrieentwicklung ab. Ihr verheerendes Umfeld hat die US-Konjunktur allerdings verlassen.

Unabhängig davon, ob Fed-Chef Ben Bernanke bereits in Jackson Hole weitere geldpolitische Unterstützungsmaßnahmen in Aussicht stellt, kann sich die US-Wirtschaft aber so oder so einer erneuten Liquiditätsoffensive der Fed sicher sein. Es geht nur noch um den Zeitpunkt. Denn bereits auf dem letzten Treffen der US-Notenbanker hat der Anteil der Befürworter einer weiteren geldpolitischen Offensive zugenommen.

Im Gespräch ist u.a. der Aufkauf von mit Immobilien besicherten Wertpapieren, um über noch niedrigere Zinsen für Hypothekenkredite die Belebung des US-Immobilienmarktes als Stütze für die US-Konjunkturerholung weiter voranzutreiben. Die Finanzmärkte nehmen diesen Schritt bereits über ein historisch nie dagewesenes Niedrigzinsniveau für Hypotheken vorweg. Entsprechend sichtbare Erholungstendenzen zeigen die US-Baubeginne und -genehmigungen bereits.

Grundsätzlich wird die Fed - wie bereits in den vorangegangenen Phasen der geldpolitischen Lockerung - die Zinsen am langen Ende der Zinskurve weiter künstlich niedrig halten. Gemeinsam mit der tatsächlichen Liquiditätsschwemme ist dies die Haupttriebfeder für steigende Aktien.

Auch in China hat die Verfolgung von Preisstabilität gegenüber Konjunkturstützung keine Priorität mehr. Der zuletzt massive Preisanstieg bei Agrarrohstoffen, der auf absehbare Zeit für ordentlichen Druck in der Inflationspipeline sorgen wird, verhindert nicht die bereits eingesetzte zinspolitische Lockerung der People’s Bank of China. Die Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft und ein weiteres Aufblähen der chinesischen Immobilienpreisblase nimmt man dabei billigend in Kauf.

Glänzende Aussichten für Silber

Unterdessen sorgt das international üppige Liquiditätsumfeld für glänzende Aussichten bei Edelmetallen. Denn Gold, Silber, Platin und Palladium profitieren vor allem von ihrer Funktion als Inflationsschutz bzw. der Werterhaltung.

Insbesondere Silber erhält aktuell wieder deutliche Unterstützung vom Terminmarkt. Auf den Derivatemärkten haben die spekulativen Finanzanleger ihre Positionen auf einen Preisanstieg von Silber auf den höchsten Stand seit Mitte April ausgeweitet.

Dabei tritt der Charakter von Silber als konjunkturzyklischem Industriemetall - aufgrund seiner hervorragenden Leitfähigkeit und antibakteriellen Wirkung findet es u.a. breite Anwendung in der Elektroindustrie und der Medizin - für Anleger aktuell deutlich in den Hintergrund. Denn während der extrem konjunktursensitive Industriegrundstoff Eisenerz unter dem Gegenwind der Weltwirtschaft zu leiden hat, konnte Silber seit Mitte August gerechnet einen deutlichen Preisanstieg von gut neun Prozent verzeichnen. Die Sicherheitsanlage von Silber überwiegt deutlich seine Funktion als Industrierohstoff.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Die Börsenentwicklung in der nächsten Woche dürfte im Zeichen eher zurückhaltender Notenbankäußerungen stehen. So ist auf der EZB-Sitzung - vor dem ausstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den ESM - noch nicht mit konkreten Anleiheaufkaufprogrammen oder gar einer weiteren Leitzinssenkung zu rechnen. Allerdings dürfte Draghi die Tür dafür grundsätzlich weiter öffnen.

Und auch in Amerika sorgen zunächst noch ausbleibende Informationen der Fed bezüglich neuer Liquiditätsoffensiven für Enttäuschung. Zwar sind die Daten eines sich leicht aufhellenden ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe sowie erneut stärkerer Arbeitsmarktdaten zu schwach um konjunkturelle Entwarnung zu geben, aber solide genug für eine abwartende Haltung der Fed. Für eine erneute Liquiditätsoffensive gilt: Es ist zu vermuten, dass Bernanke sich unmittelbar nach dem Parteitag der Republikaner noch eine politische Schamfrist lässt. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben.

In Deutschland verdeutlichen schwache Industrieauftragseingänge einen anhaltenden Gegenwind der Weltkonjunktur und auch die Exportzahlen zeigen sich belastet.

Aus charttechnischer Sicht dürften deutsche Aktien damit unter Druck geraten, sollte der DAX die nächste Auffanglinie im Bereich von 6890 bis 6875 Punkten unterschreiten. Wird auch diese durchbrochen, kann mit einem Rücksetzer bis in den Bereich zwischen 6800 und 6750 und darunter 6580 Punkten gerechnet werden.

Kann der DAX aber die Marke bei 6950 Punkten zurückerobern, so trifft er bei 7000 und darüber bei 7100 Punkten auf einen schwachen und am Jahreshoch von 7194 auf einen stärkeren Widerstand. Darüber liegt das nächste Kursziel bei 7400 Zählern, bevor die Marken bei rund 7520 und 7600 in den Vordergrund treten.

Halvers Woche:

Was politisch gesagt wird und wie es gemeint ist

In einer deutschen Finanzzeitschrift gibt es eine schöne Rubrik. Dort werden im Originalwortlaut die Aussagen von Politikern abgedruckt und anschließend mitgeteilt, was sie damit eigentlich meinten. Die Diskrepanz zwischen Schein und Wirklichkeit lädt immer wieder zum Schmunzeln ein.

Auch beim Wahlkampf in den USA muss man unbedingt zwischen den Zeilen lesen. Mit dem Brustton der Überzeugung legen beide Präsidentschaftskandidaten die Latte ganz hoch: Nicht nur ausgeglichener Haushalt, sie versprechen Schuldenreduktion. Kurzer Blick auf den Kalender, nein, es ist weder der 1. April noch Karneval. Seit Gründung 1776 haben die Vereinigten Staaten von Amerika über 200 Jahre gebraucht, um eine Billion Staatschulden aufzuhäufen. Für die letzte Billion von 15 auf seit kurzem 16 hat Mr. Obama lediglich 286 Tage gebraucht. Und jetzt werden auch noch Steuersenkungen und Ausgabensteigerungen in Aussicht gestellt. Auch die versprochene Halbierung der Arbeitslosenzahlen kommt nicht einfach aus der Steckdose. Ich wette, dass für die nächste Billion weniger als 250 Tage gebraucht werden. Also sollte man diesen plötzlichen stabilitätspolitischen Freuanfall im Umfeld eines Stabilitätssumpfes nicht allzu ernst nehmen.

Wasser predigen, Wein saufen

Aber auch in Europa muss man dringend zwischen fiktionalen und non-fiktionalen Aussagen unterscheiden. Die Charmeoffensive des griechischen Ministerpräsidenten bei Merkel & Co. macht sicherlich jeder Balkonszene von Romeo und Julia Konkurrenz. Man werde jeden Kredit an Deutschland zurückzahlen. Naja, den Schuldenschnitt vom Frühjahr hat er in seinem Liebesantrag wohl vorsichtshalber ausgelassen. Überhaupt, wer weiß schon, wer morgen für diesen Treueschwur gerade stehen muss? „Talk is cheap“ sagen die Amerikaner.

Und Frau Merkel aus Deutschland und Signore Monti aus Italia? Noch beim letzten großen EU-Gipfel Ende Juni wären wohl völlig zerrüttete Verhältnisse zwischen den beiden noch eine diplomatische Beschreibung gewesen. Stabilitätspolitisch lagen zwischen beiden ganze Galaxien. Und jetzt? Fast hatte man den Eindruck, dass das Heilige Römische Reich Deutscher Nation kurz vor der Wiedergeburt steht. Was für eine Grande Amore zwischen Mutti und Monti. Filme von Rosamunde Pilcher könnten nicht rührender sein. Die völlige Harmonie und vor allem das nicht enden wollende Anerkennen des Stabilitätsanspruches der Deutschen und der Reformerfolge der Italiener hätten mich fast zum Taschentuch greifen lassen. Aber beim Vergleich der versprochenen Reformen der Italiener mit den bisher erreichten Erfolgen ist meine Rührung schnell verflogen.

Euroland setzt natürlich auf Inflation

Als großes Schauspiel muss man auch den verbalen Schlagabtausch zwischen der Deutschen Bundesbank und der EZB einordnen. In der öffentlichen Diskussion macht es sich natürlich gut, wenn von deutscher Seite die Stabilitätsehre gegen die vermeintlich stabilitätslosen Gesellen der euroländischen Geldpolitik verteidigt wird. Aber welchen Sinn macht die Anmahnung stabilitätspolitischer Rettungsmedizin, wenn diese den zu Rettenden damit in einen rettungslosen Zustand versetzt. Statt Instabilitäts-Entzug in der Betty Ford-Klinik hat sich Euroland längst stillschweigend auf das Leitmotiv „Inflation für alle“ geeinigt. Denn Deflation käme politisch viel teurer.

Insgesamt ist der gute, alte Stabilitätszug entgleist und wird auch nicht mehr aufgeschient. Mehr Schulden, mehr Notenpresse sowie mehr dirigistischer Staatskapitalismus und weniger Marktwirtschaft gehören leider zum unumstößlichen Zeitgeist der Eurozone.

Zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden

Daher müssen die Anleger zwischen schönem Schein und schnöder Realität selbst unterscheiden. Anleger sollten keine finanz- und geldpolitischen Romane der Marke „Des Kaisers neue Kleider“ mehr kaufen und sich dabei noch einreden müssen, es seien schöne Stabilitätshüllen. Nackte, hüllenlose Tatsachen sind das A und O.

Nutzen Sie die Zeit, die Ihnen die Notenbanken dieser Welt für sachkapitalistische, also stabile Anlageformen schenken. Man kann die Realität ignorieren, aber man wird nicht die Konsequenzen der ignorierten Realität ignorieren können.

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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