Gutachten sieht dringend Handlungsbedarf bei Klimaziellücke im Gebäudesektor
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Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones) - Im Gebäudesektor herrscht einem Gutachten zufolge dringender klimapolitischer Handlungsbedarf. Die Sanierungsrate liegt demnach fast 50 Prozent hinter dem Soll und auch die Sanierungstiefe bleibt weit hinter den Annahmen zurück. Das ist das Ergebnis eines Kurzgutachtens zur Klimaziellücke im Gebäudesektor, das das Forschungsinstitut für Wärmeschutz München im Auftrag der Gebäude-Allianz erstellt hat. Außerdem reichten die derzeitigen Bemühungen für die Zeit nach 2030 nicht aus und zusätzliche Verschärfungen seien notwendig, damit Deutschland seine Klimaziele einhalten kann. Das Verbändebündnis Gebäude-Allianz hat daher von der Bundesregierung ein sofortiges Umdenken und Umsteuern in der Klimapolitik gefordert, um den Gebäudesektor auf Klimakurs für 2030 zu bringen.
Konkret fordert das Bündnis, dass die energetische Sanierung und die Absenkung des Energiebedarfs von Gebäuden Priorität haben müsse. Die energetisch schlechtesten Gebäude müssten zuerst saniert werden. Der Klimaschutz im Gebäudesektor dürfe nicht auf die lange Bank geschoben werden, da sich dies "innerhalb weniger Jahre vielfach rächen" werde, so die Gebäude-Allianz, der die Verbände Verbraucherzentrale Bundesverband, die Deutsche Umwelthilfe und der Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle angehören.
"Das Einhalten der gesetzlichen Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen und Energieverbrauch ist nur möglich, wenn jetzt alle Hebel umgelegt werden", mahnten die Verbände. "Die politische Blockade und das Aussetzen von entscheidenden Instrumenten und Maßnahmen zur Verbesserung der energetischen Gebäudesubstanz drohen, die multiplen Krisen im Gebäudesektor weiter zu befeuern." Ohne den politischen Willen und die Umsetzung von neuen ordnungsrechtlichen wie finanzpolitischen Maßnahmen, drohe das Projekt Klimaneutralität im Gebäudesektor dauerhaft zu scheitern.
Gutachter fordern mehr Sanierungen von Bestandsgebäuden
Laut Gutachten würden Einzelmaßnahmen, wie etwa der alleinige Fokus auf Wärmepumpen ohne Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden, dazu führen, dass es "unrealistisch hohe Absatzahlen oder andersherum unrealistisch hohe Sanierungsraten" geben müsste. Daher ist nach Ansicht der Forscher der einzig sinnvolle Ansatz ein Maßnahmenpaket, das alle Aspekte der Effizienzsteigerung, des Energieträgerwechsels und der Treibhausgas-neutralen Energieträger (allerdings in sehr geringem Maße für den Gebäudesektor) aufgreift.
Die Experten schlagen vor, dass der Fokus auf der Steigerung der Energieeffizienz auf Bestandsgebäuden liegen sollte. Die Sanierungsrate sollte bis 2031 auf rund 760.000 Wohneinheiten pro Jahr linear gesteigert und bis 2045 auf konstantem Niveau gehalten werden.
Außerdem sollten Gebäude vorwiegend mit Wärmepumpen und Fernwärme temperiert werden. Die Anzahl an jährlich eingebauten Wärmepumpen sollte dazu linear schnell von 356.000 in 2023 auf 600.000 bis 2025 und bis 2030 weiter auf 750.000 Wärmepumpen gesteigert werden.
Treibhausgas-neutrale Energieträger würden hingegen nach Einschätzung des Gutachtens im Gebäudesektor eine untergeordnete Rolle spielen, da sie vorrangig von der Industrie benötigt würden und daher im Gebäudebereich nicht in großer Menge zur Verfügung stehen würden.
Gebäude-Allianz beklagt Tiefpunkt bei Sanierungsquote
Die Gebäude-Allianz beklagt angesichts des Gutachtens, dass die Sanierungsquote in Deutschland zusehends falle und mit 0,72 Prozent nach 0,88 Prozent im Jahr 2022 einen neuen Tiefpunkt erreicht habe. "Dies ist für das Erreichen der Klimaschutzziele im Gebäudesektor dramatisch. Sanierungsrate und Sanierungstiefe liegen weit unter dem, was für eine deutliche Reduzierung des Energieverbrauchs notwendig wäre", so die Allianz. Gleichzeitig müsse sich der Heizungswechsel weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien im Vergleich zu heute verdoppeln, um die Klimaziele einzuhalten.
Damit politische Maßnahmen ihre Wirkung rechtzeitig vor dem Zieljahr 2030 bzw. 2045 entfalten können, müssten sie noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden. Dies muss jetzt höchste politische Priorität haben, so die Gebäude-Allianz. Die Verbände forderten außerdem eine gerechte Verteilung der Kosten im Gebäudebereich. Die Bundesregierung müsse die soziale Abfederung im Gebäudesektor von Anfang an mitdenken, um rasche Umsetzung und gesellschaftliche Zustimmung zu sichern.
Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com
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