Frankreich muss seine politische Dividende erhalten
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- Die politische Dividende verursachte einen weniger starken Anstieg der Risikoprämien französischer Staatsanleihen als bei italienischen oder spanischen Staatspapieren – Die Märkte sahen ein geringeres Risiko, dass sich Frankreich von der EU abwenden würde.
- Das Risiko einer Präsidentschaft von Marine Le Pen oder Jean-Luc Mélenchon könnte zur Folge haben, dass diese politische Dividende verschwindet, was im Wesentlichen der entscheidende Faktor für die französische Risikoprämie ist.
- Allerdings scheint reichlich Spielraum für eine anhaltend gute Produktivitätsentwicklung und einen Rückgang der strukturellen Arbeitslosigkeit vorhanden zu sein.
- Wenn der nächste Präsident und die Regierung gewillt und fähig sind die Arbeitsmarktreformen durchzusetzen, könnte Frankreich eine potenzielle Wachstumsrate von knapp 2 Prozent erreichen.
Alle Augen richten sich auf die Wahlen in Frankreich – aus gutem Grund. Immerhin war die Achse Frankreich-Deutschland die treibende Kraft für die europäische Integration. Infolgedessen profitierte Frankreich enorm von einer „politischen Dividende“, die zur Folge hatte, dass die Risikoprämien französischer Staatsanleihen in den letzten Jahren weniger stark stiegen als bei italienischen, spanischen und portugiesischen Staatspapieren. Darüber hinaus war 2011 und 2012 kaum ein Abzug von Einlagen aus dem französischen Bankensystem festzustellen, während dies in den anderen Peripherieländern ein echtes Problem war. Die politische Dividende Frankreichs war hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Märkte ein wesentlich geringeres Risiko sahen, dass sich Frankreich von der EU abwenden würde. Bis zu einem gewissen Grad erwies sich dies als selbsterfüllende Prophezeiung (weniger Druck auf Staatsanleihen und Bankbilanzen), aber bis zu einem gewissen Punkt wurde auch angenommen, dass Deutschland größere Anstrengungen unternehmen würde, Frankreich bei der Stange zu halten, als für die anderen Peripherieländer. Dies ist wahrscheinlich immer noch der Fall, aber wenn die Franzosen selbst entscheiden, dass sie austreten möchten, kann Deutschland natürlich nichts machen. Deshalb schlägt sich das Risiko einer Präsidentschaft von Marine Le Pen (oder Jean-Luc Mélenchon) in der Wahrscheinlichkeit nieder, dass diese politische Dividende verschwindet. Das ist im Wesentlichen der entscheidende Faktor für die französische Risikoprämie.
Es muss betont werden, dass Frankreich nicht nur wegen der oben erwähnten politischen Dividende kein typisches Peripherieland ist. Die französische Staatsverschuldung liegt knapp unter 100 Prozent, und das französische Bankensystem befindet sich in einer ziemlich guten Verfassung. Die langfristigen Aussichten für das französische Wachstum sind ebenfalls recht gut, sofern der nächste Präsident Reformen durchsetzt. Tatsächlich ist die französische Arbeitsproduktivität durchaus vergleichbar mit der deutschen. Frankreich hat jedoch eine höhere strukturelle Arbeitslosenquote als Deutschland, was eine Erklärung für dieses Ergebnis sein könnte. Während wenig produktive Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt sind, ist in Frankreich eine signifikante Zahl derer strukturell arbeitslos. Im Gegensatz dazu ist die totale Faktorproduktivität (die Effizienz, mit welcher der gesamte Input in Output verwandelt wird) in Frankreich schwächer. Damit scheint reichlich Spielraum für eine anhaltend gute Produktivitätsentwicklung und einen Rückgang der strukturellen Arbeitslosigkeit vorhanden zu sein. Letzteres lässt sich durch Arbeitsmarktreformen erreichen, die für sich genommen das Wachstum der Arbeitsproduktivität hemmen. Durch eine Produktmarktreform ließe sich jedoch gleichzeitig das Wachstum der totalen Faktorproduktivität stärken. In dieser Hinsicht gibt es in Frankreich eine Menge an leicht realisierbarem Potenzial, und wenn der nächste Präsident und die nächste Regierung den Mut haben, dies zu nutzen, könnte Frankreich eine potenzielle Wachstumsrate von knapp 2 % erreichen. Damit wäre die Staatsverschuldung ziemlich nachhaltig.
Das Fazit lautet, dass das Weiterbestehen der politischen Dividende bei den Risikoprämien französischer Staatsanleihen – wie vermutet – von den politischen Entwicklungen abhängt. Auf kurze Sicht lautet die Frage, ob Marine Le Pen Präsidentin werden kann. Auf längere Sicht wird die politische Dividende jedoch entscheidend von einer Wirtschaftsreform-Dividende abhängen. Aus dem Programm von Emmanuel Macron geht hervor, dass er das skandinavische Modell nach Frankreich importieren möchte. Im Wesentlichen besteht dieses Modell aus einer Kombination von Strukturreformen, die die Wirtschaft flexibler machen, sowie der Bereitstellung von staatlicher Unterstützung bzw. Anreizen zur Steigerung der Investitionen und des Humankapitals. Letzteres impliziert, dass Macron eine bedeutendere Rolle des Staats im Sinne hat als François Fillon. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, solange die staatlichen Interventionen die Märkte ergänzen. Ein Teil des Aufwands würde in die Erhaltung eines größeren sozialen Sicherheitsnetzes fließen, was sicherlich das Potenzial wirtschaftlicher Rückschläge und negativer politischer Gegenreaktionen auf die Reformen verringern würde. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn sich die Maßnahmen für die soziale Sicherheit auf Programme richten würden, die Erwerbslose aktiv zu neuen Arbeitsplätzen hinführen. Macron würde vermutlich eine weniger rigorose Auslegung des Fiskalpakts begrüßen, z.B. durch die Ausklammerung von Investitionen des öffentlichen Sektors aus den Defizitberechnungen.
Im Gegensatz zu Macron und Fillon würde die politische Dividende unter Le Pen drastisch sinken und sich aufgrund einer negativen wirtschaftlichen Dividende im Laufe der Zeit weiter verschlechtern. Die Hauptthemen ihres Programms haben große Ähnlichkeit mit denen von Donald Trump, das heißt, eine drastische Reduzierung der Einwanderung und eine größere Souveränität Frankreichs. Le Pen will ein Referendum, lässt aber offen, ob dies ein Referendum zur EU-Mitgliedschaft oder zum Euro wäre. Sie möchte den Franc parallel zum Euro einführen. Das Ziel besteht darin, der „unfairen Konkurrenz“ zu begegnen, was nichts anderes heißt, als dass sie eine abgewertete Währung anstrebt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Wenn dieser Plan umgesetzt würde, dürfte er negative Folgen haben. Denn zur gleichen Zeit möchte sie die Unabhängigkeit der Banque de France aufheben und die Zentralbank anweisen, den Staat direkt zu finanzieren. Das Ergebnis wäre ein Anstieg der französischen Inflation (bzw. der Inflationserwartungen), welcher jegliche, zunächst erreichte, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zunichtemachen würde. Mehr noch: All dies würde die Schuldenlast Frankreichs unnachhaltig machen, denn das Finanzministerium würde Steuereinnahmen im neuen abgewerteten Franc erhalten, während die Schulden weiter auf Euro lauten würden. Alternativ wäre es möglich, dass sie Zahlungsverpflichtungen für die Schulden nicht erfüllt. In diesem Fall kämen auf Frankreich sehr hohe Kreditkosten für den Anstieg des Haushaltsdefizits zu, der durch die unvermeidliche Rezession und ihr Programm der fiskalischen Expansion verursacht würde. Dieses wirtschaftliche Chaos würde natürlich durch den Abzug von Einlagen und eine Kapitalflucht aus Frankreich verstärkt, die das Bankensystem lahmlegen würden.
Ich erwarte, dass Le Pen auf viele, wahrscheinlich unüberwindliche Hürden stoßen würde, bevor sie ein Referendum ansetzen könnte. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Präsidentschaft von Le Pen für die französische Wirtschaft und französische Vermögenswerte günstig wäre. Im Inland würde die Reformdynamik aufgrund der „Kohabitation“ (ein Präsident mit einer Parlamentsmehrheit opponierender Parteien) völlig ins Stocken geraten. Dadurch würde die wirtschaftliche Dividende Frankreichs schnell dahinschmelzen. Darüber hinaus hat der französische Präsident große außenpolitische Macht, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass Le Pen gut mit der nächsten Bundeskanzlerin oder dem nächsten Bundeskanzler Deutschlands zusammenarbeiten würde. Infolgedessen würde die politische Dividende, die französische Vermögenswerte und französische Banken bisher unterstützte, ebenfalls drastisch schrumpfen. Nicht zuletzt würden der Region dringend benötigte weitere Fortschritte bei der Fiskal- und Bankenunion vorenthalten werden, was letztlich negativ für ihre Stabilität wäre.
Autor: Willem Verhagen, Senior Economist, Macro & Strategy bei NN Investment Partners
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