Kommentar
09:47 Uhr, 04.05.2017

Frankreich: An der Schwelle zu einer neuen Ära

  • Am 7. Mai findet die entscheidende Runde der französischen Präsidentschaftswahlen statt
  • Wir analysieren, welche Auswirkungen ein Wahlsieg Macrons für die Finanzmärkte, die französische Wirtschaft und die Europäische Union haben dürfte

Die Umfragen deuten darauf hin, dass Emmanuel Macron seine Konkurrentin Marine Le Pen in der Stichwahl relativ deutlich mit rund 60 Prozent zu 40 Prozent schlagen dürfte. Allerdings können die Umfragewerte in den verbleibenden Tagen bis zur Wahl noch etwas enger werden. Zumal es immer noch einen großen Anteil an Wählern gibt, die unentschlossen sind oder vielleicht gar nicht wählen gehen. Daher ist die Möglichkeit eines Siegs von Le Pen nach wie vor nicht endgültig vom Tisch. Wir rechnen dennoch damit, dass Macron Präsident wird.

Emmanuel Macron: Der unternehmerfreundliche Europabefürworter

Macrons Programm deutet darauf hin, dass er das nordische Modell in Frankreich einführen möchte. Der Kern dieses Modells ist eine Kombination aus Strukturreformen, die die Wirtschaft flexibler machen und staatliche Anreize für eine Erhöhung der Investitionen schaffen. Macron plant, die Staatsausgaben über fünf Jahre um 60 Mrd. Euro zu senken, was teilweise durch die Streichung von 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst erreicht werden soll. Er beabsichtigt außerdem Steuersenkungen und einen Investitionsplan in Höhe von 50 Mrd. Euro. Somit legt er besonderes Augenmerk auf die Notwendigkeit, Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und Innovationen zu fördern. Sein Programm enthält zahlreiche unternehmerfreundliche Maßnahmen. Auf der Steuerseite hat er eine Senkung der Körperschaftssteuer von 33,3 % auf 25 % (den europäischen Durchschnitt) und eine Reduzierung der Lohnkosten versprochen, die durch eine Anhebung der CSG, eine Sozialsteuer, um 1,7 Prozent, die auf alle Einkommensarten erhoben wird, finanziert werden soll. Die Umweltsteuern dürften ebenfalls steigen. 80 Prozent der Haushalte würden von der Vermögenssteuer befreit werden, Kapitalerträge sollen pauschal mit 30 Prozent besteuert werden. Macron prognostiziert eine Arbeitslosenquote von etwa 7 Prozent (3 Prozentpunkte niedriger als aktuell) bis 2022, was zu deutlichen Steuereinsparungen führen würde. Ein wesentlicher Aspekt um die Arbeitslosigkeit zu senken, sind für Macron Trainingsmaßnahmen. Zudem setzt er sich für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt und flexiblere Arbeitszeiten ein.

Auf europäischer Ebene könnte ein Wahlsieg Macrons eine Stärkung der deutsch-französischen Achse einläuten, die die treibende Kraft hinter der europäischen Integration ist. Unter allen Präsidentschaftskandidaten ist Macron der größte Befürworter der Europäischen Union. Wenn er Präsident wird, könnte das die Akzeptanz der Politiker in der gesamten EU erhöhen, dass „alle im gleichen Boot sitzen“. Macron fordert eine größere Integration durch die Schaffung einer geeigneten europäischen Führungsstruktur mit eigenem Budget und eigener Fiskalpolitik. Es ist auch sein Wunsch, dass die Verteidigung gemeinsam finanziert wird, um die EU-Grenzen zu schützen. Er will außerdem europäische Sozialrechte festlegen, darunter Mindeststandards für Mindestlöhne, Arbeitslosenversicherung und berufliche Trainingsansprüche.

Eingeschränkte Macht des Präsidenten ohne Mehrheit im Parlament

Die Möglichkeit, dass Le Pen die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen gewinnt, ist zwar gering, aber nicht auszuschließen. Falls sie Präsidenten wird, erwarten wir aufgrund ihrer Ideen zur Wiederherstellung von Frankreichs Souveränität und ihrer Haltung gegenüber Europa an den Finanzmärkten eine unmittelbare Flucht von Kapital in risikoärmere Anlageklassen. In Frankreich würde die Reformdynamik wegen der Kohabitation erwartungsgemäß komplett zum Stillstand kommen. Außerdem hat der französische Präsident viel Macht in der Außenpolitik, und Le Pen wird wahrscheinlich kaum mit der deutschen Kanzlerin (oder dem Kanzler) kooperieren. Das wird Europa dem dringend benötigten weiteren Fortschritt hinsichtlich einer Fiskal- und Bankenunion berauben, was letztlich seine Stabilität beeinträchtigt.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Le Pen in diesem hypothetischen Szenario nur sehr eingeschränkte Befugnisse hätte. In Frankreich folgen auf die Präsidentschaftswahlen stets die Parlamentswahlen, um sicherzustellen, dass die Macht nicht allein in den Händen des Präsidenten liegt. Die Parlamentswahlen werden im Juni abgehalten. Aktuell hält die sozialdemokratische Partei die Mehrheit im Parlament (289 Mitglieder), aber laut jüngster Umfragen dürfte sich das verschieben. Die Republikaner (aktuell mit 198 Parlamentsmitgliedern) würden bei den bevorstehenden Wahlen eine deutliche parlamentarische Mehrheit erringen. Marine Le Pens Partei Front National besetzt derzeit nur zwei Sitze im Parlament, und auch wenn ein deutlicher Anstieg (auf etwa 60 Sitze) erwartet wird, wäre die Front National noch weit von einer Mehrheit entfernt. Ohne Mehrheit im Parlament muss Le Pen eine Koalitionsregierung bilden. Die Verfassung sieht vor, dass der Präsident den Premierminister ernennt. Allerdings muss der Premier der Mehrheitspartei im Parlament angehören, höchst wahrscheinlich den Republikanern. Daher dürfte Le Pen aufgrund fehlender parlamentarischer Unterstützung an der Umsetzung ihres Programms gehindert werden. Allerdings ist auch Macron auf die Parlamentsmehrheit angewiesen, wenn er sein politisches Programm umsetzen will. Der Präsident kann auch Volksabstimmungen einberufen, aber nur, wenn der Antrag vom Premierminister oder einer der beiden Parlamentskammern eingereicht wird.

Auch Macrons Partei En Marche! Wird bei den Parlamentswahlen keine Mehrheit im Parlament erzielen. Auch er muss daher einen Premierminister ernennen, der einer anderen Partei angehört. Traditionsgemäß ist das eine Rezeptur für eine politische Lähmung in Frankreich. Macron muss sich um eine breite Unterstützung für die Arbeitsmarktreformen bemühen, die sicherlich auf Widerstand stoßen werden. Da die politische Landschaft in Frankreich eindeutig in Bewegung ist, besteht aber trotzdem die Möglichkeit, dass Macron auf Unterstützung durch eine Koalition seiner eigenen Partei und anderer reformwilligen Parteien bauen kann.

Sollten notwendige Reformen umgesetzt werden, sieht es für das Wachstum in Frankreich gut aus

Während ein Sieg Le Pens ziemlich sicher negative Marktreaktionen auslösen würde, dürfte der Markt auf einen Sieg Macrons aufgrund seiner marktfreundlichen Politik, seiner Reformbereitschaft und seiner ausgeprägten pro-europäischen Haltung positiv reagieren. Die Märkte haben bereits sehr positiv auf das Ergebnis der ersten Runde reagiert: Der Euro wertete auf, die Spreads von französischen Staatsanleihen verengten sich (Grafik) und französische Aktien verzeichneten starke Anstiege.

Die langfristigen Aussichten für das französische Wachstum sind ziemlich gut – vorausgesetzt, der kommende Präsident setzt die nötigen Reformen durch, da Frankreichs Arbeits- und Produktmärkte recht starr sind. Es können sicherlich viele Dinge verbessert werden, aber Frankreich unterliegt unserer Ansicht nach keinen speziellen Risiken und ist wirtschaftlich relativ stabil.

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