Kommentar
13:28 Uhr, 05.07.2013

Finanzsorgen? Die EZB wird sie einschläfern!

Die allgemeine Konjunkturstimmung zeigt sich stabil, weist aber auf eine verlangsamte Dynamik hin. So liegt der offizielle Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe in China mit einem Wert von 50,1 nur noch knapp in expansivem Terrain. Eine schwache Konjunkturentwicklung in China würde auch die US-Exportindustrie treffen, die in hohem Maße von der Konsumnachfrage des wachsenden Mittelstands Chinas profitiert. Noch zeigt sich die US-Wirtschaft allerdings vergleichsweise stabil. Der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe in den USA konnte sich zuletzt sogar von seinem vormonatlichen Ausrutscher unter die Wachstum anzeigende Schwelle von 50 erholen und signalisiert mit einem Wert von aktuell 50,9 ein sich stabilisierendes Wirtschaftswachstum.

In Euroland liegt zwar der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe mit 48,8 noch klar unter der Expansionsschwelle von 50. Der Trend - insbesondere in Italien und Frankreich - ist aber aufwärts gerichtet und spricht für eine konjunkturelle Stabilisierung, die im Laufe des 2. Halbjahres der Rezession in Euroland ein Ende bereiten dürfte. Aufgrund der ungelösten Strukturprobleme in der Euro-Südzone ist aber lediglich mit einem mauen Wachstum zu rechnen.

Die Risiken im Auge behalten

Jedoch zeigen sich in Euroland wieder politische Krisensymptome. Griechenland gefährdet mit seiner Sparrenitenz - laut Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF ist nicht eine einzige Spar-Forderung erfüllt - die Auszahlung der nächsten Hilfstranche. Zudem werden die Rufe nach einem erneuten Schuldenschnitt lauter. In Portugal sorgen die Regierungskrise und Spekulationen über ein zweites Rettungspaket für erneute Euro-Krisenängste. Spanien und Italien bleiben bislang aber von Ansteckungseffekten verschont, so dass sich nur die Risikoaufschläge 5-jähriger portugiesischer zu deutschen Staatstiteln im Aufwärtstrend befinden. Von den wiederbelebten Krisensymptomen zeigte sich der euroländische Aktienmarkt (Euro Stoxx 50) zwischenzeitlich jedoch negativ beeindruckt.

Bedenklich ist nach wie vor die Kreditvergabepraxis euroländischer Geschäftsbanken an private Haushalte und Unternehmen. Obwohl die Banken ihre Liquiditätsreserven bei der EZB verringern, findet dies keine Entsprechung in höheren Kreditausleihungen. Ohne intakte Kreditverhältnisse in der Eurozone ist aber eine nachhaltige Wirtschaftserholung nicht möglich.

Grafik der Woche: Langfristige EZB-Kredite an Geschäftsbanken und deren Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen

Die EZB - Nie war sie so wertvoll wie heute

Vor diesem Hintergrund stellte EZB-Chef Draghi über eine beispiellose Vorabfestlegung auf noch für sehr lange Zeit geltende Niedrigzinsen sowie der Quasi-Ankündigung einer erneuten Senkung des EZB-Notenbankzins inklusive negativem Einlagezinssatz seine Rettungsabsichten der Eurozone erneut zweifelsfrei unter Beweis. Und auch die Anwendung unkonventioneller Instrumente - der direkte Ankauf von mit Mittelstandskrediten gedeckten Anleihen zur Milderung der Finanzierungsnöte mittelständischer Unternehmen und der Kreditrisiken der Banken - wurde erneut als Möglichkeit geldpolitischer Einflussnahme genannt. Niemand hat die EZB gezwungen, diese neuen Möglichkeiten in der Pressekonferenz nach der letzten Sitzung des EZB-Rates zu erwähnen. Aber wenn sie erwähnt werden, sollte man dies als Wink mit dem geldpolitischen Zaunpfahl deuten.

Indem Draghi die Politik der EZB an die drei Indikatoren mittelfristige Inflationserwartungen, Konjunktur- sowie Geldmengen- und Kreditentwicklung knüpft, hat er die Tradition der Deutschen Bundesbank deutlich abgelegt und den Politikansatz der US-Notenbank weitgehend übernommen. Die EZB betreibt das Gegenteil von Ausstieg, sie steigt noch tiefer ein.

Das erneute Hochkochen der politischen Euro-Krise mit ihren negativen Ausstrahleffekten wird sie konsequent verhindern. Dazu nimmt sie billigend in Kauf, dass der Druck auf die reformrenitenten Euro-Krisenstaaten weiter nachlässt. Für die EZB gilt, das Niedrigzinsumfeld auf den Staatsanleihemärkten der Euro-Südzone vor den geldpolitischen Irritationen der US-Notenbank ("Tapering") in Schutz zu nehmen.

Dass damit auch der Euro gegenüber dem US-Dollar zur Schwäche neigt, nimmt die EZB aus Exportsicht sicherlich gerne in Kauf.

Tapering the Tapering

Aber selbst in den Reihen der Fed äußerte man sich zuletzt verhaltener. Es wurden sogar Stimmen laut, die eine Fortführung des US-Anleiheaufkaufprogramms mit höheren Volumina in Aussicht stellen, sollten die positiven Konjunkturprojektionen der Fed nicht eintreffen. Beim Thema "Tapering“ muss die US-Notenbank ohnehin vorsichtig sein, zumal die globalen Risiken - Verschuldungskrise, Polit-Krise im Nahen Osten, vermeintliche Kreditklemme in China - für die US-Konjunktur zuletzt wieder zugenommen haben.

Zudem ist ein selbsttragender US-Aufschwung noch nicht in Sicht. Zwar signalisiert die Neuauftragskomponente des ISM-Index für das Verarbeitende Gewerbe mit einem Wert von 51,9 eine wieder freundlichere Auftragseinschätzung und auch die US-Industrieaufträge konnten im Mai um 2,1 Prozent zum Vormonat zulegen. Das reicht jedoch offensichtlich noch nicht für eine deutliche Belebung am US-Arbeitsmarkt aus. Die Beschäftigungskomponente des ISM Index hat sich sogar auf 48,7 eingetrübt und signalisiert für die US-Industrie sogar einen leichten Stellenabbau. Solange dem US-Arbeitsmarkt als Grundlage für die US-Konsumgesellschaft derartiger Gegenwind entgegen bläst, sollten sich auch die Ängste über eine Abschwächung von Anleiheaufkaufprogrammen in Grenzen halten.

In liquidity we trust...

Die internationalen Notenbanken sorgen somit auch zukünftig für eine gute Unterfütterung der Finanzmärkte. So führt die Erwartungshaltung der Finanzinvestoren bezüglich der Aufrechterhaltung der ultralockeren Geldpolitik u.a. in Japan zu massiven kreditfinanzierten Aktienkäufen. Anleger verschulden sich zu aktuell niedrigen Zinsen und legen das Geld in Aktien an. Dieses Volumen ist auf das höchste Niveau seit dem Platzen der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende gestiegen. Auch so konnten sich japanische Aktien nach der massiven Korrektur der letzten Wochen wieder stabilisieren.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Auf Unternehmensebene richten sich die Blicke der Anleger auf den Start der US-Berichtsaison für das II. Quartal 2013, der traditionell von Alcoa eröffnet wird. Der weltgrößte Aluminiumhersteller dürfte die durchwachsene Lage der Weltkonjunktur im vergangenen Vierteljahr widerspiegeln. Den US-Banken Wells Fargo und JP Morgan dürfte die Erholung am US-Immobilienmarkt zugute kommen. Insgesamt ist wieder mit einer Berichtsaison zu rechnen, die wenig Enttäuschungspotenzial bietet, da viele Unternehmen ihre Gewinnprognosen bereits im Vorfeld herunter revidiert haben.

Auf Makro-Ebene richtet sich der Fokus insbesondere auf die Veröffentlichung des Sitzungsprotokolls der US-Notenbank, das auf Hinweise zur zukünftigen Entwicklung des US-Anleiheaufkaufsprogramms abgeklopft wird.

Auch wenn in Deutschland die Zahlen zum Export und zur Industrieproduktion für Mai wieder etwas schwächer ausfallen dürften, lassen die zuletzt leicht verbesserten ifo Geschäftserwartungen für die zweite Jahreshälfte ein moderates Wachstum erwarten.

Aus charttechnischer Sicht dürften zunächst eine erhöhte Volatilität und abrupte kurzfristige Trendwechsel in einem unter dem Strich seitwärts gerichteten Markt vorherrschen.

Auf der Unterseite findet der DAX zwischen 7820 und 7800 Punkten eine erste, wenn auch schwache Unterstützung. Darunter tritt die solide Auffangzone zwischen 7700 und 7650 Punkten in den Vordergrund. Knapp darunter verlaufen weitere Haltelinien bei 7600 und in der Zone zwischen 7450 und 7400 Punkten.

Auf der Oberseite besteht der wichtigste Widerstand in der Kurslücke zwischen 8085 und 8160 Punkten. Weitere nennenswerte Hürden liegen bei rund 8300 sowie bei 8428 Punkten.

… habt Ihr auch so gut geschlafen, na, dann ist ja alles klar“, so lautet der Refrain eines Liedes von Jürgen von der Lippe. Geschlafen haben seit Sommer 2012 auch die Sorgen unserer Finanzwelt. Spätestens jedoch durch den lauten Wecker einer zuletzt „verhaltensauffälligen“ US-Notenbank sind sie wieder erwacht.

So auch in Euroland, wo ich die Freude vieler Politiker über fallende Lohnstückkosten oder die Defizitverringerung der Leistungsbilanz in Ländern wie Spanien oder Griechenland nicht teilen kann. Sie sind nicht Folge einsetzender Reformbewegungen, sondern Ausdruck einer dramatisch sinkenden Wirtschafts- und Kaufkraft mit dem Resultat einer schwachen Schuldentragfähigkeit. Damit ist auch der nächste griechische Schuldenschnitt so unausweichlich wie der nächste Winter, selbst wenn er aus politischen Gründen nicht vor der Bundestagswahl kommen wird (darf).

Auch aus dem stabilen Land der Mitte droht Ungemach. Dort versucht die chinesische Führung der Mutter aller Kreditblasen mit einer angeordneten Kreditklemme Einhalt zu gebieten. Haben Sie schon einmal versucht, brennendes Frittenfett mit Wasser zu löschen?

Und zu allem Verdruss kommt jetzt auch noch US-Notenbankchef Ben Bernanke hinzu, der vom Nikolaus zu Knecht Ruprecht zu mutieren scheint.

Diese Sorgen stellen grundsätzlich schon genug Halali für Vermögensverwalter und Banken dar, um Anlagerisiken drastisch zurückzufahren. Überhaupt, ist nicht der unsichere Ausgang der anstehenden Bundestagswahl ein geschenktes Alibi für Anleger, sich bis mindestens September aus den Finanzmärkten zu verabschieden? Immerhin hatten sich ja bis Mai durchaus schöne Renditen angesammelt. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich fünf Euro ins Phrasenschwein stecken muss: An Gewinnmitnahmen ist noch nie jemand gestorben.

Hühner, die keine Ruhe finden, legen auch keine Eier

Im Extremfall kann dies eine fatale Eigendynamik entwickeln. Einer geht voran und verkauft und wie beim Dominoeffekt folgen die Anderen und verkaufen auch. Aus einer Mücke könnte schnell ein Elefant werden. Neue Risiken werden konsequent gemieden und die Banken betreiben eine noch diszipliniertere Kredit-Askese. Bei gleichzeitig steigenden Zinsen sind dann auch die fundamentalen Anlageperlen nicht mehr ungefährdet. Die Akkumulation von deflationären Schocks hätte schließlich aus einer leichten Sommerbrise den weltweit perfekten Sturm gemacht.

So etwas hatten wir schon einmal im Sommer 2011. Wird der Sommer 2013 jetzt auch so heiß? Nein, denn ähnlich wie in einem Abenteuer von Odysseus, als er die Meerenge von Messina passieren musste, an deren einem Ende das gefräßige sechsköpfige Ungeheuer „Scylla“ und am anderen Ende der alles verschlingende Meeresstrudel „Charybdis“ begierig auf neue Opfer warteten, sind Notenbanker heute mehr denn je zur Filigranarbeit verdammt.

Während bei Odysseus noch die Gefahr nur vom rechten und linken Ufer drohte, kommt sie heute auch noch von oben und unten. Denn heutzutage sind die konjunkturellen und geldpolitischen Wechselwirkungen, ihre Ursachen und Zusammenhänge - auch auf der zeitlichen Ebene - „physikalisch“ nicht mehr so kalkulierbar wie „Gewicht plus Kraft gleich Hühnerauge“.

Ben Bernanke wird abseits seiner finanzmarktblasenverhindernden Verbalerotik wie ein Top-Spion - so was können Amerikaner offensichtlich gut - die welt-(finanz-) wirtschaftliche Lage genauestens sondieren. Bernanke wäre der erste US-Notenbankpräsident, der Konjunktur und Finanzmärkte nicht auf einer Sänfte tragen würde und Risiken minimiert. Er weiß genau, dass angesichts einer weltweiten Überschuldung deflationäre Prozesse das Letzte sind, was die Welt braucht. Nur Inflation frisst Schulden auf.

Seit dem 4th of July 2013 ist die EZB auf Augenhöhe mit der Fed

Geradezu eine Sensation war die Pressekonferenz von Mario Draghi nach der letzten EZB-Sitzung am 4. Juli 2013. Bislang hatte noch kein Notenbankpräsident der Eurozone regelrecht versprochen, die Happy Hour der Geldpolitik nicht nur zu verlängern, sondern die gute Laune durch weitere Zinssenkungen und außerordentliche Maßnahmen noch zu heben. Den Kollateralschäden einer verbal angedrohten Liquiditätseinschränkung der Fed auf Renditen in Portugal, Spanien und Co. setzt er seine Sorgenpause entgegen, um den bösen Unruhegeist der Schuldenkrise wieder zurück in die Flasche zu befördern. Ben mag wanken, Mario nicht. Er ist zum heimlichen Staatspräsident der Eurozone geworden. Er stützt Finanzmärkte und Konjunktur wie die Fed in ihrer besten Sturm-und-Drang-Zeit.

Insgesamt könnte ich mir vorstellen, dass im Sommer das Schlimmste für die Anleihemärkte vorbei ist, weil die Finanzmärkte die Notenbanken nicht an ihren Worten, sondern ihren Taten messen werden. Die Ära von strukturell niedrigen Renditen ist alles, aber nicht vorbei. Aktien, werden zukünftig zwar mehr schwanken, bleiben aber auch nach dem Sommerschlussverkauf gefragt.

Mit der Verabreichung von Schlaftabletten in Familienpackungsgröße wird jetzt auch Dr. finanzmed. Draghi alles tun, damit die Finanzsorgen wieder in einen tiefen und langen Schlaf fallen. Soll sich ja keiner wie im Märchen Dornröschen wagen, sie wieder wach zu küssen. Er wird frühzeitig vom Hof gejagt.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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