Finanzmärkte im 2. Halbjahr 2016 - Welchen Einfluss haben die neuen „alten“ Krisen?
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Der Brexit stellt ein nachhaltiges Unsicherheitsrisiko für den politischen sowie (finanz-)wirtschaftlichen Status der EU dar. (Eine ausführliche Einschätzung zur Frage, ob es überhaupt zum Brexit kommt und wie die EU auf ihre Strukturkrise reagieren sollte, finden Sie unter „Halvers Kolumne“ in diesem Produkt.) Aber auch das Thema „Europäische Bankenkrise“ ist wieder in den Anlegerfokus geraten. Wie werden sich die neuen politischen, aber auch finanzwirtschaftlichen Krisen auf die einzelnen Anlageklassen auswirken? Und welche Rolle spielen Edelmetalle?
Europäische Bankenkrise 2.0? - Nur über des (Geld-)Politikers Leiche
Vor dem Hintergrund der politischen Verunsicherung ist die italienische Bankenkrise in den Anlegerfokus geraten. Sie ist nicht nur finanzwirtschaftlich brisant, sondern könnte die in Italien weit verbreitete Skepsis gegenüber EU und Euro weiter nähren. Die Europa-freundliche italienische Regierung unter Renzi lässt im Oktober über eine Verfassungsreform abstimmen. Wird diese abgelehnt, drohen Neuwahlen, die der in Umfragen führenden, Europa-feindlichen und EU-Austritts befürwortenden „Fünf-Sterne-Bewegung“ großen Zuspruch bringen könnte.
Die Bankenmisere liegt zunächst an der schwachen italienischen Konjunktur. Italien steckt seit fünf Jahren in einer Stagnation mit Hang zur Rezession. Damit sind einerseits keine nennenswert neuen Kreditausleihungen möglich und andererseits werden bestehende Kreditfinanzierungen auch durch nachgebende Kreditsicherheiten Not leidend. So haben italienische Immobilien in den letzten fünf Jahren gut 16 Prozent Werteinbußen hinnehmen müssen.
Absurderweise wirkt sich selbst der geldpolitische Segen längst zum bankpolitischen Fluch aus: Die Zinsmargen der Banken sind so dramatisch geschrumpft, dass mittlerweile ein stabiler Ertragslieferant weggebrochen ist.
Ohne Zweifel haben die Banken selbst die nötigen Strukturreformen zu wenig konsequent durchgeführt. Statt ihr Kreditportfolio zügig abzubauen, wurden teilweise hohe Dividenden ausgeschüttet. Dem italienischen Bankensektor fehlen insgesamt - schön gerechnet - etwa 50 Mrd. Euro, um die Abschreibungen fauler Kredite auf ein handhabbares Niveau zu senken. Erschwerend kommt hinzu, dass Italiens Banken mehrheitlich die administrativ geforderte Kernkapitalquote von 10,75 Prozent zum Zwecke der Kredittragfähigkeit verfehlen.
Verbesserte Eigenkapitalausstattungen über Börsenemissionen zu erreichen, sind angesichts der aktuell einbrechenden Aktienkurse der Banken illusionär. Zur Krisenlösung Pleiten italienischer Banken, damit auch die Auflösung von Ersparnissen und schließlich einen Bank Run zuzulassen, ist in der aktuellen politisch schwierigen Situation Italiens nicht umsetzbar.
Der italienische Staat kann als Bankenretter de jure zwar nicht mehr eingreifen, da die Europäische Bankenunion gemäß ihren Statuten den Steuerzahler vor der Haftung für Banken bewahren soll. Einen ähnlichen Unmut der EU-Bürger wie 2008/09 will man nicht mehr aufkommen lassen.
De facto hat jedoch Ministerpräsident Renzi die Krisen-Gunst der Brexit-Stunde genutzt, um sich von der EU-Kommission ein neues Bankenrettungsprogramm über 150 Mrd. Euro genehmigen zu lassen. So sollen die italienischen Banken mit Staatsgarantien gestützt werden. Dass dabei die europäischen Regeln zum Stabilitätspakt, zur Bankenunion und zur Bankenrettung gebrochen werden, spielt angesichts der Bewältigung der italienischen Bankenkrise offenbar keine Rolle mehr.
Bankgarantien sind das Eine, das wichtigere Andere ist die Rekapitalisierung der Banken. Denkbar ist, dass italienische Banken ihre Eigenkapitalpolster mit beispielsweise Nachrang- oder Wandelanleihen auffrischen können. Diese Maßnahme ist in der EU allerdings momentan noch strittig.
Alternativ ist nicht auszuschließen, dass die EZB das Abschreibungs- bzw. Eigenkapitalproblem über die Hintertür löst. So könnte sie ihr Aufkaufprogramm nach Unternehmens- nicht nur auf Bankanleihen ausweiten. Sie könnte noch einen Schritt weitergehen und Not leidende Kredite italienischer Banken aufkaufen.
Jedoch sollte niemand europäische Politiker und die EZB in ihrer grenzenlosen Flexibilität unterschätzen, zur Vorbeugung einer erneuten Finanzkrise, die zu unkontrollierbaren System- und politischen Risiken führen könnte, alle Register zu ziehen, Rechtsbeugung eingeschlossen. Dem wiedererstarkten Bankenrisiko wird vor allem geldpolitisch massiv entgegengewirkt.
GRAFIK DER WOCHE
Liquiditätsausstattung der EZB und 5J Kreditrisiko Banca Monte dei Paschi di Siena (Senior)
Anleihen - Die auf ewig verlorene Anlageklasse
Die geldpolitische Hochdruckbetankung wird der Not gehorchend also fortgeführt. Die EZB folgt dabei auch dem Prinzip Hoffnung und vertraut unbeirrt auf den Hebel sinkender Kreditkosten auf die staatliche Nachfrage als Ersatzbefriedigung für eine lahmende eurozonale Privatwirtschaft, die unter Reformstau leidet.
In den USA hat die Fed das Ende der Zinswende eingeläutet. Sie weiß, dass aus nationaler, vor allem aber aus weltwirtschaftlicher Sicht keine weitere zinspolitische Restriktion möglich ist. Im Gegenteil, die Verhinderung von Folgeschäden aus der Brexit-Krise sprechen eher für eine Wiederaufnahme der geldpolitischen Offensive, die sogar ein weiteres Ankaufprogramm - ein Quantitative Easing 4.0 - möglich macht.
Da ebenso der Inflationsdruck wegen verhaltenen weltkonjunkturellen Aussichten begrenzt ist, wird jede Renditeerholung schwach ausfallen. Mit Blick auf die mittlerweile über dreißig Jahre andauernde Rentenhausse nimmt allerdings die Renditevolatilität zu.
Währungen - Der Euro bleibt eine starke Schwachwährung
Zur exportseitigen Wettbewerbsverbesserung der Eurozone hat die EZB ihr Aufkaufprogramm auch auf Unternehmensanleihen ausgeweitet, um die hiesige Attraktivität von Anleihen gegenüber Zinspapieren anderer Anlageregionen wie den USA weiter zu verringern. Diesem Unterfangen sehen die anderen exportstarken Länder jedoch nicht tatenlos zu. Auch sie setzen in einem internationalen Abwertungswettlauf mit erhöhten Anleiheaufkaufprogrammen und Niedrigzinspolitik auf schwächere Währungen. Mittlerweile haben selbst die USA die Vorteile des Exports erkannt. Sie haben kein Interesse, den Dollar über eine weitere Leitzinswende zu stärken. Da keiner gewinnen kann, wenn alle ihre Währung zu schwächen versuchen, ist eine Rückkehr der Gemeinschaftswährung zu ihrem Seitwärtstrend zum US-Dollar um 1,12 zu erwarten. Solange eine nachhaltig schwere politische Krise in der EU ausbleibt, ist keine dramatische Abwertung des Euros zu erwarten.
Deutsche Aktien - Verunsicherung, aber auch viel Substanz
Dieses Mal haben politische Börsen angesichts der politischen Eurosklerose keine kurzen Beine. Ihr Einfluss auf die Aktienmärkte hält an, bis sich der Londoner und italienische Unsicherheitsnebel gelichtet hat. Eine erhöhte Volatilität ist zu erwarten, ohne jedoch frühere Ausmaße anzunehmen.
Einerseits ist politische Verunsicherung - die auch realwirtschaftlich streut - ein Handicap für industrie- und exportlastige deutsche Aktien. Andererseits könnte der deutsche Aktienmarkt als längerfristige Alternative von einem mit Unsicherheit behafteten britischen Finanzplatz profitieren. Die deutsche Industrie-Substanz wird im Rahmen der Brexit-Verunsicherung noch bedeutender. Investoren werden niedrige Einstiegspreise für günstige Zukäufe bei deutschen Qualitätsaktien aus dem DAX nutzen, der wesentlich weniger Banken-lastig ist als die spanischen oder italienischen Konkurrenzindices IBEX bzw. FTSE MIB.
Noch aussichtsreicher sind Titel aus MDAX und SDAX, die im Ausland bewundernd „German Mittelstand“ genannt werden. Sie profitieren von ihrem breiten Industrie-Know How und zahlreichen Patenten im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung der Weltwirtschaft, der sogenannten „Industriellen Revolution 4.0“. Da die Selbstentwicklung der hierfür erforderlichen Schlüsseltechnologien in Ländern wie China zu aufwendig ist bzw. zu viel Zeit in Anspruch nimmt, kommen deutsche Industrieperlen auch in den Genuss einer bedeutenden Übernahmephantasie. Diese zeigt sich deutlich in einer Outperformance von MDAX und SDAX gegenüber DAX.
Verstärkte Finanzmittelzuflüsse durch z.B. russische, arabische und asiatische Investoren werden sich ebenfalls im deutschen Immobiliensektor und seinen -aktien niederschlagen. Sie sind das Auffangbecken für zurückgestutzte Realinvestitionen in Großbritannien. Die Schließung britischer Immobilienfonds, die unter Abzug von Liquidität leiden, sind unverkennbare Anzeichen für einen angeschlagenen britischen Immobilienmarkt.
US-Aktien - Der politisch sichere Hafen mit Unterstützung der Fed
Die USA bleiben von politischen Krisen weitgehend verschont, so dass das Land vom Status eines sicheren Hafens profitieren kann. Daneben kommt den USA ein wettbewerbs- und marktwirtschaftlich fruchtbarer Nährboden für Investitionen zugute, während sich in anderen Industrieregionen wie Japan oder Europa selbst die üppigste Geldpolitik als unfähig erweist, die hartnäckigen Konjunkturprobleme, die der Vernachlässigung der Standortqualität geschuldet sind, zu mildern.
Unterstützend für US-Aktien wirkt sich das Ende der Zinswende aus, die bislang als Damokles-Schwert über den US-Aktienmärkten schwebte. Ein Zinserhöhungsszenario wie zwischen 2004 und 2006, das in der Folge zu einem dramatischen Einbruch der Wertpapierkredite an der New York Stock Exchange und anschließend zu ebenso drastischen Kurseinbrüchen am US-Aktienmarkt führte, wird insofern ausbleiben.
Japanischer Aktienmarkt - Die Bank of Japan hisst die weiße Fahne
Japan leidet unter den vier Handicaps Überalterung, Überschuldung, Umweltverschmutzung und Gesundschrumpfung der asiatischen Volkswirtschaften. Und durch die Aufwertung des Yen hat sich auch noch der Hoffnungsschimmer Export insgesamt verdüstert. Durch weltweit fallende Zinsen hat das Land seinen Niedrigzinsvorteil gegenüber anderen Währungsräumen verloren: Der klassische japanische Carry Trade - zinsgünstige Geldaufnahme in Yen und -anlage in höherverzinslichen ausländischen Währungen - hat sich mittlerweile sogar umgekehrt. Kapitalzuflüsse nach Japan trotz negativen - aber im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz „höheren“ - Anleiherenditen führen über Kursgewinne zu einer Befestigung des Yens. Die japanische Notenbank kann autonom keine nachhaltige Yen-Abschwächung mehr bewirken. Das fundamentale Wohl und Wehe japanischer Aktien hängt stärker denn je von einer konsequenten Förderung der allerdings hartnäckig schwachen Binnenkonjunktur ab. Insgesamt ist der japanische Aktienmarkt im Vergleich zu den asiatischen Aktienmärkten bzw. auch denen der Schwelländer weniger attraktiv.
Rohstoffe - Die Lage bleibt stabil
Der Preiskampf um Marktanteile beim Rohölverkauf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran verhindert eine dem Allgemeinwohl der OPEC dienende Einfrierung der Ölförderung. Damit schadet die OPEC ihrer Glaubwürdigkeit und zukünftigen Preissetzungsmacht. Eine ähnliche Preisschwäche bei Öl - wie dies bis Jahresanfang der Fall war - droht dennoch nicht. Außerhalb der OPEC hat man verstanden, dass ein Konkurrenzkampf um jeden Preis Staatshaushalte und Kaufkraft ruinieren.
Im Übrigen verleihen die abebbende Zinserhöhungsrhetorik der Fed und damit verbunden die Schwächung des US-Dollars dem Ölpreis wegen typischem Gegenlauf wieder Auftrieb.
Umgekehrt ist aber ebenso kein massiver Preisanstieg zu befürchten. Ab Ölpreisen von 60 Dollar pro Barrel wird Fracking als Alternative zu konventionellem Öl wieder hoch attraktiv.
Von der allgemeinen Befestigung bei Öl profitieren im Trend ebenso Rohstoffe insgesamt.
Edelmetalle - Theoretisch ist viel mehr drin, praktisch aber nicht
Die aktuell pessimistische Anlegerstimmung nährt die globale Flucht in Sicherheit, von der auch Edelmetalle profitieren. Insbesondere die ausbleibenden bzw. sogar negativen Anlagezinsen und Anleiherenditen tragen zur Renaissance von Gold bei. Daher hat die seit Jahresbeginn im Trend zu beobachtende Outperformance von Gold gegenüber den weltweiten Renten-, Aktien- und Rohstoffmärkten seit Juni wieder an Stärke gewonnen.
Zusätzlich preistreibend wirken die Spekulationen auf weiter steigende Edelmetallpreise. Die spekulativen Netto-Long Positionen am Terminmarkt für Gold sowie Silber befinden sich auf Mehrjahreshochs, ohne jedoch einen entsprechenden Preisauftrieb der physischen Metalle nach sich zu ziehen.
Damit bleiben noch dynamischere Aufwärtsbewegungen bei Edelmetallen - die fundamental völlig gerechtfertigt sind - aus. Zentralbanken haben vor dem Hintergrund ihrer geldpolitischen Rettungsmission auch weiterhin kein Interesse an einer starken Parallel- bzw. Konkurrenzwährung, die ihre ohnehin zunehmende geldpolitische Ohnmacht in konjunkturellen Fragen noch weiter manifestieren würde. Insofern setzen sich die Notenbanken massiv für Goldpreisdrückungen ein.
Und dennoch bleibt Gold in einer Finanzwelt, wo Stabilitätskriterien längst mit Füßen getreten werden, ein langfristig bedeutender Vermögensbestandteil. Es geht um langfristigen sachkapitalistischen Vermögenserhalt, nicht um kurzfristige Renditeerwirtschaftung. Übrigens, was kann an einem kontinuierlichen Aufbau von Gold falsch sein, wenn Notenbanken selbst nach langjährigem Abbau bis 2009 ihre Goldbestände wieder deutlich aufstocken? Nichts!
Es wohnen wohl zwei Herzen in der Brust des exzellenten Analytikers Robert Halver 4.0. Das letzte Fünftel seines EM-Kommentars verdient m.E. volle Zustimmung. Allerdings protestiere ich gegen seine fragwürdigen Konstrukte, die (wohl pflichtgemäß?) den italienischen Verhältnissen geschuldet zu sein scheinen. Seinen "geschönte" 50 Milliarden Teuro bzw. 150 vertragswidrige EU-Rettungsmilliarden stelle ich 550 Mrd. Schulden gegenüber, ergänzt durch - unter Insiderhänden lt. DWN geflüsterte bis zu einer Billion EUR Schuldenlast italienischer Banken !!!
Zum rettenden "German Mittelstand" wären Ausverkaufsängste hinzuzufügen, die sich auf aktuellen, familiären Firmenübernahmen a la Kuka gründen. Denn die holen sich die besser planwirtschaftlich organisierten schlitzohrig-äugigen Mandarine ins unvergleichlich größere Reich der Mitte.
PS: 'Trotz der heute kritischen Robby-Anmerkung kann ich als Altredakteur i.R. unseren Journalistik-Studierenden nicht nur der pseudowissenschaftlichen Ökonomie die umfassenden Halver-Beiträge als Lehrmaterial sehr empfehlenden!