Kommentar
10:14 Uhr, 20.02.2015

Fed macht den Weg für erste Zinsanhebung frei

Nach Auffassung von ING Investment Management (demnächst NN Investment Partners) wird die Fed ihren Leitzins im Juni zum ersten Mal anheben. Allerdings überwiegt das Risiko eines späteren Zinsschritts, da die Notenbank mit ungewöhnlich großen Unsicherheiten konfrontiert ist. Eine allzu lange Verschiebung könnte allerdings an den Märkten die Vermutung aufkommen lassen, dass die Zinsen dauerhaft niedrig bleiben sollen. Die Fed wird sicherlich eine Neuauflage des von Ben Bernanke im Mai 2013 ausgelösten „taper tantrum“ vermeiden wollen, das zu einem kräftigen Anstieg der Anleiherenditen führte.

Fed rückt allmählich von langfristig niedrigen Zinsen ab

In ihren Äußerungen gegenüber den Märkten schwenkt die Federal Reserve (Fed) derzeit von der Zusage, die Zinsen würden auf lange Sicht niedrig bleiben, auf den Hinweis um, dass das Zinsniveau von den Daten abhänge. Dabei sollte man im Auge behalten, dass die Geldpolitik eher von der Inflationsentwicklung als von der Beschäftigungsentwicklung (der zweiten Komponente des Fed-Mandats) bestimmt werden dürfte. Dies stellt eine klare Änderung gegenüber der seit 2008 vorherrschenden Situation dar, in der die Wirtschaft weit von der Vollbeschäftigung entfernt war, wohingegen die Inflation relativ gut dem Zielwert entsprach. In den vergangenen 12 bis 18 Monaten wurden die freien Kapazitäten jedoch verstärkt abgebaut und die Inflation (bzw. die Inflationserwartungen) lagen unter den Prognosen. Der Ölpreisrückgang und die Aufwertung des Dollar dämpfen die Inflation zusätzlich.

Künftige Inflationsentwicklung mit größeren Unsicherheiten behaftet

Die beiden Komponenten des Fed-Mandats stehen miteinander im Zusammenhang, denn der Umfang der freien Kapazitäten am Arbeitsmarkt ist von großer Bedeutung für die Lohnentwicklung. Eine sehr wichtige Frage für die Fed lautet daher, ob die Inflation nun Fahrt aufnimmt, wenn sich die Arbeitslosenquote der von der Fed errechneten Gleichgewichtsrate annähert. Bisher ergibt sich kein klares Bild; es sind nur zaghafte Anzeichen für ein anziehendes Lohnwachstum zu erkennen. Derweil hat sich die Kerninflation seit Anfang des vierten Quartals 2014 verlangsamt, und die Inflations-Breakevens sind gesunken. Dies dürfte zum größten Teil auf einmalige Schocks für den Ölpreis und den Dollar zurückzuführen sein. Allerdings lässt sich nicht vollständig ausschließen, dass diese Entwicklungen eine gewisse Eigendynamik entwickeln. Daher ist die Fed mit der schwierigen Frage konfrontiert, ob der Inflationspfad künftig so verlaufen wird, dass der Zielwert von 2% innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens (d.h. in 2 – 3 Jahren) erreicht wird.

Erste Zinserhöhung voraussichtlich im Juni – unter bestimmten Bedingungen

In unserem Basisszenario gehen wir weiterhin davon aus, dass der Offenmarktausschuss (Federal Open Market Committee, FOMC) im Grunde im Juni den ersten Zinsschritt durchführen will und dass die Datenlage dann bestimmt, in welchem Tempo weitere Zinsanhebungen erfolgen. Bei einem hinreichend starken Schock könnte die Zinserhöhung jedoch verschoben werden. Die Fed hat sich durch den Verweis auf „internationale Entwicklungen“ in ihrer jüngsten Pressemitteilung eine Hintertür offen gehalten. Diese Formulierung ist zunächst als Euphemismus für den Dollar-Wechselkurs zu verstehen, den die Fed niemals direkt erwähnt. Darüber hinaus bezieht sie sich wahrscheinlich auch auf die Wachstumsdynamik anderer Länder allgemein sowie die Auswirkungen der Griechenland-Krise auf die internationalen Finanzmärkte. Außerdem besteht das Risiko, dass sich die sinkenden Inflationserwartungen über den Wechselkurs hinaus auf die US-Wirtschaft auswirken.

Abweichung zwischen Fed-Prognosen und Marktannahmen

Die FOMC-Pressemitteilung äußert sich etwas optimistischer zum Wachstumsausblick und signalisiert weiterhin, dass der Abbau der freien Kapazitäten nach Auffassung der Fed in zufriedenstellendem Tempo vorwärts geht. Es gibt außerdem noch einen weiteren Grund, warum die Fed in ihrer Pressemitteilung wohl nicht allzu „dovish“ klingen wollte.

Die Markterwartungen weichen inzwischen recht weit von den Punktprognosen des FOMC ab, so dass die Fed wahrscheinlich keine noch „dovisheren“ Markterwartungen schüren wollte. Wenn sich nämlich die Fed-Prognose als zutreffend erweist und der Markt dies erkennt, könnte sich das „taper tantrum“ wiederholen. Und dies möchte die Fed sicherlich vermeiden. Die Fed-Vorsitzende Yellen möchte den Markt seit jeher allmählich auf Unsicherheiten in der Geldpolitik vorbereiten.

Fed sieht sich vor dem Dilemma, welche Ausstiegsstrategie sie wählen will

Dieses Dilemma deutet auf ein umfangreicheres Problem hin. Die Fed und die BoE sind insofern mit einer schwierigen Situation konfrontiert, als sie mit ungewöhnlich hohen Unsicherheiten (Inflationsausblick, Reaktion der Angebotsseite usw.) umgehen müssen. Eine Strategie besteht darin, abzuwarten, bis sich diese Unsicherheiten geklärt haben. Dies bringt das Risiko mit sich, dass die Zentralbanken hinter die Kurve geraten und erneut ein „taper tantrum“ auslösen könnten. Wenn Zinsanhebungen allzu lange verschoben werden, könnte an den Märkten die Vermutung aufkommen, dass die Zinsen dauerhaft niedrig bleiben sollen. Die andere Strategie sähe so aus, dass die Zinsen „probeweise“ früh angehoben werden und die Zentralbank dann langsam weiter vorgeht. Bei einer solchen Strategie besteht das Risiko, dass die Erholung abgewürgt werden könnte. Angesichts der kräftigen privaten Nachfrage halten wir dieses Risiko jedoch in den USA für sehr viel geringer als zum Zeitpunkt des „taper tantrum“ vor knapp zwei Jahren.

Unseres Erachtens wird sich die Fed für die zweite Strategie entscheiden, zumal der jüngste Arbeitsmarktbericht sehr günstig ausfiel: Die Beschäftigung lag über dem Konsens, die Beschäftigungsdaten für die privaten Haushalte waren gut, und bei den noch im Dezember schwachen Lohndaten fand eine Wende statt. Am Markt verflog die Skepsis in Bezug auf eine Zinsanhebung im Juni sofort. Die Fed Funds Futures preisen nun nicht mehr allenfalls eine Zinsanhebung bis Ende 2015, sondern einen Zinsschritt im Juni ein. Auch die Volkswirte bewegen sich langsam in diese Richtung.

Wie wichtig es ist, nicht vorhersehbar zu sein

Insgesamt vertreten wir daher in unserem Basisszenario weiterhin die Auffassung, dass der erste Zinsschritt im Juni erfolgen wird, sehen aber auch, dass das Risiko einer späteren Zinsanhebung überwiegt. In den kommenden Monaten werden wir vor allem die Entwicklung der Kerninflationsrate, der Inflationserwartungen und der Löhne sowie des Dollar-Wechselkurses und des Arbeitsmarkts beobachten. Wenn die Fed an einer Zinsanhebung im Juni festhält, werden wir dies im März wissen, sofern die Fed ähnlich wie im Jahr 2004 vorgeht. Damals verschwand das Wort „Geduld“ („patience“) zwei Sitzungen vor dem ersten Zinsschritt aus den Pressemitteilungen. Falls der Begriff „Geduld“ im März noch verwendet wird, heißt dies nicht, dass die Fed die Zinsen im Juni nicht anheben wird. Janet Yellen ist eine kluge Zentralbankerin, die genau weiß, wie wichtig es ist, in taktischer Hinsicht nicht allzu vorhersehbar zu sein und gleichzeitig eine klare Strategie zu verfolgen.

Autor: Willem Verhagen, Volkswirt, ING Investment Management

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